Siegen.
Demonstrativ freizügig gekleidete Frauen gehen am Samstag in vielen deutschen Städten auf die Straßen, um für ihre Selbstbestimmung zu kämpfen. In Köln treffen sie sich zum Beispiel um 15 Uhr auf der Domplatte. Der Bundesverband der Frauenberatungsstellen (bff) unterstützt sie dabei. DerWesten sprach mit der Diplom-Sozialpädagogin Katharina Stephani vom Siegener Verein Frauen helfen Frauen, der dem bff angehört, über die „Schlampen-Märsche“ und ihre Erfahrungen als Beraterin vor Ort.
Wie entstand die neue Bewegung?
Im Januar sagte ein Polizist in Toronto, dass Frauen es vermeiden sollten, sich wie Schlampen zu kleiden, um nicht vergewaltigt zu werden. Und das bei einer Universitätsveranstaltung zum Thema Vergewaltigung. Die kanadischen Frauen waren empört und gingen auf die Straße. Nun ist diese Bewegung auch nach Europa gekommen. Die Demonstrantinnen sind bei den Märschen nicht nur freizügig gekleidet, sondern tragen auch Transparente, auf denen Schimpfworte, die ihnen begegnen, stehen.
Wofür kämpfen die Demonstrantinnen?
Es kann nicht sein, dass Opfer von sexueller Gewalt anstelle der Täter in die Verantwortung genommen werden und Straftaten dieser Art auch noch für die Kleiderwahl des Opfers Relevanz haben sollen. Die Demonstrantinnen gehen öffentlich auf die Straße, weil genau dieses Bild noch in den Köpfen drin ist. Es darf nicht sein, dass die persönliche Kleiderwahl darüber entscheidet, ob Frauen Opfer werden. Denn diese Vorstellungen führen letztlich dazu, Täter zu entlasten, und tragen außerdem zu einer Verharmlosung sexualisierter Übergriffe bei.
Wie sind Ihre Erfahrungen bei der Siegener Beratungsstelle?
Bei fast allen Gesprächen, schwingt bei den betroffenen Frauen die Frage mit „Bin ich nicht selbst schuld?“ Sie überlegen, ob sie durch ein anderes Verhalten oder eben durch andere Kleidung nicht zum Opfer sexueller Gewalt geworden wären. Sie fragen sich, ob sie bei Dunkelheit nicht mehr vor die Tür hätten gehen sollen. Sie fühlen sich oftmals schuldig, was dazu führt, dass meist von einer Anzeige abgesehen wird und der Täter davon kommt. Das ist auch ein Grund für die hohe Dunkelziffer bei sexualisierten Straftaten.
Was steckt hinter dem Protest?
Das Bild der „Schlampe“ in unserer Gesellschaft bezieht sich darüber hinaus auch auf die sexuelle Selbstbestimmung von Frauen im Allgemeinen. Ich erlebe immer wieder in Gesprächen, dass Frauen sich in ihrer Sexualität beschränken lassen, aus Angst als Schlampe zu gelten. Sie denken zum Beispiel es könnte ihrem Ruf schaden, nach einer Trennung sofort eine neue Beziehung einzugehen. Während bei Frauen oft nur der Verdacht wechselnder Sexualpartner reicht, um sie als Schlampe abzustempeln, ist das bei Männern kein Thema. Es herrscht hier noch ein stark geschlechtsspezifisches Denken. Auch auf diese Art der Diskriminierung wollen die Schlampen-Märsche aufmerksam machen.