Siegen. . Im zweiten Teil des Exklusivinterviews äußert sich der Siegener Bürgermeister Steffen Mues zum Thema Bildung. In den Köpfen der Siegener Bürger müsse sich das Bewusstsein, Universitätsstadt zu sein, viel mehr verankern. Dies sein schließlich ein Grund, stolz auf seine Stadt zu sein.
Siegen als Universitätsstadt und das Siegerland als starker Wirtschaftsstandort: Das sind doch schon zwei harte Fakten, die diese Stadt sehr attraktiv machen sollten und Siegen in Sachen Bevölkerungsentwicklung eigentlich besser als der Durchschnitt da stehen lassen sollten?
Die Profilierung als Universitätsstadt ist ganz wichtig. Dass die Universität ins Untere Schloss zieht, ist wichtig und richtig, denn die Uni wird dann viel mehr wahrgenommen werden. Wir müssen froh, glücklich und stolz sein, eine Universitätsstadt zu sein. Das ist Siegen in weiten Teilen der Bevölkerung noch nicht der Fall. Wenn Sie nach Heidelberg, Münster oder Marburg gehen und fragen dort, was wichtig für die Stadt ist, kommt an allererster Stelle die Universität. In Siegen kommt Uni bei vielen Bürgern unter Ferner Liefen. Gemeinsam mit der Universität haben wir uns vorgenommen, das Image als Universitätsstadt erst einmal nach Innen zu verbessern. Aber natürlich auch nach außen.
Jeder junge Mensch, der hier studiert hat, dann doch leider weg geht, dann aber von einer guten Studienzeit in einer schönen Stadt mit freundlichen Menschen berichtet, ist ein exzellenter Botschafter für Siegen. Wir sind mit dem Campus am Unteren Schloss und Siegen zu neuen Ufern auf einem guten Weg. Wo gibt es das? Ein Fluss so nah am Campus. Ich stelle mir künftig eine Oberstadt beziehungsweise eine Altstadt voll mit studentischem Leben vor. Der Begriff Oberstadt sollte über kurz oder lang ohnehin nicht mehr gebraucht werden: lieber ist mir Altstadt.
Die Zukunft der Bildung wird aber nicht nur vom Ausbau von Strukturen bestimmt sein, wie bei der Uni Siegen, sondern auch Abbau: Es werden weitere Schulen schließen. Wäre es sinnvoll ein Konzept „Siegen 2030“ zu entwickeln, um nicht alle paar Jahre neu über Schulstandorte diskutieren zu müssen?
Ein so langfristiges Konzept kann es nicht geben. Wir haben in den vergangenen Jahren Schulentwicklungspläne aufgestellt, die Planungen für fünf Jahre vorgesehen haben. Und selbst diese immer wieder relativ schnell Makulatur geworden. Es muss nur eine Gesetzesänderung kommen, dann stimmt fast nichts mehr. Außerdem denke ich, dass Schulen nicht bereits auf einer schwarzen Liste stehen sollten, wenn sie eigentlich noch vier oder fünf Jahren funktionieren können – wenn auch mit nur einer Klasse pro Jahrgang.
Wir haben ja schon einige Grundschulen geschlossen, wir sind jetzt auf dem Stand, der zurzeit keine Schließung unbedingt notwendig macht. Wir haben allerdings viele freie Raumkapazitäten in Grundschulen. Darüber müssen wir uns Gedanken machen. Die Grundschule am Fischbacherberg zum Beispiel, die einmal vierzügig ausgelegt war, hat jetzt das zweite Jahr hinter einander nur noch eine Eingangsklasse. Da stehen natürlich unheimlich viele Räume leer. So etwas haben wir auch an anderen Schulen, zum Beispiel in Seelbach. Mittelfristig müssen wir uns da etwas einfallen lassen, da das unwirtschaftlich ist. Aber: In dörflich geprägten Ortsteilen sollten wir Grundschulen so lange erhalten, wie es nur geht. Im innerstädtischen Bereich kann man eher einmal über Schließungen nachdenken.
