Netphen. .
Die Ernte ist abgeschlossen, in großen, gelben Eimern stehen die Weintrauben bereit.
Horst Kühn sitzt in einem Gartenstuhl auf seiner Terrasse. Mit schnellen Bewegungen pflückt er die Früchte von den Rispen. Tiefrot glänzen Tropfen des Saftes auf den hellblauen Gummihandschuhen: Erste Vorboten des 2013er Weines aus Netphener Hanglage. „Vom ersten Jahrgang besitze ich noch ein oder zwei Flaschen“, sagt Kühn, während er konzentriert mit seiner Arbeit fortfährt. 2010 hat der heute 70-Jährige das erste Mal selbst Wein gemacht. Rund 30 Liter waren damals zusammengekommen. Seine Begeisterung für die süßen Trauben ist aber älter. „Ich wollte mir für den Ruhestand noch ein schönes Hobby zulegen“, erzählt der frühere Stadtbrandmeister und Ehrenwehrführer Netphens. Und für den Weinanbau habe er schon immer Interesse gehabt.
Etwa 100 Weinstöcke stehen auf dem heimischen Grundstück. 2006 hat Horst Kühn sie gesetzt, ein Jahr vor seinem Ruhestand. Da es einige Zeit dauert, bis die Pflanzen zum ersten Mal ausreichend Früchte tragen, ist Vorlauf notwendig. Ernte-Premiere war 2008. Zunächst wurden die Erträge zu Saft und Gelee: „Man will ja auch wissen, was man alles aus den Reben machen kann.“
Handarbeit statt Kraft der Beine
Zu Wein verarbeitete der Hobbywinzer – übrigens auch Vorsitzender des Imkervereins Netphen – seine Erträge das erste Mal im Jahr 2010. Es folgten zwei Jahren mit Gelee und Saft, nun soll es wieder Wein werden. „Hier gehe ich allerdings nicht mit den Füßen rein“, sagt Kühn und lächelt. Am Anfang habe er sich noch in ein großes Fass gestellt und mit der Kraft seiner Beine den begehrten Saft aus den Früchten geholt. „Aber das war ziemlich anstrengend.“
Inzwischen setzt er dafür zunächst auf Handarbeit und zerdrückt die Trauben zwischen den Fingern, bevor es für das Fruchtfleisch in eine hochmoderne Presse geht. Im Inneren dieses Metall-Zylinders ist ein großer Gummiball, der die kleinen Früchte an die Außenwände drückt. Unten fließt dann der reine Saft aus dem Gerät. Die Presstechnik mit menschlichen Muskeln oder flexiblen Materialien wie Gummi ist erforderlich, damit die Kerne nicht zerquetscht werden.
„Der Saft schmeckt unvergleichlich gut“, schwärmt Horst Kühn. Die Sorte Regent besteche mit sehr fruchtigem Geschmack, viel Aroma und fast dunkelblauer Farbe im Glas. Und wer in den Genuss kommt, die kleinen blauen Trauben zu probieren, stellt fest: Die Begeisterung ist keineswegs übertrieben.
Damit aus dem Saft Wein wird, sind noch ein paar Schritte zu tun. Die Flüssigkeit wird in Kanister gefüllt, es kommt Weinhefe hinzu – den Rest erledigt der Gärungsprozess. Nach rund vier Wochen kann der Winzer das erste Glas Wein probieren. Diesmal wird die Ernte wohl für 30 bis 40 Liter reichen, schätzt Kühn. „Aber bei mir macht es nicht die Menge – sondern der Spaß und die Freude.“
Ein Glas für den besonderen Anlass
Der Weinanbau ist ein zeitintensives Hobby. Im Frühjahr müssen die Weinstöcke aufwändig beschnitten werden, im Sommer sind regelmäßiges Bewässern, laufende Kontrollen und weiteres Zurückschneiden Pflicht. Ein großes Netz schützt die Pflanzen vor Vögeln. „Man ist ständig mit dem Weingarten verbunden, es macht riesig Spaß“, beschreibt Kühn den Reiz. Es gebe aber noch eine weitere Faszination, die damit zusammenhängt, dass die Weinstöcke im Frühjahr beim so genannten Kordonschnitt sehr stark gestutzt werden: „Wenn man dann sieht, wie unser Herrgott die Rebe wachsen lässt: Das ist schon ein Geschenk, für das man dankbar sein muss.“
Die Nachfrage nach dem edlen Netphener Tropfen ist im Freundeskreis groß, verrät der Winzer. Immerhin seien die Reben garantiert ungespritzt und naturbelassen – neben dem Geschmack ein gewaltiges Plus. Da die überschaubare Menge den Wein aber kostbar macht, köpfen die Kühns – Ehefrau Elisabeth hilft bei der Lese kräftig mit, überlässt Horst aber im weiteren Arbeitsablauf weitgehend das Feld – nur zu besonderen Anlässen eine Flasche. Etwa bei sportlichen Erfolgen, denn auch da ist Horst Kühn als Tischtennisspieler voll am Ball: „Wenn ich gut war, trinke ich natürlich auch ein Glas.“