Kreuztal. . Die Reporter der WR-Landesredaktion haben im zurückliegenden Jahr etliche Geschichten veröffentlicht. Ihre bewegendste lassen sie noch einmal Revue passieren - und fragten bei den Betroffenen nach, wie ihr Leben weitergegangen ist. Heinz Krischer war bei der Familie Plett aus Kreuztal.

Als Journalist, so habe ich es gelernt, sollst du Distanz wahren zum Thema, über das du gerade schreibst. Das hilft, möglichst objektiv zu berichten. So weit die Theorie. Ich gebe zu: Als ich im Sommer nach Kreuztal fuhr und dort die Familie Plett kennenlernte, wurde dieses Prinzip auf eine harte Probe gestellt.

Bei Leon Pletts Geburt vor vierzehn Jahren hatte ein Gynäkologe einen schweren ärztlichen Kunstfehler begangen. Er holte das bis dahin gesunde Kind zu eilig aus dem Mutterleib und quetschte ihm dabei mit der Geburtszange den Kopf. Leon erlitt starke Gehirnblutungen. Seitdem ist der Junge schwerstbehindert.

All die Widrigkeiten, die die Behinderung mit sich bringt, meistert Familie Plett mit einer bewundernswerten Stärke. „Aber wir haben auch viele Freunde, die uns seit Jahren unterstützen“, zeigt sich Leons Mutter Anke Plett dankbar.

Das Oberlandesgericht Hamm gab den Eltern endlich Recht

Tatsächlich hatte die Familie auch jede Unterstützung nötig. Denn neben der Bewältigung des Alltags mit dem behinderten Leon musste sie zwölf Jahre lang für Gerechtigkeit kämpfen. Musste sie Gutachten und Gegen-Gutachten, Stellungnahmen und neue Sachverständigen-Bestellungen erdulden, bis endlich das Oberlandesgericht Hamm im Sommer dieses Jahres den Eltern Recht gab. Es verurteilte den Gynäkologen zu einer der höchsten Schmerzensgeldzahlungen, die dort je verhängt wurden.

Leons Schicksal in den Medien ein Thema bis Arzt das Urteil annahm 

Doch: Damit war immer noch nicht klar, ob der Arzt bzw. seine Versicherung zahlt – ihm stand noch ein weiterer Klageweg offen, und als ich damals den Verteidiger des Arztes fragte, ob er diesen Weg tatsächlich gehen wolle, ließ er es zunächst noch offen. Erst wenige Tage, nachdem wir und später auch einige andere Medien über Leons Schicksal berichteten, erklärten der Arzt und seine Versicherung, das Urteil annehmen zu wollen.

„Seitdem hat sich viel getan“, berichtet ein halbes Jahr später Leons Mutter Anke Plett, als ich sie noch einmal anrufe. Tatsächlich sei das Schmerzensgeld auf ihrem Konto eingetroffen. Natürlich kann mit Geld keine Gesundheit erkauft, kann die Behinderung von Leon nicht rückgängig gemacht werden.

Schmerzensgeld macht Leon das Leben ein Stück leichter

Aber endlich konnten sich die Eltern ein umgebautes Auto bestellen, in das Leon mit seinem Rollstuhl hereingefahren werden kann. Und für das nächste Jahr planen sie, mit ihrem Sohn zu einer Delfin-Therapie zu reisen, die sie sich bisher nicht leisten konnten.

Leon, der so wunderbar lächeln kann, hat meine professionelle Distanz schnell aufgehoben. Und ich bin heute noch froh über die bewegende Begegnung mit ihm – und ärgere mich andererseits darüber, wie schwierig es doch manchmal ist, dass die Gerechtigkeit siegt.

Bewegende Geschichten, Teil 1
Bewegende Geschichten, Teil 2