Siegen. Die kleinste Siegener Ratsfraktion fragt sich, „warum Dinge woanders funktionieren“ - aber eine Mehrheit lässt kaum ein gutes Haar am Busverkehr.

Der Antrag hat ganz offensichtlich einen Ablehnungs-Reflex getroffen. Schon als Samuel Wittenburg im Rat ansetzte, den Volt-Vorschlag „Führerschein gegen Deutschlandticket tauschen“ zu begründen, schnellten in den Siegener Fraktionen Finger nach oben. Der Fraktionsvorsitzende verwies zwar noch auf die vorangegangenen „Diskussionen in Facebook-Kommentarspalten“, die „auf keinem besonders hohen Niveau“ stattgefunden hätten, aber der Empörungs-Pegel war bereits oben. Und der – in der Tat krisengeplagte – Öffentliche Nahverkehr wurde buchstäblich weiter kaputtgeredet.

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Volt hatte angeregt, dass die Menschen, die ohnehin überlegen, auf ihre Fahrerlaubnis zu verzichten, als zusätzlichen Anreiz dafür das 49-Euro-Ticket für ein Jahr umsonst erhalten könnten. „In anderen Städten ist die Nachfrage danach so hoch, dass die Budgets oft nicht ausreichen“, so Wittenburg. Auf 30.000 Euro sollte Siegen die Mittel für diese freiwillige Leistung daher begrenzen.

FDP Siegen: „Volt bildet sich ein zu wissen, was für die Bevölkerung besser ist“

„Wenn man genauer über die an sich schöne Idee nachdenkt, fällt auf: Wir sind ja hier im Siegerland“, kommentierte Silke Schneider (Linke) mit süffisantem Unterton. In der Rhein-Ruhr-Schiene beispielsweise sei der ÖPNV „ein ganz anderes Kaliber“, während schon in Siegen „manche Bereiche fast gar nicht angefahren werden. Was soll man mit dem 49-Euro-Ticket, wenn in meinem Ort der Bus nicht kommt?“

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„Wenn CDU und Linke schon in die gleiche Richtung denken...“, sagte Marc Klein, Vorsitzender der Unionsfraktion. „Das Niveau der Diskussion hängt vom Antrag ab“, schoss er Richtung Wittenburg zurück. Er bezweifle, dass angesichts der Topografie die Zielgruppe dieses Tausches größer als zehn Personen sei – „außer ein paar militanten Nicht-Autofahrern“. Ohnehin sei die „Flut“ der Anfragen und Anträge von Volt (drei Anträge, zwei kleine Anfragen) ein Ärgernis: Klein erinnerte an den Versuch der Fraktion im vergangenen Jahr, mit einem Feuerwerks-Verbot „die Herrschaft über den Stadthimmel von Siegen“ zu erringen, was ihnen nicht gelungen sei.

Ich bezweifle, dass die Zielgruppe größer als zehn Personen ist – außer ein paar militanten Nicht-Autofahrern.
Marc Klein - CDU

Wasser auf die Mühlen der FDP. Volt „bildet sich ein zu wissen, was für die Bevölkerung besser ist“, empörte sich Fraktionschef Markus Nüchtern: „Unverantwortlich.“

Roland Steffe (AfD) warf den Volt-Stadtverordneten vor, dass sie ja selbst mit dem Auto zu Ratssitzungen anreisen würden. Der ÖPNV sei für 82-Jährige – es war mit Beispielen aus den eigenen Familien argumentiert worden – „unzumutbar“.

SPD Siegen: Wer den Führerschein abgeben will, fährt danach nicht mit dem Bus

Felix Hof (SPD) versuchte, „das Niveau wieder von Facebook wegzulenken“: Volt könne nichts für die Nahverkehrs-Infrastruktur. Es handle sich um eine „sehr komplexe Entscheidung“, die einen „sensiblen Lebensbereich vieler Menschen in Siegen“ betreffe. Aus Sicht seiner Fraktion verfehle der Antrag dennoch „komplett das Thema“, denn wer ohnehin überlegt, seinen Führerschein abzugeben, werde das nicht wegen des 49-Euro-Tickets tatsächlich tun. „Wer in dieser Situation ist, fährt vielleicht noch mit dem Auto zum Einkaufen – und fährt ohne Auto dann nicht Bus.“ Zudem sei das Thema eher beim Kreis anzusiedeln.

Für die CDU ist wohl alles extremistisch und gehört verboten, was nicht ihrem eigenen Lebenskreis entspricht.
Martin Heilmann - Grüne

Das Ansinnen sei wohl falsch verstanden worden, meinte Martin Heilmann und ging seinerseits zum politischen Angriff über: „Das war nicht die Aufforderung, das Niveau möglichst schnell zu senken.“ Es gehe keineswegs darum, „militante Nicht-Autofahrer zu belohnen“ und ohnehin sei „für die CDU wohl alles extremistisch und gehört verboten, was nicht ihrem eigenen Lebenskreis entspricht“. Es gehe nur um die, die ihren Führerschein freiwillig abgeben möchten. Und was die Kritik an der Zahl der Anträge angehe: „Gibt es eine Begrenzung dafür?“ Einer Fraktion Hyperaktivität vorzuwerfen, „weil sie Ideen hat“, sie dafür „mundtot machen zu wollen“, sei alles andere als angemessen. „Wenn andere ihren Führerschein abgeben möchten, dürfen Sie weiter mit dem Auto zur Arbeit fahren.“ Wenn die AfD „wieder abschieben will, fragt ja auch keiner, ob sie selbst schon ausgereist sei“.

Volt Siegen: „Warum funktionieren Dinge überall anders, nur in Siegen nicht?“

Henning Klein (Linke) fragte: „Warum sollte ich jemals freiwillig auf meinen Führerschein verzichten?“ Dafür habe er schließlich viel Geld bezahlt.

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„Ich frage mich, warum Dinge woanders funktionieren und das Siegerland immer das gallische Dorf sein muss“, seufzte Samuel Wittenburg und erinnerte nochmals, dass es sich um eine freiwillige Abgabe handle, „weder werden die Leute gezwungen, noch gedrängt“. Zudem sei das „ÖPNV-Bashing völlig fehl am Platz“: Man könne den Nahverkehr nicht „jahrelang kaputtreden“, aber selbst nichts daran ändern – so etwas sei vielmehr unverantwortlich. Natürlich gebe es außerhalb Siegens keinen Bedarf und auch hier nicht in allen Ortslagen, „aber Siegen ist immerhin Großstadt und in anderen Großstädten funktioniert das Prinzip – warum nicht mal versuchen?“

Wollte die Mehrheit nicht. Auch nicht versuchen.