Siegen. Das Aus oder noch eine Verlängerung? Entscheidung im Kreistag möglicherweise erst im Juni
Es waren zwar nur rund 130 Menschen zum Nationalpark.Forum ins Lyz eingeladen. Sie aber vertraten, wie es die Kreisverwaltung formulierte, „alle relevanten Gruppen und Institutionen einschließlich der tangierten Träger öffentlicher Belange“. Kurzum also die, die später mitreden, wenn sich der Kreistag dazu entschließt, dass Siegen-Wittgenstein sich um einen „Nationalpark Rothaarkamm“ bemüht, einen etwa 4650 Hektar großen Streifen zwischen Lützel und Hainchen auf beiden Seiten der Grenze zwischen Siegerland und Wittgenstein.
Deren Urteil? Die Abgesandten der fünf Arbeitsgruppen tun sich teilweise schwer, allzu deutlich zu werden. Wer addieren mag, kommt am Ende auf 29 Stimmen für eine Bewerbung. Viele andere sind dagegen, viele wollen zumindest noch mehr Bedenkzeit. „War das der Einstieg oder der Abschluss?“, fragt Landrat Andreas Müller am Ende. Signale deuten darauf hin, dass der Kreistag noch nicht am 15. März darüber entscheiden wird, sondern frühestens in seiner Juni-Sitzung. Die Nationalpark-Debatte geht weiter.
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Der Landrat
Schon bei der Begrüßung macht Landrat Andreas Müller aus der eigenen Zurückhaltung keinen Hehl. Natürlich sei Siegen-Wittgenstein „im Grunde sehr stolz“ auf seine Landschaft („ein Hotspot der Natur in NRW“). Aber der Kreis sei eben auch „Industrieregion im Grünen“, „und wir wollen natürlich kein Industriemuseum werden.“ Ein zweiter Nationalpark in NRW sei „erst mal eine charmante Idee, aber nicht an jedem Ort und um jeden Preis“. Die Begeisterung auch in den anderen fünf Regionen, die auf der Vorschlagsliste stehen, halte sich in Grenzen. „Zuallererst“, so Müller, sei der Nationalpark ein Tourismusprojekt, der eine „schlagkräftige Tourismusarbeit“ erfordere. „Wollen Sie entsprechend investieren?“, fragt Müller die anwesenden Kreistagsmitglieder, die gerade mehrheitlich die Abwicklung des Tourismusverbandes Siegen-Wittgenstein eingeleitet haben.
Wisente als Nachbarn
Ein Nationalpark Rothaarkamm wäre zusammen mit dem Heiligenborner Wald der Dieter-Mennekes-Umweltstiftung 4650 Hektar groß. Hinzu kommen angrenzende Naturwaldzellen und Wildnisgebiete, die forstlich nicht genutzt werde. Ein großer Teil der Fläche ist bereits als Flora-Fauna-Habitat-Gebiet (FFH) und als Naturschutzgebiet geschützt. Daran grenzen das FFH-Gebiet Eder bis zur Landesgrenze, und die in den Hochsauerlandkreis reichenden FFH-Gebiete Schwarzbachtal und Schanze an, letzteres auch Streifgebiet der ausgewilderten Wisent-Herde. Innerhalb des möglichen Nationalparks befinden bisher noch bewirtschaftete Flächen des Vertragsnaturschutzes: „Diese haben für viele landwirtschaftliche Betriebe in der Region durchaus große Bedeutung“, sagt Arno Wied, Umweltdezernent des Kreises Siegen-Wittgenstein.
Der Staatssekretär
Umwelt-Staatssekretär Viktor Haase weiß, dass die Nationalpark-Idee nicht überall auf Gegenliebe stößt. Sogar von Bürgerbegehren sei schon die Rede, sagt er. Andererseits: Der Nationalpark Eifel feiere gerade sein 20-jähriges Bestehen. „Heute sagt niemand mehr, dass das eine falsche Entscheidung war.“ Die Landesregierung habe sich bei ihren Vorschlägen auf Flächen beschränkt, die – wie vor allem der Staatswald – in Landeseigentum sind. „Wir werden niemanden zwingen, Flächen an den Nationalpark abzugeben.“ Ohne einen Konsens mit den örtlichen Akteuren werde das Land keinen Nationalpark ausweisen, sagt der Staatssekretär.Vor dem Beginn des Verfahrens, das mit einem Kabinettsbeschluss beginnt, sei daher die Abstimmung mit der Region wichtig: „Verhakt man sich, oder gibt es Lösungskorridore?“
Nein, der Nationalpark werde nicht unzugänglich sein, sondern über ein Wegenetz aufgesucht werden können. Nein, der Nationalpark ende an seiner Grenze und habe keinen Schutzstreifen oder Puffer um sich herum. Ja, im Nationalpark dürfe weiterhin gejagt werden. Ja, die Ortsumgehungskette Kreuztal-Schameder („57-verbinden“ oder „Route 57“), die Wassertransportleitung zwischen den künftig die Talsperren und auch in Zukunft noch zu planende Stromleitungen dürften gebaut werden. Der Staatssekretär bemüht sich, Einwände zu entkräften. Und wirbt: „Der Nationalpark wird langfristig zur Imagebildung beitragen.“ Auch die Zeitplanung wird flexibel. Die Bewerbungsfrist bis zum 31. März sei „als Orientierung“ zu verstehen. „Nehmen Sie sich die Zeit, die Sie brauchen.“
