Siegen. . Thomas Jung arbeitet seit elf Jahren in der Rettungsleitstelle. Er hilft Menschen, die Not geraten sind, koordiniert die Rettungskräfte, leitet erste Maßnahmen ein. Ein Einblick in seinen Arbeitsalltag zeigt, dass manchmal in Sekunden lebenswichtige Entscheidungen getroffen werden müssen.
Es ist ein Ort, an dem sich alles entscheidet. Kaum irgendwo sonst sind Bruchteile von Sekunden so wichtig wie hier. Ununterbrochen klingelt das Telefon. Die Stimmen gehen durcheinander. Jeder ist hoch konzentriert. Die Atmosphäre ist angespannt, aber nicht hektisch: Das ist die Kreisleitstelle in Siegen. Täglich gehen hier mindestens 250 Notrufe ein, die über die Nummer 112 in die Zentrale geleitet werden.
Thomas Jung ist verantwortlich für die Leitstelle, koordiniert die Schichtdienste, organisiert das System. Von praktischen Lebenshilfe-Tipps bis zur Reanimation steht er seit elf Jahren den Menschen am anderen Ende der Leitung zur Seite.
Der 37-Jährige ist Berufsfeuerwehrmann und Rettungsassistent – eine Grundvoraussetzung, um in der Leitstelle zu arbeiten. Im Gespräch mit dieser Zeitung gibt er einen Einblick in seinen Arbeitsalltag. Vor allem eins wird ganz deutlich: In diesem Beruf muss ganz genau zwischen den Zeilen gehört werden.
Reanimation
Bei manchen Anrufern geht es unmittelbar um Leben und Tod. „Das passiert zum Glück nur ein bis zweimal im Monat“, sagt Thomas Jung. Lebensrettende Maßnahmen müssen schnellstmöglich erfolgen, notfalls auch durch Anleitung am Telefon. Jung weiß allerdings, dass dafür einige Voraussetzungen gegeben sein müssen: „Der Anrufer muss die Anweisungen umsetzen können“, erklärt er und beschreibt verschiedene Verhaltensmuster: „Wenn der Mensch panisch ist, kann er sich meist noch nicht einmal rühren. Das ist das Schlimmste, was passieren kann. Hektik ist dabei auch nicht angebracht. Am besten ist es, wenn der Anrufer zwar emotional berührt ist, aber funktioniert.“
Vor einigen Wochen rief ein Junge an, der seinen Opa regungslos gefunden hatte. „Der Junge hat vorbildlich reagiert, das war außergewöhnlich“, sagt Jung. Mit telefonischer Unterstützung versuchte der Enkel, seinen Großvater mit einer Herz-Druck-Massage wiederzubeleben. Umso trauriger war es, dass der Mann dennoch starb.
Falsch verbunden
Schnittverletzungen, Knochenbrüche und Kreislaufzusammenbrüche sind Alltagsgeschäft. Aber auch Notrufe, die gar nicht zum Rettungsdienst gehören, gehen regelmäßig ein. „Das sind zum Beispiel Anrufe von Müttern, die ihrem fieberkranken Kind Tabletten geben wollen, und uns fragen, ob das geht“, sagt Jung und ergänzt: „Das ist ein klassischer Fall für den hausärztlichen Notdienst.“ Das Problem mit der Verwechslung wird immer größer und stellt die Leitstellenmitarbeiter vor weitere Herausforderungen. Jung: „Wir müssen sofort einschätzen können, ob das überhaupt etwas für uns ist.“ Denn trotz der Rettungsassistentenausbildung ist keiner der Bediensteten befugt, eine ärztliche Auskunft zu geben.
Skurriles
Oft ist die Nummer 112 aber vor allem eins: Die letzte Rettung bei panischer Angst. „Eine Frau bat uns darum, eine Ratte aus ihrem Badezimmer zu entfernen“, sagt der 37-Jährige und erinnert sich noch genau, wie hilflos die Frau ihm am Telefon erschien. „Da sind wir dann auch nur Menschen und raten der Frau in aller Ruhe, Bekannte oder Nachbarn zu informieren, die helfen können.“