Deuz. Was als Rock & Reggae anfing, ist längst international Kult: Sogar aus Japan und USA kommen Fans nach Deuz – wenn sie denn an Tickets kommen.
Wer nicht auf Mainstream-Rockmusik, sondern auf Heavy-, Stoner-, Psychedelic-, Doom-, Kraut- und Blues-Rock abfährt, dessen Wurzeln in den 1970er Jahren liegen, kommt als Anhänger dieser alternativen Musikgenres beim Freak Valley Festival (FVF) auf dem Gelände der „AWO Siegener Werkstätten - Betrieb Deuz“ voll auf seine Kosten. Initiiert wurde dieses mehrtägige Open Air Spektakel 2012 von den Rock Freaks, einem zunächst losen Zusammenschluss von etwa 12 Leuten.
Jens Heide, der Vorsitzende von Rock Freaks e.V., war in Deuz bis Ende der 1990er Jahre schon bei den legendären Rock-und-Reggae-Festivals als Organisator mit dabei. Er ist der „Booker“, der in der Szene bestens vernetzt ist und die Bands für das FVF bucht. So ist er auch in der Lage, auch bei kurzfristigen Bandabsagen für gleichwertigen Ersatz zu sorgen. Hiervon profitierten in diesem Jahr als Nachrücker „Stinking Lizaveta“ und „Kanaan“. Bereits seit Donnerstag bebt im Tal der Freaks wieder die Erde, wenn die Bässe von der Bühne aus den Boxen wummern. Bei der elften Auflage des FVF bilden 25 Bands das Line-Up auf der Hauptbühne. Außerdem nutzt „The Mad Hatter“, die Haus- und Hofband des FVF, die dortigen Umbaupausen, um die Besucher bestens zu unterhalten.
Planschbecken und Flipper für die Band-Mitglieder beim Freak Valley Festival
Beim ersten FVF war sie 2012 noch als Besucherin auf dem Gelände der AWO Siegener Werkstätten in Deuz. Danach wurde sie als erste Frau Mitglied bei den Rock Freaks, die als Veranstalter das FVF auf die Beine gestellt hatten. Die Rede ist von Ellen Hausicke, seitdem verantwortlich für den Backstage-Bereich. Hier kümmert sie sich, seit 2015 gemeinsam mit Nadine Sucharda als „Partner in Crime“ um das Wohlergehen der bei dem „Heavy-Stoner-Blues-Psych-Fest“ auftretenden Bands. Deren Mitglieder werden hier nicht nur kulinarisch verwöhnt, und das inzwischen fast ausschließlich vegan. Wer vor oder nach seinem Auftritt mehr als nur chillen will, findet hier nicht nur ein Planschbecken zur Abkühlung vor, sondern in diesem Jahr erstmals auch einen Flipperautomaten. Ergänzt wird das Backstage-Team durch mehrere hierfür aus dem etwa 350 Leute umfassenden Helferteam ausgesuchte Helferinnen und Helfer.
Mit den Mitgliedern der vielen ausländischen Bands und ihren Tour-Managern wird meistens auf Englisch kommuniziert. „Dies war bei mir einmal auch fast drei Tage lang gegenüber der Band ‚Kadavar‘ der Fall“, erinnert sich Ellen Hausicke schmunzelnd. „Bis ich schließlich merkte, dass ein Band-Mitglied sich mit jemand anderem in fließendem Deutsch unterhielt. Kein Wunder, es handelt sich ja um eine Berliner Rockband, was ich vorher aber noch nicht wusste.“ In diesem Jahr ist „Kadavar“ wieder mit dabei und als Headliner die letzte Band des Samstagabends, die von Kult-Moderator Volker Fröhmer wie alle Bands davor angesagt wird. Dabei dürfen die Worte „Liebe Freunde“ und „Viel Spaß“ zu Beginn und am Ende seiner Ausführungen natürlich nicht fehlen.
Nur ganz selten wird es hinter der Bühne des Freak Valley Festival mal hektisch
„Überhaupt sind die Musiker selbst zu 99 Prozent sehr handzahm und lieb, große Kinder, die von uns in unserer Wohlfühl-Kita betreut werden“, stellt Ellen Hausicke im Gespräch selbstbewusst fest. Sonderwünsche sind eher selten und werden dann meist von den Tour-Managern vorgebracht. Es gab aber auch einmal eine Sängerin, die sich weigerte, die Bühne zu betreten, wenn ihr nicht vorher ein körpergroßer Spiegel zur Selbstbegutachtung zur Verfügung gestellt würde. Die hektische Suche im AWO-Gebäude nach dem gewünschten Utensil sorgte dann doch für unvorhergesehenen Stress, bis auch dieses Problem gelöst war. Mindestens genauso viel Aufregung verursachte 2019 ein Musiker des australischen Headliners ‚Wolfmother‘, als er die Chip-Karte vermisste, die ihm Zugang zu seinem Hotelzimmer in einem Hotel ermöglichte, dessen Rezeption zur vorgerückten Stunde nicht mehr besetzt war. Erst nach einer Dreiviertelstunde war die gemeinsame Sucherei erfolgreich und nicht nur das Backstage-Team konnte aufatmen. Die Band erreichte schließlich doch noch rechtzeitig ihren Flieger.
