Siegen-Wittgenstein. Kampfabstimmung: Waldbauern und Landwirte sind dagegen, die Naturschutzverbände dafür. Nun kommt es auf die Politik an.

Der Kreis Siegen-Wittgenstein soll sich am Findungsprozess für einen zweiten Nationalpark in NRW beteiligen. Das schlägt der Naturschutzbeirat vor. Das Thema ist umstritten: Die Kreisverwaltung rät in ihrer Vorlage für Umweltausschuss und Kreistag weiterhin ab. Während Grüne und Naturschutzverbände sich positiv geäußert haben, gibt es ablehnende Stellungnahmen der Organisationen von Landwirten und Waldbauern. Auch im Beirat selbst besteht keine Einigkeit: Nur neun Beiratsmitglieder tragen die Entscheidung, fünf sind dagegen, ein Beirat enthielt sich der Stimme.

Dafür

Es ist ein vergleichsweise kleiner Nationalpark, den Prof. Dr. Klaudia Witte, Vorsitzende des Naturschutzbeirates, zur Diskussion stellt: im Kern die FFH-Gebiete Rothaarkamm und Wiesentäler mit 3441 Hektar, zu denen auch die Naturschutzgebiete Elberndorfer Bachtal und Oberes Zinsetal gehören, weitere angrenzende 1550 Hektar Staatswald und das Gebiet bei Heiligenborn, das die Dieter-Mennekes-Umweltstiftung einbringen könnte – insgesamt rund 5300 Hektar. Die Annahme der Kreisverwaltung, dass „nach geläufiger Auffassung“ mindestens 10.000 Hektar gebraucht werden, treffe nicht zu, sagt Klaudia Witte: „Es können auch kleinere Gebiete sein.“ Bei den nun vorgeschlagenen Flächen handele es sich überwiegend um Staatswald; Land- und Forstwirte würden bei der Bewirtschaftung nicht eingeschränkt. Bisher ist der Nationalpark Jasmund auf der Insel Rügen mit rund 3000 Hektar der kleinste von derzeit 16 Nationalparks in Deutschland.

Die Landesregierung wird froh sein, wenn überhaupt eine Bewerbung kommt.
Peter Schauerte, Dieter-Mennekes-Umweltstiftung

Peter Schauerte, Geschäftsführer der Dieter-Mennekes-Umweltstiftung (Dimus), will rund um Heiligenborn ein Wildnisgebiet entwickeln, über 338 Hektar wurde 2014 ein Vertrag mit dem Land geschlossen, der 99 Jahre gilt. Der Anfang sei nicht gelungen, räumt er ein. Buchen seien gefällt, die „Freuden der Jagd“ in den Mittelpunkt gestellt worden, inzwischen sei die Fällung abgestorbener Fichten eingestellt worden, Wild wird nicht mehr gefüttert. Der Biologe rät den Siegen-Wittgensteinern, sich zunächst Informationen zu verschaffen, wozu die Teilnahme am bis Ende März laufenden „Findungsprozess“ beitragen könne. „Stand jetzt würde ich noch nicht sagen, wir sind dabei.“ Im Unterschied zu den jetzigen Naturschutz- und FFH-Gebieten, die noch bewirtschaftet werden, sei der Nationalpark unberührte Wildnis, erklärt Schauerte später auf Nachfrage. Von Fristsetzungen des Landes solle sich die Region nicht beeindrucken lassen. „Die Landesregierung wird froh sein, wenn überhaupt eine Bewerbung kommt.“

Dagegen

Klaus Runkel, Vertreter des Waldbauernverbandes, ist verärgert, dass die Beiratsvorsitzende bereits einen positiven Beschlussvorschlag vorgelegt hat. „Ich fühle mich bevormundet.“ Ohne Beteiligung aller Akteure sei ein Beschluss für eine Bewerbung „geradezu unverantwortlich“. Ein Nationalpark könne verhindern, dass Waldbesitzer Flächen für Windkraftanlagen zur Verfügung stellen. Womöglich gehe es dem NRW-Umweltminister aber auch nur darum, „das Wisentprojekt finanzieren zu können.“

Vor 30 Jahren haben wir das Biosphärenreservat zerredet.
Markus Fuhrmann, Nabu

Dass Waldbesitzer auf einmal Windräder befürworten, sei früher nicht denkbar gewesen, wirft Ekkehard Blume (BUND) ein. „Da hat sich nach fast 25 Jahren einiges gewandelt“ – und genauso veränderlich werde auch die Einstellung zum Nationalpark sein. Markus Fuhrmann (Nabu) fällt eine ähnliche Debatte in der Vergangenheit ein: „ Alfred Büdenbender (Schutzgemeinschaft Deutscher Wald) ist nicht überzeugt, dass Privatwaldbesitzer nicht beeinträchtigt würden – konkret weist er auf den an den möglichen Nationalpark angrenzenden Hellerkopf bei Walpersdorf und Nenkersdorf hin, auf dem Windräder errichtet werden sollen.

