Hilchenbach. .
Die Klassenfahrt der 7 b findet auf der Titanic statt. Benjamin Schmitges setzt die Markierungen in der Gymnastikhalle der Carl-Kraemer-Realschule. Hier ist das Schiff, da drüben ist die rettende Eisscholle. Und die Teppichfliesen in seiner Hand sind kleine Eisschollen für den Weg dorthin. Sie werden sofort vom Hai gefressen, wenn keiner draufsteht. „Und der Hai bin ich“, teilt Schmitges mit. „Das wird übel schwer“, ahnt einer der Siebtklässler.
Auf dem Stundenplan steht „Soziales Kompetenztraining“. Benjamin Schmitges ist nicht Lehrer, sondern Schulsozialarbeiter. Sein Büro und seine Stelle teilt er sich mit Miriam Jacob, die für die Grundschulen in der Stadt da ist. Eine Stelle von 16, die in Siegen-Wittgenstein vor gut anderthalb Jahren geschaffen werden konnten, weil der Bund Mittel aus dem „Bildungs- und Teilhabepaket“ für geringverdienende Familien einsetzte.
„Bildungs- und Teilhabepaket“
Ende des Jahres läuft die Förderung aus. Die berufliche Zukunft der kommunalen Schulsozialarbeiter -- neben ihnen gibt es die, die das Land vor allem an Hauptschulen eingesetzt hat — ist ungewiss. Nicht jede Stadt setzt so deutliche Signale wie Netphen, wo jetzt über unbefristete Stellen auf städtische Kosten beraten wird.
In den Pausen ist Miriam Jacob immer auf irgendeinem Schulhof, Ansprechpartnerin für große und kleine Sorgen der Kinder. Eine heile Welt ist die Grundschule nicht. „Da geht’s teilweise heftig zur Sache“, schildert Miriam Jacob aggressive Übergriffe schon bei den Kleinsten. Viele Hintergründe erfährt sie, wenn sie den anderen Teil ihres Jobs tut: vor allem am Telefon, wenn sie sich mit Beratungsstellen, Lehrern und Eltern austauscht. „Seit ein paar Monaten“, berichtet die Sozialarbeiterin, „kommen Eltern auch häufiger direkt zu mir und suchen Rat, weil zu Hause etwas schief läuft.“ Die Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeiter werden wahrgenommen. Und oft können sie mit Kleinigkeiten helfen: beim Ausfüllen der Anträge, die für Zuschüsse zum Mittagessen, bei Ausflügen, bei Musikschule oder Sportverein, bei Schulbedarf oder Nachhilfe auszufüllen sind. All das kann das Jobcenter aus dem Bildungs- und Teilhabepaket auspacken.
Größere Kinder, größere Sorgen. Wenn es um Gesundheit oder Leben geht, kennt Benjamin Schmitges keine Schweigepflicht. „Ansonsten bleibt alles unter vier Augen“, erklärt er die Spielregeln, die er mit den Realschülern vereinbart hat. Zu seinen Aufgaben gehört auch die Betreuung des „Trainingsraums“, in dem Jugendliche Vorfälle aufarbeiten, die zu ihrem zeitweiligen Ausschluss aus dem Unterricht geführt haben. „Manchmal übernehme ich dann auch mal die vermittelnde Rolle.“ Den fälligen Brief an die Eltern kann Schmitges den Schülern aber normalerweise nicht ersparen. Natürlich werde auch an dieser Schule gemobbt — allein durch das Bekenntnis zu Zivilcourage und gegen Rassismus sei das Problem nicht gelöst. „Das im Denken zu verankern ist eine längere Aufgabe.“
Wiederholter Schiffbruch in der Gymnastikhalle. „Hört mal zu“, nimmt einer der Titanic-Ausflügler das Ruder in die Hand, „wir müssen das neu koordinieren.“ So sieht Erfolg aus.