Hilchenbach. Was der Bürgermeister nicht geschafft hat: Ein Hilchenbacher lässt sich von der Hierarche des Online-Lexikons nicht klein kriegen.

Dr. Peter Neuhaus hat nicht locker gelassen. Ernst Biberstein wird im Online-Lexikon Wikipedia nicht mehr als „SS-Obersturmbannführer und Leiter eines Einsatzkommandos in Russland“ geführt, und die Rubrik „Söhne und Töchter der Stadt Hilchenbach“ gibt es auch nicht mehr. Vorangegangen ist ein durchaus engagierter Wettstreit der Wikipedia-Community, die von einer Hierarchie verwaltet wird, in der die von stimmberechtigten Benutzern (dafür muss man mindestens 200 Artikel bearbeitet haben) gewählten Administratoren und aktiven Sichter ganz oben stehen.

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Der Hilchenbacher hatte sich zunächst an Bürgermeister Kyrillos Kaioglidis gewandt, damit die Stadt bei Wikipedia diesen „Sohn“ entfernen lässt. Biberstein wurde unter dem Namen Ernst Szymanowski 1899 in Hilchenbach geboren und lebte dort bis 1901. Biberstein studierte evangelische Theologie und war seit 1924 Pfarrer an diversen Pfarrstellen. 1926 trat er als einer der ersten Pastoren in die NSDAP ein. Ab 1935 machte er in Berlin Parteikarriere und trat 1936 als SS-Untersturmführer in den SD der SS ein. Zum 1. Juni 1941 wurde er Chef der Gestapostelle Oppeln. In seiner Verantwortung lag die Deportation der dortigen Juden. Im selben Jahr änderte er seinen Familiennamen von Szymanowski in den angeblich ursprünglichen Namen Biberstein. Im Juni 1942 wurde Biberstein als Führer des Einsatzkommandos 6 der Einsatzgruppe C nach Kiew abkommandiert. Bis 1943 befehligte er dort die Ermordung von 2000 bis 3000 Menschen, überwiegend Jüdinnen und Juden.

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Beanstandete Rubrik 15 Mal hin- und hergeändert

Biberstein wurde zum Tode verurteilt, aber 1951 zu lebenslanger Haft begnadigt und am 9. Mai 1958 aus dem Kriegsverbrechergefängnis Landsberg entlassen. Man könne „nicht ernsthaft von einer grundsätzlich geschichtlich bedeutsamen Person sprechen ..., an die gegebenenfalls auch im Schlechten zu erinnern wäre, sondern um einen Mörder im Dienste des menschenverachtenden NS-Regimes“, findet Dr. Peter Neuhaus. Die Stadt Hilchenbach hatte das 2014 schon einmal versucht, vergeblich. „Auch, wenn die Person nicht in das Bild passt, das Hilchenbach gern von sich verbreiten möchte, ist es nicht zulässig, unliebsame Personen zu löschen“, hieß es damals von Wikipedia, „das widerstrebt einem unserer wichtigsten Grundsätze, dem des neutralen Standpunkts.“

Diesmal lief es anders. Seit dem 5. Februar wurde 15 Mal an der beanstandeten Rubrik gearbeitet, nachdem Dr. Peter Neuhaus den Biberstein-Eintrag zunächst gelöscht hatte. „Unbegründete Löschung“ lautete die Anmerkung des Benutzers, der diesen Eingriff bereits zwei Minuten später rückgängig machte. Danach wurde virtuell verhandelt, indem die Benutzer ihre Veränderungen wechselseitig löschen und wieder erneuern: Am 8. Februar um 5.36 Uhr ist der „Obersturmbannführer“ immer noch da. Aber um 7.20 Uhr erscheint Biberstein bei Wikipedia als „zum Tod verurteilter (und später begnadigter) NS-Kriegsverbrecher“, und das unter der neuen Rubrik „In Hilchenbach geboren“. Um 7.49 Uhr ist das wieder zurückgenommen, um 7.56 Uhr steht der „Kriegsverbrecher“ erneut drin. Am 11. Februar um 6,18 Uhr wurde die vorerst letzte Änderung vorgenommen: „Pastor, SS-Obersturmbannführer und Leiter eines Einsatzkommandos in der Ukraine, zum Tode verurteilter Kriegsverbrecher“ heißt es da jetzt.

Eintrag für ermordete Hilchenbacher Juden

Aus den „Söhnen und Töchtern“ sind die Rubriken „In Hilchenbach geboren“ und „Weitere Persönlichkeiten mit Verbindung zur Stadt“ geworden. Den letzten Coup landete Dr. Peter Neuhaus, indem er die Rubrik Hilchenbacher Opfer des Nationalsozialismus, derer mit Stolpersteinen gedacht wird“, hinzufügte. Diese 13 Namen hat niemand mehr gelöscht. „Sehr eigenartig, dieses Online-Lexikon“, folgert Neuhaus, „ein bisschen wie eine Kirche. Oder Kafkas Schloss.“

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