Kreuztal. . Landwirtin Melanie Müller (24) ist mit den Kühen auf dem Berghof großgeworden. Auch mit der Arbeit. Ein Job im Büro wäre nichts für sie. Jetzt arbeitet die 24-Jährige als eine von wenigen Frauen als Tierzuchttechnikerin.

Gegen 7.30 Uhr rollt Melanie Müller (24) mit ihren kuhgefleckten Caddy vom Hof. Vorher hat sie den Anrufbeantworter abgehört. Ein arbeitsreicher Morgen liegt vor ihr. Ein paar Landwirte in Iseringhausen, Drolshagen und Netphen haben aufs Band gesprochen. „Unsere Kuh ist brünstig.“ So heißen die zwölf Stunden in denen die Tiere fruchtbar sind und die zwölf Stunden in denen Melanie Müller ihrer Arbeit nachgeht: Sie sorgt für Nachwuchs. Heute also im Sauerland und im Johannland. Die Landwirtin arbeitet als Besamerin. Oder Tierzuchttechnikerin, wie die Weiterbildung offiziell heißt.

Die Technik liegt im Kofferraum. Neben Gummistiefeln, Gleitgel und den langen pinkfarbenen Handschuhen, liegt das Besamungsgerät, ein spritzenähnlicher Apparat mit einer langen Kanüle. Links steht auch der Kessel mit den bunten, unscheinbaren Röhrchen, in denen das Sperma portionsweise lagert. Tiefgekühlt in flüssigem Stickstoff bei minus 196 Grad.

Damit Spermien wieder aktiv werden, werden die Röhrchen vor der Besamung auf 34 Grad erhitzt. Bis zu 20 Millionen tummeln sich dann in einer Portion. Den Samen wählen die Landwirte nach diversen Kriterien aus – zum Beispiel nach dem Körperbau oder der Milchleistung. „Generell versuchen wir, die Schwächen der Kuh mit dem Samen auszugleichen.“

Milchkühe bekommen ein Mal im Jahr Nachwuchs, damit die Milchleistung hoch bleibt. „Die Herdenleistung bei uns liegt zum Beispiel bei 8000 bis 10.000 Litern jährlich pro Kuh“, erklärt Melanie Müller. In ihrem Stall stehen 60 Kühe, in den nächsten Jahren soll die Herde auf 90 Tiere anwachsen.

Bevor die Tierzuchttechnikerin nun eine Kuh befruchtet, kontrolliert sie, ob alles in Ordnung und das Tier tatsächlich fruchtbar ist. Sie tastet Eierstöcke und Gelbkörper ab und beginnt mit der Besamung unter so genannter rektaler Kontrolle. Dazu führt sie die Hand mit dem Handschuh in das Rektum ein, hält den Muttermund fest und führt das Besamungsgerät mit dem entsprechenden Samen in die Scheide ein. „Dabei ist Fingerspitzengefühl wichtig“, sagt Melanie Müller. Die Kuh könne verletzt oder der Samen am falschen Ort platziert werden. „Die Landwirte müssen mir schon vertrauen, denn man sieht ja nichts.“ Das sei von Anfang an kein Problem gewesen. Obwohl sie als junge Frau eine Exotin in diesem Beruf ist – in ihrem Weiterbildungskurs in Berlin waren es zwei Frauen unter 40 Männern.

„Grüß dich, Melanie!“ Mit den meisten Landwirten ist sie per Du. Sie kennen sich alle schon lang. Als Kind ist sie mit ihrem Vater Uwe zu den Höfen gefahren. Er baute damals den Fruchtbarkeitsservice für Rinder, Müller-Genetic-Service, auf. Als zweites Standbein nebst der Milchwirtschaft für den Familienbetrieb. Für Tochter Melanie war es von kleinauf klar, dass sie den Hof weiterführen möchte. Die Unterscheidung in Männer- oder Frauenberufe gibt es bei Müllers nicht. Jeder tue das, woran er am meisten Freude habe. Bei Melanie Müller ist das die Arbeit mit den Tieren, die Bewegung, Natur, Beratung, Verkauf, Menschen. „Ohne den Spaß daran, würde man das ja gar nicht machen“, sagt sie und erzählt von ihrer Arbeit, die eigentlich nie aufhört. Kühe melken um 6 Uhr. Jeden Tag. Und abends um 19 Uhr noch im Stall. Auch an Weihnachten, auch am Geburtstag. Das Date abbrechen, die Party früher verlassen, wenn eine Kuh ihr Kälbchen bekommt. Melanie Müller ist damit aufgewachsen und wünscht sich nichts anderes. Außer vielleicht schnell den Bachelor für Agrarwissenschaft in Bonn in der Tasche zu haben, um endlich Vollzeit für den Berghof da zu sein. So wie ihre Mutter Anja Lorsbach-Müller, die den Hof einst von den Eltern übernahm. „Meine Mutter machte 1989 ihren Landwirtschaftsmeister als eine der ersten Frauen überhaupt“, sagt sie stolz und zeigt auf die Urkunde, die hinter ihrem Schreibtisch hängt. Die Bachelor-Urkunde wird bald daneben hängen.