Kredenbach. Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger treffen sich nach Fall Luise zum Austausch in Kredenbach. Wie gehen sie bei ihrer schwierigen Arbeit vor?

Notfallseelsorger leisten Beistand in akuten Krisen – das haben sie gerade nach dem gewaltsamen Tod der zwölfjährigen Luise in Freudenberg unter Beweis gestellt. Die haupt- und ehrenamtlichen Seelsorgerinnen und -seelsorger waren nicht nur unmittelbar nach Bekanntwerden des Todesfalls im Einsatz, sondern auch tagelang als Ansprechpartner in der Freudenberger Kirche präsent.

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Nun haben sich Notfallseelsorgerinnen und -seelsorger aus der Region sowie Kooperationspartner aus den Bereichen Polizei, Feuerwehr, Schulen und Kommunen im evangelischen Gemeindezentrum in Kredenbach zum „Tag der Notfallseelsorge“ getroffen, um sich über ihre Einsätze auszutauschen und sich fachlich weiterzubilden. Im Fokus stand dabei eine andere Extremsituation, mit der sie unter Umständen konfrontiert sein können: Die Gießener Kriminologieprofessorin Britta Bannenberg referierte über Amokläufe vor allem an Schulen.

Fall Luise in Freudenberg: Tötungsdelikte mit Kindern als Täter ein „seltenes Phänomen“

Ebenso wie der Fall Luise, in dem nach Polizeiangaben zwei minderjährige Mädchen eine Gleichaltrige getötet haben, seien Amokläufe junger Täter ein sehr seltenes Phänomen, erläuterte Bannenberg zu Beginn ihres Vortrags. Als junge Täter wertet die Kriminologin dabei Menschen bis zum Alter von 23 Jahren. Seit dem ersten Vorfall in Deutschland im Jahr 1992 hat es nach ihrer Zählung 21 solcher Taten gegeben. Tatorte sind häufig Schulen. „Amoktaten lassen sich meistens verhindern“, betonte die Kriminologieprofessorin der Justus-Liebig-Universität Gießen. Denn sie seien niemals spontan, sondern geplante Mehrfachtötungen. Die Täter ließen ihre Absicht im Vorfeld oft erkennen – teils durch Selbstzeugnisse im Internet, teils durch indirekte Drohungen im eigenen Umfeld.

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Auch das Täterprofil sei relativ einheitlich, wie Bannenberg erläuterte: Amokläufer sind in der Regel Außenseiter, die in einem längeren Prozess Gewaltfantasien entwickeln. „Ein besonderes Gefahrenanzeichen ist dabei, wenn sich jemand intensiv mit anderen Amoktätern beschäftigt“, sagte die Kriminologin. Wenn solche Hinweise ernst genommen und weitergegeben würden, könnten Taten verhindert werden: so etwa im Fall eines Essener Schülers im Jahr 2022. An der Universität Gießen existiert seit 2015 als Resultat aus Bannenbergs Forschungen das Beratungsnetz Amokprävention, bei dem Menschen Unterstützung finden, die vermuten, dass jemand aus ihrem Umfeld einen Amoklauf planen könnte.

Pfarrer und Notfallseelsorger Martin Hellweg aus Weidenau spricht in der Andacht beim Tag der Notfallseelsorge über herausfordernde Einsätze.
Pfarrer und Notfallseelsorger Martin Hellweg aus Weidenau spricht in der Andacht beim Tag der Notfallseelsorge über herausfordernde Einsätze. © Kirchenkreis Siegen | Jasmin Maxwell-Klein

Amokläufe haben langfristig massive Auswirkungen auf gesamten Ort des Geschehens

Dass neben den Tätern aber vor allem die Opfer in den Fokus von Forschung und Öffentlichkeit rücken müssen, machte der zweite Teil des Vortrags deutlich. „Amokläufe haben eine enorme Wirkung auf den gesamten Ort des Geschehens: auf die Opfer, die Hinterbliebenen, die Einsatzkräfte, die Zeugen und die betroffene Schule“, sagte Bannenberg. Opfer seien meist stark traumatisiert, was teilweise zu Posttraumatischen Belastungsstörungen und gerade bei Einsatzkräften zu Krankschreibungen bis zur Berufsunfähigkeit führen könne. Nicht jedes Trauma ziehe aber automatisch eine Traumafolgestörung nach sich, betonte Bannenberg. Studien zeigten, dass gerade die Betroffenen, die Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen, weniger stark unter langanhaltenden Folgen leiden. „Professionelle Unterstützung brauchen dabei vor allem die, die nicht viel Unterstützung in ihrem sozialen Umfeld erfahren“, sagte Bannenberg – und verdeutlichte damit, wie wichtig psychosoziale und seelsorgerische Angebote nach Extremereignissen sind, wie sie auch Notfallseelsorger anbieten.

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Austausch und Reflexion über ihre Einsätze sind dabei auch für die Notfallseelsorger wichtig. Dafür bot der Tag der Notfallseelsorge Raum, gerade mit Blick auf den jüngsten Großeinsatz in Freudenberg. „Manchmal erleben wir wunderbare Momente der Bewahrung, der Rettung, der Selbstwirksamkeit“, sagte Pfarrer und Notfallseelsorger Martin Hellweg in seiner Andacht. Genauso gebe es aber auch andere Tage: „Wo wir vielleicht zu spät kommen oder zu wenige sind. Wo wir der Macht des Bösen scheinbar hilflos ausgeliefert sind.“ Loblieder wie „Großer Gott wir loben dich“, das die Anwesenden in der Andacht gemeinsam sangen, blieben angesichts von Ereignissen wie in Freudenberg oft im Halse stecken, sagte der Pastor der Kirchengemeinde Weidenau. Zugleich betonte er die biblische Grundlage, von der Notfallseelsorger in ihrer Arbeit zehrten: Nichts könne von Gottes Liebe trennen, „kein noch so schlimmer Einsatz, kein Gewaltexzess und auch kein Resignieren“, unterstrich Hellweg.

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