Siegen. Warum wählen viele evangelikale Christen in den USA Donald Trump, der gar nicht sehr religiös ist? Siegener Forscherin mit neuen Erkenntnissen.

Gott hat die Menschheit und die Welt erschaffen – oder zumindest maßgeblich daran mitgewirkt. Das glauben laut einer Mitteilung der Universität Siegen in den USA 97 Prozent der befragten Evangelikalen. Jeder vierte US-Amerikaner zähle sich zu dieser religiösen Gruppe. Bei allen Unterschieden ähnelten sie sich in ihrer Ablehnung der „Mainstream-Medien“ und des „wissenschaftlichen Establishments“, die nicht die Wahrheit sagen würden. „Die Bösen“ hätten die Welt im Griff und verdienten es, bestraft zu werden. Viele sehnen sich nach gesellschaftlichen Strukturen der 1950er Jahre in den USA. Das erinnert nicht zufällig an die Reden von Donald Trump, so die kanadische Wissenschaftlerin Dr. Cat Ashton, die diese Verbindung an der Uni Siegen erforscht.

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Bei der US-Präsidentschaftswahl 2016 gaben demnach 81 Prozent der in einer Umfrage befragten Evangelikalen an, den Republikaner gewählt zu haben. Anders als einige US-Medien ist Ashton der Meinung, dass Trump die Nation nicht in zwei „Paralleluniversen“ gespalten, sondern erfolgreich eine alternative Realität für sich vereinnahmt hat, die es schon gab: „Geschaffen über Jahrzehnte von weißen, konservativen evangelikalen Christen.“ Die Kanadierin erforscht diese spezielle Realität, verbindet dabei Literatur- und Kulturwissenschaften mit Theologiegeschichte. Sie will herausfinden, wie die Menschen ihre Realität und ihre Identität konstruieren und wie sich dies in politischen Diskursen widerspiegelt.

Forscherin an Uni Siegen stimmt evangelikalem Weltbild nicht zu, versteht es aber

Einige Themen haben ihre Aufmerksamkeit besonders auf sich gezogen: Der „Dominionismus“ etwa, der besagt, dass die USA eine christliche Nation sind oder sein sollten. In ihrer extremsten Form rufen Dominionisten zur bewaffneten Übernahme der Regierung auf und fordern die Todesstrafe für Ehebruch und Homosexualität. Und der „prämilleniale Dispensationalismus“, eine Lesart der Bibel, vor allem im Hinblick auf die bevorstehende Endzeit. Demnach habe es keinen Sinn, die Menschheit vor irgendetwas zu bewahren – auch nicht vor dem Klimawandel –, weil das Ende der Welt ohnehin unmittelbar bevorstehe und sie als Gläubige dann auf jeden Fall belohnt würden.

Dr. Cat Ashton verbindet Literatur- und Kulturwissenschaften mit Theologiegeschichte.
Dr. Cat Ashton verbindet Literatur- und Kulturwissenschaften mit Theologiegeschichte. © Universität Siegen | Sascha Hüttenhain

Ashton will sich nicht abschätzig oder hämisch über solche Weltbilder äußern. Die Kluft zwischen bestimmten Ansichten könne man nicht überwinden, wenn man sich unbedingt gegenseitig überzeugen wolle. Ohne diesen Ansichten selbst zuzustimmen verstehe sie diese Menschen, die versuchen, so gut wie möglich zu sein und dabei andere Maßstäbe anlegen. Evangelikale sehnten sich nach Klarheit, Eindeutigkeit, alles andere sei elitär, satanistisch; ein Instrument der Irreführung und Täuschung. Wissenschaft ist nicht immer eindeutig, zielt auf Fortschritt und neue Erkenntnisse ab, Fakten werden immer wieder in Frage gestellt. Für viele Evangelikale sei Wissenschaft daher per se angreifbar, so Ashtons Befund. Es werde ein angeblicher „liberaler Würgegriff“ kritisiert, in dem das wissenschaftliche Establishment die Universitäten halte. Erkenntnisse, die nicht mit der Bibel übereinstimmen, stammten von diesem Establishment – nicht aus der Forschung. Es gehe also nicht nur um Dinge wie die Evolution, den menschengemachten Klimawandel oder die Covid-Pandemie, sondern generelles Misstrauen gegenüber dem Apparat.

Dr. Cat Ashton fokussiert sich in ihrer Analyse vor allem auf evangelikale Fantasy-Literatur.
Dr. Cat Ashton fokussiert sich in ihrer Analyse vor allem auf evangelikale Fantasy-Literatur. © Universität Siegen | Sascha Hüttenhain

Siegener Forscherin: Trump bedient die Realität der Evangelikalen, gibt klare Antworten

Diese Aussagen könnten auch aus einer Wahlkampfveranstaltung Donald Trumps stammen, so die Wissenschaftlerin. „Dabei ist Donald Trump nicht als religiöser Mensch bekannt“, so die Theologiehistorikerin Prof. Anthea Butler, mit der sich Ashton ausführlich beschäftigt hat. Warum haben die Evangelikalen trotzdem mehrheitlich für Trump gestimmt? „Einige der Evangelikalen mögen ihn eigentlich gar nicht“, sagt Ashton. Aber Trump bediene die Realität der Evangelikalen, stelle etwa seine Intuition über wissenschaftliche Erkenntnisse, arbeite mit Gegensätzen, zum Beispiel „Gut und Böse“, „Freund und Feind“. Das spreche viele Evangelikale an. „Manche halten Trump für einen Gottlosen, der Gottes Werk tun will, und unterstützen ihn auf dieser Basis.“

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Ihre Religion und Weltanschauung gebe den Evangelikalen Sicherheit in einer unsicheren Welt. Dr. Ashton glaubt, dass viele Menschen in den USA wirtschaftliche Not und Unsicherheit erleben. Und wenn ihre Erzählungen diese Nöte als Ergebnis von Verfolgung durch das Böse und durch Ungläubige darstellen, werde diesem Leiden ein Sinn gegeben. Und eine Garantie, dass sie als Gläubige als Sieger daraus hervorgehen.