Dreis-Tiefenbach. .

Das dürfte die Dreis-Tiefenbacher stolz machen, was Peter Vitt ihnen am heutigen Freitagabend erzählt: Dreis-Tiefenbach, so der Netphener Historiker, „ist der mit Abstand älteste industrialisierte Ort des Netpherlandes“. Und wohl auch der mit der größten Bedeutung. Allein sechs Aktenordner stark ist Vitts Dokumentation der wirtschaftlichen Entwicklung von Dreis-Tiefenbach – so viel bringen Netphen und Deuz gerade einmal zusammen auf die Waage.

1444 wird die erste Hütte in „Dreispe“, 1481 in „Diffenbach“ erwähnt. Dort wurde nicht nur Roheisen aus dem Erz gewonnen, es wurde zugleich auch gefrischt und auf einem Eisenhammer schmiedbar gemacht – Grundlage für eine weiterverarbeitende Industrie, die im 19. Jahrhundert richtig Fahrt aufnahm.

Ein paar Namen:

Achenbach & Hövel

Drei Reckhämmer, das erste Siegerländer Blechwalzwerk, eine Drahtzieherei, eine Feilenfabrik, eine Schraubenfabrik — „es gab nichts, was denen nicht gehörte“, schmunzelt Peter Vitt. Doch: Die „Neue Hütte“ von 1847, von der an der Siegstraße noch eine Mauer vor der Böschung übrig geblieben ist — die teilten sie sich mit weiteren Miteigentümern. Nachfolgefirma wurde, ebenfalls aus dem Achenbach-Clan Menne & Co, Ernst Menne war der Erfinder des Sauerstoffschmelzverfahrens. „Eine tolle Industriellenfamilie“, sagt Peter Vitt, der sich auch mit deren Stammbäumen befasst hat. Die Verwandtschaften im Siegerländer Industrieadel fallen auf: Wahrscheinlich sollte so das Vermögen zusammengehalten werden.

Kölsch Fölzer

Drei Unternehmen aus Siegen schlossen sich für die Ansiedlung an der heutigen Industriestraße zusammen. Als „Kesselschmiede und Eisenkonstruktionswerkstätte“ warb die Firma für sich bei der Eröffnung 1913, die sich damals „Siegen-Lothringer Werke“ nannte. Eisen- und Blechkonstruktionen aller Art wurden hier gebaut, Hochöfen samt Zubehör. 70 Jahre später war Schluss, das Unternehmen ging in Konkurs. Das Grundstück hatte sich Heinrich Fölzer schon vor dem Bau der Kleinbahn gesichert.

SEAG

Carl-Eberhard Weiss gründete die spätere SEAG, die Siegener Eisenbahnbedarf AG. Er hatte ein Stanz- und Hammerwerk in Siegen — und hatte es auf einmal ganz eilig, die Fabrik in Dreis-Tiefenbach hochzuziehen. Nicht noch einmal wollte er 40 aus­einandergenommene, für China bestimmte Kohlenwaggons per Fuhrwerk vom Kirchweg auf die Bahn nach Siegen bringen. Schon im Herbst 1906 schickte Weiss die ersten Dreis-Tiefenbacher Waggons auf die Schiene, ein Vierteljahr vor der offiziellen Eröffnung der Kleinbahn. „Das Unternehmen ist durch viele Hände gegangen“, sagt Peter Vitt. Weiss, Urgroßvater des heutigen SMS-Siemag-Eigentümers Heinrich Weiss, verkaufte das Unternehmen an Flicks Charlottenhütte. Später wurde daraus die Waggon Union, heute ist das Werk Teil des Weltkonzerns Bombardier.

Oehler & Fick

Über 200 Menschen arbeiteten in besten Zeiten da, wo die beiden Familien 1927 auf dem Geländes des früheren Dreisbacher Reckhammers die Kurbelwellenproduktion aufnahmen. „Das war eines der führenden Siegerländer Unternehmen“, erinnert Peter Vitt. Boschgotthardshütte und Hammerwerk Vorländer übernahmen die Firma nach ihrem Konkurs 1978. 1996 stieg die Boschgotthardshütte aus, 1997 ging Vorländer in Konkurs, was das endgültige Aus für den Dreisbacher Hammer bedeutete und eine 250-jähige Hammerwerkstradition an diesem Platz beendete.

Rohne & Baier

Ein Exot, der nichts mit Eisen zu tun hat: 1896 eröffnete die Holzdrechslerei auf dem Gelände der Neuen Tiefenbacher Hütte. Hier kamen die Abschlussstücke für Gardinenstangen und die Einfassungen („Rosetten“) für die Lichtschalter her. Und hier entstand auch die Zeppelinpfeife: ein Rauchwerkzeug, in dem der Tabak unter einem Deckel verbrennt, sodass die Glut kein Feuer entzünden kann. Die Erfindung wurde am 20. April 1932 durch das Reichspatentamt als Gebrauchsmuster geschützt.

EBF

Die Eisen- und Blechwarenfabrik war da, wo heute der Lidl-Discounter steht. Und wo vorher Johann Heinrich Dresler mit Textilien Geld verdient hatte, bevor er in Kreuztal ein Drahtwerk eröffnete und die Familienvillen in den nach ihm benannten Park baute. Die Industriellen Aden Waldrich, Georg Ernst und Fritz Schroth gründeten das Unternehmen 1920. „Ebsi“ kürzen sich die „Eisen- und Blechwarenwerke Siegerland“ heute ab, die vor fast zehn Jahren in frühere Siemag-Hallen nach Netphen umgezogen sind.