Siegen. . Rechtsextremismus ist kein ostdeutsches Problem, sagt Dr. Oliver Decker. Zumindest nicht ausschließlich. „Es gibt ihn auch in Siegen“, betont der Wissenschaftler, Vertretungsprofessor für Sozial- und Organisationspsychologie an der Uni Siegen.
Er hat gemeinsam mit seinen Assistenten Patrick Pahner und Annina Weiß die rechte Szene in Siegen unter die Lupe genommen. Und zwar im Auftrag der Stadt. Die wiederum nimmt seit Mitte dieses Jahres am Bundesprogramm „Toleranz fördern – Kompetenz stärken“ teil.
Das Familienministerium hat der Verwaltung weitere 90 000 Euro für das kommende Jahr zugesagt. Eine Bedingung trägt den schönen Namen „Situations- und Ressourcenanalyse im Rahmen des Lokalen Aktionsplans“.
In die 48 Seiten starke Ausarbeitung hat Oliver Decker nicht nur eine Bestandsaufnahme rechtsradikaler Aktivitäten gepackt. Er schaute sich auch an, was bereits gegen braunes Gedankengut und Agitation getan wird. Und wo Verbesserungen notwendig sind.
Denn der Lokale Aktionsplan ist ein zentrales Element des Programms. Gemeinsam mit freien Trägern erarbeitet die Stadt darin Projekte, Aktionen und eine Strategie für Vielfalt, Toleranz und Demokratie – gegen Rechtsextremismus, Fremdenfeindlichkeit und Antisemitismus.
Der Wissenschaftler hat sich mit seinen Mitarbeitern auf zwei verschiedene Arten von Informationen gestützt. Einerseits werteten sie Dokumentationen etwa in Archiven und im Internet aus. Andererseits führten sie Interviews mit Experten. Sie befragten „Akteure, die in die kommunalpolitische und zivilgesellschaftliche Arbeit eingebunden“ sind.
Ebenso floss in die Bewertung das Ergebnis der Kommunalwahl vom 30. August 2009 ein. Rund 650 bis 700 Leute machten demnach ihr Kreuz entweder bei der NPD oder bei den Republikanern. Was die Forscher um Oliver Decker allerdings mehr erstaunt als nur das Ergebnis: „Der hohe Mobilisierungsgrad der NPD an Kandidaten ist bemerkenswert.“ In jedem Wahlbezirk stellte die Partei einen Kandidaten. Das lasse, so der Wissenschaftler, auf einen hohen „Organisationsgrad und Wirkungsradius“ schließen.
Eine Rolle könnte die damals enge Kooperation mit den Freien Kräften um die Freien Nationalisten Siegerland (FNSI) gespielt haben, folgert Oliver Decker: „Im August allerdings kam es zum Bruch von NPD und FNSI.“ Das bedeute aber nicht, „dass die lokalen Kräfte dadurch substanziell geschwächt wurden“. Auch in Siegen scheinen sie sich zu stabilisieren: „Durch die dezentrale und nicht-institutionalisierte Organisationsform weisen sie eine deutlich höhere Resistenz gegen staatliche Repressionsformen auf.“
Decker bescheinigt Siegen aber auch gut etablierte Strukturen für die Arbeit gegen Rechtsradikalismus. Teilweise sind sie von der Stadt initiiert, teilweise sind Verbände und Vereine dafür verantwortlich. Er und seine Assistenten geben auch Handlungsempfehlungen. Eine davon lautet, Demokratie mit Leben zu füllen. Unter anderem durch Demokratisierung von Bildungseinrichtungen. Schüler müssten Demokratie lernen – und zwar nicht nur im Zuge einer Projektwoche. Zudem gelte es, Diskriminierung zu verhindern: „Islamophobie ist eine Einstiegsdroge in den Rechtsradikalismus.“