Netphen. . Eigentlich haben sie zu früh gefeiert. Denn außer dem Entnahmeturm und dem Damm, auf dem die Festgesellschaft entlangspazierte, bevor sie sich zum Eintopfessen in die Kulturhalle begab, war am 7. November 1972 von der Obernautalsperre noch nicht viel zu sehen.

Eigentlich haben sie zu früh gefeiert. Denn außer dem Entnahmeturm und dem Damm, auf dem die Festgesellschaft entlangspazierte, bevor sie sich zum Eintopfessen in die Kulturhalle begab, war am 7. November 1972 von der Obernautalsperre noch nicht viel zu sehen. Landwirtschaftsminister Dieter Denicke, der später aus Protest gegen die Planung einer Autobahn durchs Rothaargebirge zurücktrat, hätte noch ein Jahr warten müssen. Erst im August 1973, als die Aufbereitungsanlage in Dreis-Tiefenbach ihren Betrieb aufnahm, lieferte die Obernautalsperre ihre ersten Liter Trinkwasser.

1972 war ein trockenes Jahr, berichtet Friedrich Flender, der zum Jubiläum das Archiv des Wasserverbands gesichtet hat: Damit sich überhaupt etwas auf dem Grund des Sees tat, auf dem wenige Jahre zuvor noch drei Dörfer standen, wurde Wasser über eine Leitung aus der Sieg ­­hi­naufgepumpt – „damit man überhaupt einmal etwas anstauen konnte“. Oft sei sie später noch von der neuen Wohnung die paar Meter zum Damm gelaufen, erzählte eine ehemalige Nauholzerin unserer Zeitung zehn Jahre später: 45 Meter unter dem Wasserspiegel haben ihr Haus und ihr Hof gestanden.

Neu-Nauholz wurde nie gebaut

Am 11. Oktober 1960 fand die erste Bürgerversammlung in Brauersdorf statt – im Gasthof Werthenbach, der dem Talsperrendamm weichen sollte. Was damals noch Gerücht war, wurde knapp ein Jahr später offiziell. 1964 begann der Exodus aus Obernau und Brauersdorf — und auch aus Nauholz: Das Dorf, zweieinhalb Kilometer von Brauersdorf entfernt, wurde zwar nicht überspült. Aber es wäre von jeglicher Versorgung abgeschnitten gewesen. „Aus hygienischen Gründen“, hieß es in einer Festschrift des Wasserverbands, wurde auch Nauholz dem Erdboden gleich gemacht.

Ein „Neu-Nauholz“, wie es in der Wüste Beienbach hätte angelegt werden können, ist nie entstanden. Viele „Wasserflüchtlinge“ bauten in Brauersdorf, unweit der Talsperre, neue Häuser. Auch Adressen wie der „Nauholzer Weg“ in Deuz oder der „Obernauer Weg“ in (Neu-)Brauersdorf erinnern an die große Umsiedlung von 365 Netphener Bürgern. Mit den Höfen gingen Erwerbsgrundlagen verloren: Nicht alle wechselten in die Industrie. Einige fanden neue Arbeit beim Wasserverband — an der Talsperre. Und einer sattelte in die Gastronomie um: Heinrich Schäfer eröffnete das Ausflugslokal „Zur Heinrichshöhe“.

Letzte Baumaßnahme der Gemeinde Nauholz war ein Holzabfuhrweg oben am Hang — heute Teil des beliebten Rundwegs um die Talsperre. Am 26. Juni 1966 — daran erinnert der Netphener Heimatforscher Heinz Stötzel in einem Aufsatz — wurde der letzte Gottesdienst in der Obernauer Kapellenschule gefeiert.

Die Glocke hat einen neuen Platz in dem Glockenturm auf der Sandhelle gefunden, wo an jedem 1. Mai an die drei untergegangenen Talsperrendörfer erinnert wird. Die Kapelle selbst wartet im Freilichtmuseum Detmold auf den Wiederaufbau — ebenso wie das Brauersdorfer Gasthaus Werthenbach, wo 1961 die erste Bürgerversammlung stattgefunden hatte.

Eine „sterbende Ortschaft“ beschreibt Heinz Stötzel: Am 6. August 1968 setzt der Innenminister den Netphener Amtsdirektor Ermert als Staatskommissar für Obernau ein, „weil kein beschlussfähiger Gemeinderat mehr vorhanden ist“. Gastwirt Helmut Werthenbach ist der letzte, der den Ort mit seiner Familie verlässt. „Keiner ist gern gegangen“, stellte einer der früheren Obernauer zehn Jahre nach der Talsperreneröffnung im Gespräch mit unserer Zeitung klar. Buchstäblich eingebrannt in die Erinnerung haben sich die Bilder von den Häusern, die von der Feuerwehr abgefackelt wurden: „Daran denke ich auch heute noch, wenn ich Feuer sehe“, sagte eine Nauholzerin 14 Jahre nach ihrem Umzug.