Siegen. .

Es war ein Sommertag im Juli 2010, als die Idee geboren wurde: Der Siegener Journalist und Rockmemorabilia-Sammler Wolfgang Thomas und sein Sohn Kevin erlebten in 500 Meter Tiefe in einem ehemaligen Bergwerk in Merkers/Thüringen ein nicht alltägliches Rockkonzert.

„Jethro Tull“ trat dort auf, wo bis vor einigen Jahrzehnten Bergleute ihrer harten Arbeit nachgegangen waren. Die hohe Zeit des Ruhms der Band Jethro Tull ist zwar längst vorbei, aber immer noch gibt es eine riesige Fangemeinde, die bereit ist, ihr auch an entlegene Orte zu folgen.

Erfahrungen mit Buch über die „Stones“

Unter den vielen Büchern, die sich mit Jethro Tull befassen, hat es bislang noch keines von deutschen Autoren gegeben. Das haben Wolfgang und Kevin Thomas nun in zweijähriger intensiver Recherchearbeit nachgeholt. Wolfgang Thomas konnte dabei auf seine Erfahrungen zurückgreifen, die er mit einem ersten Werk vor 14 Jahren machte: „Rolling Stones Over Germany“. Analog heißt der prächtige Bildband „Jethro Tull Over Germany“ und ist gerade in die Buchläden gekommen, 256 Seiten stark und mit einiger Gewissheit die vollständigste Chronologie des musikalischen Weges der Kult-Band in Deutschland.

1970 hat Jethro Tull das erste Konzert in Deutschland gegeben: Der legendäre Fritz Rau holte die Band in die Jahrhunderthalle in Frankfurt, die viel zu klein war, um die zahlreichen Kartenwünsche der Fans zu erfüllen. Mit Pflastersteinen verschafften sich daher einige junge Leute, die zuvor vergeblich für Tickets angestanden hatten, gewaltsam Zutritt zur Jahrhunderthalle.

Wolfgang (61) und Kevin Thomas (34) haben dieses denkwürdige Konzert ebenso dokumentiert wie auch die vielen noch über die Jahre folgenden Auftritte von Jethro Tull oder Frontmann Ian Anderson in Begleitung bewährter Mitstreiter und begabter Nachwuchskräfte – stets der Entwicklung folgend, die in Alben wie „Aqualung“ und „Thick as a brick“ zwei ihrer Höhepunkte hatte.

Das blieb auch in der ehemaligen DDR nicht unbemerkt: Westliche Rockmusik war zwar offiziell verpönt. Doch gab es dort auch eine Gruppe namens „Electra“, die von Jethro Tull inspirierte Musik machte. Nach der Wende erst kam Ian Anderson selbst ins Land.

Zur Chronik gehören natürlich auch die in Siegen gegebenen Konzerte, die stets vor ausverkauftem Haus respektive Schlossplatz stattfanden. Und wer weiß schon, dass im benachbarten Kreis Altenkirchen bis Ende der 1980er Jahre eine ansehnliche Fangemeinde existierte, die sich Jethro Tull und Ian Anderson widmete?

Initiatorin vieler Treffen war die von dort stammende Lehrerin Ulla Hilge. Sie ist eng befreundet mit Clive Bunker, dem Ur-Schlagzeuger von Jethro Tull, der auf Aqualung trommelte. Clive Bunker war auch im Lesecafé der Stadtbücherei im Krönchencenter dabei, als Familie Thomas das Buch vorstellte.

Präsentation zu Klängen von Ouwe

Es ist erschienen im Verlag Rock-Museum Siegen von Maria Thomas, der Ehefrau von Wolfgang und Mutter von Kevin. Sie las einige ausgewählte Kapitel aus dem informativen Buch, das bei der Generation, die mit Jethro Tull aufgewachsen ist, viele Erinnerungen weckt. Die Präsentation wurde musikalisch von der Dorstener Covergruppe „Ouwe“ gestaltet, die bekannte Tull-Stücke interpretierte.

Wie schon bei den „Stones“ ist es die Fülle der Details, die oft ungewöhnliche Perspektive von Wegbegleitern, Zufallsbekanntschaften, Fans und Profis des Showbusiness, die es möglich machen, den Spuren von Jethro Tull zu folgen und ein wichtiges Stück Rockgeschichte in Deutschland nachzuvollziehen. Noch nie veröffentlichte Fotos und ausführliche Interviews beleuchten das Auf und Ab der Band, spiegeln ebenso den jeweiligen Zeitgeist wider.

Ian Anderson zu Pfingsten am Giller

Ian Anderson ist als Musiker immer noch gefragt. Heute widmet er sich daheim in Großbritannien dem Erhalt alter Kirchen; das könne er sich auch für Deutschland vorstellen, sagt er im Interview mit Kevin Thomas. Pfingstsamstag gibt es beim KulturPur-Festival am Giller die Gelegenheit, ihm zuzuhören. Er wird vielleicht nicht auf einem Bein stehend „Bouree“ flöten, aber höchst gut aufgelegt sein.