Siegen. Auf sechs Siegener Hügeln fegen Menschen den Wald, am Ende des Tages machen sie alles rückgängig, sichtbar bleibt im Grunde nichts. Die Erklärung
Ein dutzend Menschen hat in einer guten Viertelstunde ein Stück Waldboden freigelegt: Mit großen und kleineren Rechen haben Männer, Frauen und Kinder in einem zuvor abgesteckten Viereck alles Lose beiseite geräumt. Äste, Laub und Vermodertes sollten so an den Rand der mit Pfosten und Seil bezeichneten Fläche geschafft werden, dass ein niedriger Wall zum gleichmäßigen Rahmen wurde. Der Auftrag war auch, später alles in den Beinahe-Urzustand zurückzuversetzen. Sichtbar geblieben ist im Grunde nichts.
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Und doch setzt sich dieses Handeln bei den Beteiligten fest: in der Erinnerung an einen schöpferischen Akt, an eine Interaktion an einem für sie eher zufällig gewählten Ort mit zunächst vielen fremden, bald vertrauter gewordenen Menschen. Die im Wald geräumt haben, miteinander Wärmendes getrunken und gegessen haben, die ein Stück des Weges geteilt haben und auch ein wenig aus ihrem Leben. Dieser besondere Moment, wie aus Zeit und Raum gefallen, verdichtet sich im Nachgang aber dann doch im Offensichtlichen. Ein Foto, das die Gruppe am Rande des bloßgelegten Grundes zeigt, wird ganz bald im öffentlichen Raum zu sehen sein: plakatiert an großen Wänden, überall in der Stadt.
Fegen aufLindenberg, Giersberg, Häusling, Rosterberg, Wellersberg, Fischbacherberg
An sechs Tagen hat der Kölner Künstler Ivo Weber in der vergangenen Woche auf sechs Siegener Hügeln mit Interessierten den Wald gefegt: Lindenberg, Giersberg, Häusling, Rosterberg, Wellersberg und Fischbacherberg waren die Schauplätze. Komplettiert wird „7 Tage, 7 Hügel – Waldfegen“, wie das Projekt titelt, auf dem Schlossberg: Am Mittwoch, 8. November, gibt es ab 17 Uhr eine letzte Aktion am Oberen Schloss; ab 18 Uhr sind sämtliche Teilnehmende und weitere Gäste nach dem „Walk“ zum „Talk“ an die Spandauer Straße 40 geladen. In den Räumen des Hochschul-Fachbereichs Kunst bündelt sich letztlich auch theoretisch, was in den Wäldern so praktisch erfahrbar werden konnte, denn Ivo Webers „Waldfegen“ passiert(e) unter dem Dach des Projekts „Wanderspace“ der Universität Siegen.
„Wanderspace“ tritt an, mit Künstlerinnen und Künstlern Formate zu entwickeln, die kulturelle Teilhabe ermöglichen – und zwar in der Region, in der Fläche, in jenem ländlich-industrialisierten Raum, der Siegen-Wittgenstein ausmacht. Kunst und künstlerische Strategien sollen dabei nicht Selbstzweck sein, sondern „Ausgangspunkte für Begegnungen“, wie es in der Projektbeschreibung heißt. Ivo Weber und sein langjährig erprobtes „Waldfegen“ fügte sich in diesen Kontext passgenau ein. Das Fegen stärke das Gemeinschaftsgefühl, es entstehe ein Austausch der Beteiligten – auch „über die Bedeutung des Waldes als regionaler Kultur- und Naturraum“, so die Kunst-Professorin Prof. Dr. Johanna Schwarz, die diese Aktion gemeinsam mit Ivo Weber für Siegen initiiert hat.
„Waldfegen“ und „Wanderspace“ der Uni Siegen: Der Herbst und die Natur begeistern
Es war, etwa beim „Waldfegen“ an den nördlichen Hängen des Fischbacherbergs, vor allem das Staunen über die Schönheit des herbstlich gefärbten Laubwaldes, das die Reflexion bestimmte. Auch das Entdecken der Schösslinge, fast archäologisch herausgeschält aus der dicken, feuchten Laubschicht, begeisterte gemeinschaftlich. Der moosbewachsene Baumstumpf, der lange Regenwurm, der hohe Himmel überm Blätterdach – all das regte mindestens zu einem „Schau mal!“ an.
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Ähnlich war es mit dem Blick durch die Kamera des Aktions-Fotografen Christian Rosenthal. Denn das Bild, das am Ende festhält, was sich im Wald ereignet hat, hatte Ivo Weber zuvor akribisch komponiert. Das gefegte Viereck auf der Fotografie ist am Ende quadratisch, weil die Perspektive stimmt. An anderen Orten war es ein Weg, der entstanden ist oder die Anmutung eines Hauses oder ein geometrisches Muster. Nichts davon ist in den Wäldern mehr zu finden. Es ist, als wäre nichts gewesen.