Von der Schönheit des Rothaargebirges ist dann nicht mehr viel übrig.
Rolf Weber, Fischereiverband

„Alle haben Angst“, sagt Björn Belz (Landwirtschaftsverband), auch davor, nach einem Einstieg ins Verfahren nicht mehr zurückziehen zu können: „Wenn die Kuh erst einmal auf dem Eis ist ...“ Schriftlich äußert sich Rolf Weber (Fischereiverband): Mit der Planung von mehr als 100 Windrädern vertrage sich ein Nationalpark nicht. „Von der Schönheit des Rothaargebirges ist dann nicht mehr viel übrig.“ Womöglich verhindert würden der Bau der Ortsumgehungskette Route 57 und der Truftetalsperre bei Bad Berleburg: „Der Nationalpark hängt den Altkreis Wittgenstein noch weiter ab.“

Wildnis

Das Ziel, deutschlandweit bis 2020 zwei Prozent des Bundesgebietes als Wildnis zu schützen, wurde verfehlt. Erreicht wurden 0,6 Prozent. Das sei „sehr ernüchternd“, sagt Prof. Dr. Klaudia Witte, Vorsitzende des Naturschutzbeirates.

In Nordrhein-Westfalen wurden 1,86 Prozent des Waldes Wildnisgebiete, angestrebt sind fünf Prozent, außerdem zehn Prozent des Staatswaldes.

Ein Nationalpark Rothaargebirge würde 4,41 Prozent des Kreisgebietes zu Wildnisgebieten machen, rechnet Peter Schauerte, Geschäftsführer der Mennekes-Stiftung aus.

Knapp 12.000 Hektar des Kreisgebietes stehen derzeit unter Naturschutz, das sind 10,4 Prozent der Gesamtfläche. Fast 98.,000 Hektar oder 86,5 Prozent des Kreisgebietes sind Landschaftsschutzgebiet. Das geht aus einer Vorlage der Kreisverwaltung hervor.

Heiko Betz (Landwirtschaftsverband) pflichtet den Waldbauern bei: „Das ist eine große Nummer“ – da wäre eine neutralere Haltung der Vorsitzenden angebrachter gewesen. Dem widerspricht Markus Fuhrmann (Nabu): „Reflexartig“ werde ein Nationalpark abgelehnt. Dabei bedeute er für die Region eine „enorme Wertschöpfung“, „es kommt ganz viel Geld in die Region“. Bisher seien alle Nationalparks „Erfolgsgeschichten“. „Wie lange wollen wir denn noch warten?“, fragt Martin Zapletal (BUND mit Blick auf Artensterben und Klimaveränderung: „Wir brauchen große unzerschnittene, von Menschen unbeeinflusste Gebiete.“

Kein Kompromiss

Viel Widerspruch sei das Ergebnis mangelnder Information, glaubt Jochen Niemand (LNU): „Wir müssen Aufklärungsarbeit leisten.“ Einen Teil dazu steuert Klaudia Witte bei, indem sie Antworten der Landesregierung auf bereits gestellte Fragen vorträgt: Das Land stellt für die Unterhaltung des Nationalparks zusätzliches Personal, Windkraftanlagen müssen keinen besonderen Abstand zum Nationalparkgebiet haben, Waldbauern können angrenzende Flächen an das Land verkaufen, Kommunen reden in einem Beirat mit und bekommen ein Vetorecht zu Grundsatzfragen.

Jeder hat so seine Art, das zu tun.
Klaus Runkel, Waldbauern, zum Naturschutz

Heiko Betz (Landwirtschaftsverband) schlägt vor, den Kreistag Mitte Dezember zuerst abstimmen zu lassen. Sollte der sich für den Einstieg ins Nationalpark-Verfahren aussprechen, könne der Naturschutzbeirat im März immer noch ein Votum dazu abgeben. „Wir können uns neutral verhalten“, meint Klaus Runkel (Waldbauernverband). „Wir wollen doch was für unsere Natur tun“, appelliert Dieter Tröps (LNU). Klaus Runkel: „Jeder hat so seine Art, das zu tun.“ Markus Fuhrmann versucht zu versöhnen: Schließlich seien Schützer und Nutzer der Natur in diesem Beirat an einem Tisch. „Mit dieser Definition habe ich so meine Schwierigkeiten“, erwidert Landwirte-Vertreter Heiko Betz: „Nutzen und Schützen schließt sich nicht aus.“ „Ich habe gewarnt“, sagt Arno Wied, Umweltdezernent des Kreises: Unter Zeitdruck werde es zu Spannungen kommen, die – so Wied in seiner Vorlage für den Kreistag – „den Zielen des Naturschutzes und der Landschaftspflege nicht dienlich wären“.