Siegen. . Ein Teil des Human Brain Projekts, für das die EU 1,2 Milliarden Euro bereitstellt, besteht in einem Nachbau des menschlichen Hirns. Dadurch soll eine neue Computer-Architektur entstehen. Ein Vortrag in Siegen.

Die Funktion des menschlichen Gehirns ist eine äußerst komplizierte Angelegenheit. Das weiß jeder, der mit Menschen zu tun hat. Aber Wissenschaftler, die exakt und im Detail wissen wollen, wie der im Kopf gelegene Teil unseres Zentralnervensystems arbeitet, stehen vor etwas größeren Problemen als unsereins. Eine Methode, diese anzugehen, heißt Zusammenarbeit: 80 Forschungseinrichtungen sind in das Human Brain Projekt (HBP) eingebunden, das die EU in den kommenden zehn Jahren mit 1,2 Milliarden Euro fördert. Einer der Kodirektoren ist der Teilchen-Physiker Karlheinz Meier von der Universität Heidelberg. Und der erklärte am Donnerstagabend auf Einladung von Prof. Peter Buchholz sein Vorhaben an der Uni Siegen.

Meiers Absicht ist kühn: Er will das menschliche Hirn als Computermodell nachbauen. Anders gesagt: Er will einen Computer bauen, der funktioniert wie das menschliche Hirn. Um besser zu verstehen, wie es funktioniert. Und um bessere Computer zu erzeugen. Denn auch die besten derzeit existenten sind dem, was in unseren Köpfen steckt, nicht gewachsen.

100 Milliarden Nervenzellen

Meier verdeutlicht dies, dafür ist er Physiker, an ein paar Zahlen: „Das menschliche Gehirn enthält 100 Milliarden Nervenzellen oder Neurone. Sie stehen in mehr als 1000 Billionen sich ständig ändernder Verbindungen miteinander. Einen Computer, der so groß wäre, um das zu simulieren, kann man nicht bauen. Und dann wäre er immer noch 100 bis 1000 mal langsamer als die Biologie und hätte einen Strombedarf von 1000 Gigawatt. Das menschliche Hirn braucht 20 Watt.“

Deshalb ist sein Konzept ein anderes. Neuromorphes Computing heißt das Stichwort. Morphologie ist die Lehre von Struktur und Form. Das heißt: Der entstehende analoge Computer bildet die Struktur des Gehirns nach. Eine elektronische Einheit repräsentiert eine biologische Zelle. In Heidelberg sollen im Laufe des Projekts Chips zusammengeschaltet werden, die 4 Millionen Neuronen und eine Milliarde Synapsen repräsentieren.

Und das funktioniert? „Es ist ein Experiment“, sagt der Forscher. „Wir werden sehen, dass viel nicht funktioniert. Dann müssen wir schauen, was das ist und weiterarbeiten.“ So werde ein elektrisches Modell der Synapse gebaut, obwohl die chemisch funktioniere. „Ob uns dadurch etwas entgeht, müssen die Experimente zeigen.“

Gehirne haben außer dem geringen

Energieverbrauch noch zwei wesentliche Vorteile gegenüber digitalen Computern. Erstens: Fehlertoleranz. Der Verlust eines Transistors kann einen Mikroprozessor zerstören, während Hirne ununterbrochen Neurone verlieren. Zweitens: Computer müssen programmiert werden, während Hirne lernen und sich ununterbrochen verändern. Das sind natürlich Herausforderungen für ein Modell. „Wir müssen die Möglichkeit haben, Verbindungen wachsen zu lassen, wenn unser Computer sich weiterentwickeln soll. Aber das wird noch viele Jahre dauern.“

Die Zusammenarbeit zwischen Neuronen und Synapsen, die Verbindungen sind das Entscheidende. Hier findet das eigentliche Denken statt. Hier sitzt wahrscheinlich das Bewusstsein. Und der freie Wille? Wird man den simulieren können? So eine Frage aus dem Siegener Publikum. Meiers Antwort: „1956 wurde das CERN gegründet, um die Struktur der Materie zu verstehen. Ist sie verstanden? Eher nicht. Aber wir haben enorm viel gelernt. Unser Ziel ist es, Grundlagen zu schaffen.“

Plattformen für alle

Das gilt für das HBP insgesamt. „Die sechs Plattformen sollen allen Wissenschaftlern zur Verfügung stehen.“ Außer dem neuromorphen Computing sind diese: Neuroinformatik, also eine biologische Datensammlung, Softwaremodelle einer Gehirnsimulation, eine medizinische Plattform, die Daten zu Hirnerkrankungen verfügbar macht, ein Supercomputer (in Jülich) und die Neurorobotik. Die ist auch für Meiers Arbeit wichtig, denn seine Modell-Neuronen brauchen ja Informationen aus der Umwelt und ein Feedback.

Im Januar hat die EU das Geld bewilligt. Im April starteten die USA ein ähnliches Groß-Projekt. „Wir sind glücklich über die Konkurrenz“, sagt der Wissenschaftler. Es ist ein Wettstreit der besten Gehirne, nicht der besten Computer. Noch nicht.