Da viele Musiker lange Haare und Bärte tragen, ist es für Ellen Hausicke nicht immer ganz einfach, in dem oft herrschenden Gewusel die einzelnen Bandmitglieder richtig zuzuordnen. Dabei gehört es auch zu ihren Aufgaben, sie trotz bester Feierlaune rechtzeitig daran zu erinnern, dass es aus Termingründen an der Zeit ist, sich auf die Abreise vorzubereiten. Sie selbst übernachtet während des FVF direkt vor Ort. Die meisten Helfer und Helferinnen schlafen auf dem eigens für sie ausgewiesenen Helferzeltplatz auf dem Beienbacher Fußballplatz und nutzen nachts die bereitgestellten Shuttle-Busse zum Campingplatz. Frühstücken können sie dann gemeinsam im Pausenraum des AWO-Gebäudes.
Tattoos, Yoga und ein Kids Valley: Freak Valley ist für alle da
Dass man beim FVF wie zu einem großen Familientreffen zusammenkommt, stellte Ellen Hausicke am 6. Juni 2015 ganz besonders unter Beweis. Nach ihrer standesamtlichen Heirat auf der Ginsburg fuhr sie mit der gesamten Hochzeitsgesellschaft zum FVF-Gelände. Hier flog ihr Brautstrauß im hohen Bogen von der Bühne ins Publikum. Anschließend nahm die Hochzeitsfeier in einem auf dem Festivalgelände befindlichen Pavillon erst so richtig Fahrt auf.
Legendär: Freak Valley Festival in Deuz – hier sind die Fotos
Damit das gemäß der Leitlinie „Klein, aber fein“ ausgerichtete FVF ein nicht kommerzielles Festival für die ganze Familie bleibt, gibt es auch wieder im „Kids Valley“ im Innenhof des AWO-Gebäudes eine Kinderbetreuung. Kostenlose Trinkwasserzapfstellen und die Schaukeln auf dem Festivalgelände erfreuen nicht nur die kleinen Gäste.
Auch in diesem Jahr gibt es wieder einige Neuerungen. Für den Frühstücksservice auf dem Beienbacher Campground ist erstmals das von der AWO in Deuz betriebene Inklusionshotel Fünf10 verantwortlich. Ein Tätowierer sorgt dafür, dass die Festivalerinnerungen noch lange unter die Haut gehen. Yoga zu Tracks der Freak Valley Bands? Doom Yoga am DJ-Pult macht‘s möglich. Thailändische Leckereien gefällig? Auch kein Problem.
Zwei Bands brauen beim Freak Valley Festival sogar ihr eigenes Festivalbier
Bewährt hat sich die rollstuhlgerechte Rampe, um vom Aussichtspodest den freien Blick auf die Bühne zu genießen. Bezahlt werden Speisen und Getränke wieder mit Chips an den Festivalbändchen, die auf dem Zeltplatz am Donnerstagmittag auf Wunsch schon mit 50 oder 100 Euro aufgeladen erworben werden konnten. Die Cocktail-Bar lockt mit einem veränderten Angebot und neben Pils und Craftbier ist, solange der Vorrat reicht, auch ein von zwei Rockfreaks gebrautes Festivalbier wieder erhältlich. In der Garderobe können nicht nur Handys aufgeladen, sondern auch die gegen Bargeld erworbenen Merch-Artikel zwischengelagert werden, um unbeschwert das Festival zu genießen.
Freak Valley: Konzerte für den WDR-Rockpalast – Fans reisen aus Neuseeland an
Dass das Line-Up des FVF unter dem Motto „No Fillers – Just Killers!“ zusammengestellt wird, hat sich längst herumgesprochen. Auch das FVF 2024 war wieder im Nu ausverkauft. Einige der rund 2.800 Eintrittskarten gingen quer durch Europa von Malta bis nach Norwegen und in Übersee von den USA bis nach Neuseeland. Aber auch das Line-Up ist wieder international. Unter anderem zählen Griechenland, Schweden, Norwegen, USA, Japan und Australien zu den Heimatländern der teilweise nicht zum ersten Mal beim FVF auftretenden Bands. Als ultimativer „Ritterschlag“ für das Festival ist auch der WDR-Rockpalast mit fast 50 Leuten wieder vor Ort. Traditionell werden auch diesmal die meisten Konzerte des FVF zunächst im Livestream, dann im Juli jeweils in allen Nächten vom Sonntag auf Montag im WDR-Fernsehen und anschließend dauerhaft auf Youtube nicht nur für die Rockfreaks erlebbar, die bei dem Run auf die Eintrittskarten leer ausgegangen sind. Schließlich gibt es auch in diesem Jahr wieder ordentlich was auf die Ohren, seit sich das obere Siegtal erneut für drei Tage in das Tal der Freaks verwandelt hat. Und bei Moshpits, Headbanging und Crowdsurfing können sich die Rockfreaks wieder richtig austoben. Die Security-Mitarbeiter dagegen genießen auch in diesem Jahr wieder die entspannte und friedliche Festivalatmosphäre.
Ganz ohne Regenschauer kommt das FVF 2024 aber nicht aus. Zumindest beim Aufbau der Bühne öffneten sich die Schleusen von oben und sorgten für einen durchnässten Rasen auf dem AWO-Gelände. Und in Beienbach mussten auf dem Campingplatz einige Fahrzeuge, die sich festgefahren hatten, aus dem Schlam(m)assel befreit werden. Auf eventuelle Wetterkapriolen haben sich die meisten Festivalbesucher jedoch durch passende Regenbekleidung eingestellt, zumal Regenschirme ja tabu sind, damit der Blick zur Bühne möglich bleibt. Bisher hatte der Wettergott seit dem Beginn des diesjährigen FVF aber ein Einsehen mit den Rockfreaks. Aber auch völlig durchnässt lässt es sich ja ebenfalls weiterfeiern. Und die nächtliche bunte Beleuchtung des Festivalgeländes mit seinem Baumbestand macht bei Cocktails, Wein und Bier den Regen schnell wieder vergessen.
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