Siegen. Junges Publikum, voller Schlosshof, einfache Regeln, beste Unterhaltung: Der Siegener Poetry Slam zieht.
Ein Bild am Sonntagabend, von dem jeder Kulturmacher nur träumen kann: Spitzenbesuch beim Siegener Sommer, Altersdurchschnitt irgendwo bei unter dreißig, spürbare Vorfreude auf den Wettbewerb kreativer Köpfe - angeheizt durch die beiden Moderatoren des Abends: Jan Schmidt und Tristan Kunkel. Sie wissen, wie man`s macht, auch den letzten der Slam-Freunde von nah und fern, von Brachbach bis Basel, mit ihrem markerschütternden Schrei zu erschrecken: „Seid ihr daaaaa!“
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Die Regeln
Es müssen selbst geschriebene Texte sein, die die Slammer vortragen, keine Plagiate. Eine Jury aus dem Publikum bewertet dann die Vorträge mit Noten von 1 bis 10. Viele melden sich, 5 sind dann die Erwählten: Zara, die Verkäuferin, Gerrit mit den schrägen musikalischen Vorlieben, Lasse, der keinen Kieferorthopäden kennt, Daniel, der Weißweintrinker, Melanie, die Psychologie-Studentin. Die Moderatoren sind zufrieden. „Neulich in Betzdorf hatten wir den Bodensatz der Gesellschaft“, sagt Jan Schmidt
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Die Kandidaten
Benjamin aus Ulm, Fan von Mainz 05, bekennt in seinem ersten Text „Ich bin Jude“ und knallt so ziemlich alle Klischees heraus, die über Juden kursieren: „Wir backen aus Kindern von Christen kein Brot, sondern Christstollen“ oder „Eins der ersten Wörter, die wir lernen, ist Umsatzsteuerfreibetrag“, oder „Unser Lieblingslied ist „Ein Stern, der deinen Namen trägt“. Sein letzter Satz lautet: „Dabei will ich einfach nur ein ganz normaler Mensch sein.“
Alina aus Düsseldorf widmet sich zunächst ihrem kleinen Hund, den sie mitgebracht hat und der später dann auch auf die Bühne darf, danach der Frage, wie sie sich in 10 Jahren sieht, beschreibt ihre noch unklaren privaten und beruflichen Zukunftspläne: „Vielleicht Bachelor, aber bestimmt kein Nasen-Piercing“.
Lennart aus einem Dorf bei Hamburg blickt in seinem Text „Wo sich Fuchs und Hase gute Nacht sagen“ mit Stolz auf seine bäuerliche Herkunft und beschreibt die bescheidenen Möglichkeiten jugendlicher Vergnügungen: „Bei Hauke in der Gartenhütte Bier saufen und Werner-Filme gucken“. Fluchtversuche zwecklos: „Wie soll man einem Dorf entkommen, wenn nur einmal am Tag ein Bus fährt?“
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Tobias aus Bad Berleburg ist der einzige Wettbewerber mit Heimvorteil. „Na ihr Rabauken!“ begrüßt er seine vielen Fans, die er spätestens nach seinen Auftritten im LYZ und auch bei KulturPur hat. Sein Beitrag „Auf dem Poetry Slam mit Benjamin“ widmet sich seinem Mitbewerber, amtierender NRW-Meister, gegen den er noch nie gewonnen hat. Ein Feuerwerk an Selbstironie und feinen Spitzen gegen „einen Überbegabten, der schon mit 22 einen Uni-Abschluss hatte, Bücher schreibt und auch perfekt Klavier spielt.“ Und für die hohen Stimmzahlen der CDU in seiner Heimat Wittgenstein hat er nur eine Erklärung: „Die Kugelschreiber in den Wahlkabinen sind so kurz, dass man nur das CDU-Feld ankreuzen kann.“
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Die Entscheidung
Als Punktbeste kommen Lennart und Tobias in den Endkampf. Den entscheidet der Gast aus Hamburg knapp für sich, vielleicht auch, weil er seinen Text mit den kreativen Endreimen auswendig vorträgt – als einziger des Abends. Die Belohnung für den weiten Weg nach Siegen und seine Wortkunst: Der berühmte Beutel, den die Besucher mit mehr oder weniger Sinnvollem füllen (Der Moderator: „Bitte keine Sanifair-Gutscheine!“) Ein noch warmer BH oder eine Ananas wie beim letzten Slam im Apollo sind nicht dabei. Lennart kann sich aber über eine Dose Ravioli freuen: „Gut, dass ich mein Hotel ohne Frühstück gebucht habe!“ Doch gewonnen haben alle.
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