Und die weiterführenden Schulen? Laut Schülerzahlenprognose verlieren bis 2016/2017 das Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium 32 Prozent Schüler, das Gymnasium Am Löhrtor 34 Prozent und das Gymnasium Auf der Morgenröthe 24 Prozent.
Wir müssen die Schülerzahlen bei den Gymnasien die nächsten zwei, drei Jahre noch genau beobachten, bevor wir Schlüsse ziehen. Diese Prognosen waren in der Vergangenheit stets schlechter als die tatsächlichen Anmeldezahlen. Das liegt sicherlich daran, dass wir eine neue Gesetzgebung haben - nämlich, dass Grundschulen nur noch Empfehlungen abgeben können, für welche Schulform Kinder geeignet sind. Entscheiden tun das aber die Eltern. Manche Kinder, die eine Realschulempfehlung haben, werden von ihren Eltern also am Gymnasium angemeldet. Nichts desto trotz werden wir über kurz oder lang ein Gymnasium weniger haben. Es wäre fatal, wenn wir im Bereich der Gymnasien gar nichts unternehmen würden und irgendwann plötzlich zwei Gymnasien zur Disposition stehen würden.
Stichwort Universitätsschule. Wenn diese Schule von der Kita bis zum Abitur kommt, würde das zu noch stärkeren Umwälzungen in der Siegener Schullandschaft führen.
Ja. Wir müssen aber erstmal abwarten, ob dieses Konzept genehmigt wird. Ich würde es begrüßen, wenn wir das hinbekommen. Gerade weil wir im Haupt- und Realschulbereich immer mehr Eltern haben, die ihre Kinder nicht an diesen Schulen anmelden. Mit dieser Alternative hätte man die Möglichkeit, auch diese Schüler wieder eher entsprechend ihrer Begabung zu fördern. Wir werden künftig kaum an neuen Schulformen vorbei kommen. In Freudenberg ist das Thema Gesamtschule ja interessant zu verfolgen. Wenn wir die Möglichkeit haben, im Rahmen eines Schulversuchs mit der Universitätsschule so etwas wie landesweit vielleicht sogar ein Leuchtturmprojekt zu schaffen, dann sollten wir diese Chance ergreifen. Das geht natürlich nur in einem bestehenden Schulgebäude. Darüber muss man sich klar sein.
Die Folgen des demografischen Wandels berühren Bürger in allen Lebensbereichen. Wäre es nicht sinnvoll, ein großes Leitbild für die Stadt Siegen zu entwerfen – auch zur Orientierung für die Bürger, wohin die Reise geht?
Wir sind genau in dieser Frage gerade in einem Diskussionsprozess mit den Ratsfraktionen. Alle führenden Verwaltungsmitarbeiter und ich als Bürgermeister favorisieren die Entwicklung eines solchen Leitbildes. Ich würde es aber lieber eine langfristige strategische Ausrichtung nennen. Aber ich muss natürlich sehen, wie die politische Realität ist. Eine langfristige Ausrichtung zu entwickeln, bei der Möglichkeit, dass sich politische Mehrheiten nach Wahlen ändern, ist eine schwierige Sache.
Eine gesamtstrategische Ausrichtung wird sicherlich immer nur mit Mehrheit beschlossen. Ich kann mir zum Beispiel nicht vorstellen, dass wir eine Einstimmigkeit in der Frage hinbekommen, wo und wie viele Gewerbeflächen Siegen in den kommenden 20 Jahren benötigt. Bei solchen strittigen Themen würde es in dem Gesamtkonzept eine Protokollnotiz geben nach dem Motto ‘Wir sind für alles, aber nicht für Gewerbeflächen’. Wenn es so kommt, macht eine langfristige Ausrichtung nur wenig Sinn, weil sie nicht verlässlich ist, wenn es neue politische Mehrheiten im Rat gibt. Es wird daher wahrscheinlich eher Einzelkonzepte geben als ein großes Gesamtkonzept.