Das Forum
Eine Stunde lang verteilen die Eingeladenen sich in fünf Räume zu „Thementischen“. Die größte Gruppe, moderiert von Markus Menn, dem Leiter der Stabsstelle für Wirtschaftsförderung, Klimaschutz und Mobilität, befasst sich mit „Wirtschaft und Infrastruktur“. Dort geht es schnell zur Sache, als Arne Buch, stellvertretender Geschäftsführer der Arbeitgeberverbände, sich nach „MIndestabständen“ zwischen Windrädern und Nationalpark erkundigt. „Es gibt keine“, antwortet Staatssekretär Viktor Haase. Bis auf den, den das Gesetz vorgibt und der sich nach der Höhe des Windrades richtet, ergänzt Michael Düben vom Naturschutzbund (Nabu). Karl Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg, Chef von Wittgenstein Forst, berichtet aus dem Nationalpark Eifel. Dort stehe die Forderung nach einem 1200-Meter-Puffer um den Nationalpark im Raum. „Wenn der Staat seine Krallen drauf hat, kann er machen, was er will.“
Prof. Dr. Klaudia Witte, Vorsitzende des Nabu-Kreisverbandes, nennt wirtschaftliche Vorteile: „Jedes Jahr mehrere Millionen Euro für die Region. Das würde Arbeitsplätze schaffen.“ „Keine Wertschöpfung, sondern Schaden“, widerspricht Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg. Der entstehe durch entgangenen Gewinn, weil der Wald nicht bewirtschaftet werde. „Ich mache mir Sorgen um diese grüne Enteignung.“ Burhan Demir (IHK) äußert Zweifel an einem erwarteten Aufschwung für Tourismus und Industrie: „Ich frage mich, wo die ganzen Fachkräfte herkommen sollen. Die Unternehmen überlegen eher, abzuwandern.“
Nacheinander füllt die Runde die auf den Stellwänden abgesteckten Felder: „Chancen“ und „Kompromisse“ werden eher luftig befüllt, die Felder „Risiken“ und „No Gos“ sind schnell voll. Befragt wird Kevin Lass, bei Straßen NRW Projektleiter für die Ortsumgehungskette 57-verbinden. Zumindest, sage er, komme mit dem Nationalpark ein weiterer Akteur ins Spiel, wenn es um Planung und Baurecht geht. „Daraus ergeben sich natürlich neue Forderungen.“ Angesprochen wird eine L 719, die andere Verbindung zwischen Siegerland und Wittgenstein über die Siegquelle. „Das ist heute schon schwierig“, beschreibt Lass die Vorbereitungen für den nun mit einem Jahr Verzögerung beginnenden Ausbau, „es darf nicht zu weiteren Einschränkungen kommen.“
Matthias Becker, Direktor der Wittgenstein-Berleburg‘schen Rentkammer, erinnert daran, wie Waldbesitzern bei der Festlegung der FFH-Gebiete zugesichert worden sei, auf sie kämen keine Einschränkungen zu. Das habe nicht zugetroffen. „Das führt dazu, dass man dem Gesagten keinen Glauben mehr schenkt.“ „Das malen Sie sich so schön“, wirft Prinz zu Sayn-Wittgenstein-Berleburg schließlich den Nabu-Vertretern vor, „der Nabu hat keine Ahnung von Wirtschaft.“ „Zur Kaufmannssprache gehört das Jammern“, entgegnet Michael Düben.
Das Ergebnis
12 zu sieben gegen den Naturpark heißt es bei der Abstimmung am Ende, an der sich längst nicht alle der 30 Teilnehmenden beteiligen. 12 zu drei dafür, berichtet oben in der Lyz-Aula Landrats-Referent Steffen Löhr aus vom Tourismus-Tisch. Und von der Idee einer „Denkfabrik“, die den Konflikt von Industrie und Natur bewältigen soll. Sieben zu vier stimmt die Gruppe Natur und Artenschutz ab. „Was für den einen Chance ist, ist für den anderen Risiko“, berichtet Michael Gertz, Leiter des Umweltamtes. Bei der Gruppe Landwirtschaft, Jagd und Wald heißt es neun zu zwei gegen den Nationalpark. Es gebe „große Sorgen“, dass ein sich selbst überlassener Wald stabil sein könne, berichtet Dr. Ludger Belke, Leiter des Veterinäramtes. Am Tisch von Ramona Plaschke, Leiterin des Bauamtes, waren zwar alle bis auf einen dagegen. Tatsächlich „als Chance gesehen“ werde der Nationalpark, wenn er gut dafür ist, Windenergiebereiche zu verhindern. Landrat Andreas Müller hat das Schlusswort: „Das ist alles immer noch sehr schwierig.“
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