Siegen. 104. Stolperstein: Der Schneider Philipp Rosenthal wurde von Nazis in Siegen getötet, offiziell ein Verkehrsunfall. Zeugen wurden eingeschüchtert

In der Stadt ist der 104. Stolperstein verlegt worden: Er erinnert an den Schneider Philipp Rosenthal, wohnhaft in der Hundgasse, der von Nazi-Schergen vor Ort ermordet wurde. Schneider wurde am 14. April 1899 in Znin geboren, damals gehörte der Ort in der Provinz Posen zum Regierungsbezirk Bromberg, liegt heute in Polen. Vor dem Ersten Weltkrieg zog er mit seinen Eltern nach Gelsenkirchen-Buer. Dort heiratete er am 8. Februar 1935 Sara (Fanni) Hochmann, deren Eltern aus der Ukraine stammten. Sie wurde am 6. April 1908 in Mannheim geboren. Philipp Rosenthal hatte bereits 1934 schon einmal in Siegen in der Hundgasse gelebt, dorthin zog das junge Ehepaar nach der Hochzeit wieder, in das Haus Hundgasse 26, heute Nr. 22.

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Traute Fries, Ehrenvorsitzende des Aktiven Museums Südwestfalen, berichtet über Philipp Rosenthal, der am 30. Juli 1942 an der Ecke Giersbergstraße/Heinrichstraße starb. Das Sterberegister hält „Schädelbasisbruch infolge Verkehrsunfall“ fest. Klaus Dietermann (1949-2017), der 2012 das Gedenkblatt für Dara Rosenthal geschrieben hat, fand keinen Hinweis auf einen Unfall in den Zeitungen. Es hielten sich Gerüchte, nach denen der Tod nicht durch Unfall verursacht worden sei. Dietermann hörte, dass der Nachbar Franz Braun nach der Teilnahme an der Beerdigung Schwierigkeiten mit der örtlichen Gestapo bekommen habe. Er war nicht der einzige.

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„Der heute 86-jährige Weidenauer Egon Jolig, mein ehemaliger Kollege vom Geisweider Stahlwerk, meldete sich vor zwei Jahren bei mir und schilderte mir, was er als kleiner Junge seinerzeit erlebte“, berichtet Traute Fries nun weiter. Egon Jolig, von 1959 bis 1972 ehrenamtlicher Stadtjugendpfleger in Weidenau/Hüttental, war als Kind mit seiner Mutter bei der Großmutter in der Unteren Rolandstraße zu Besuch. Er beobachtete vom Fenster aus, wie ein Lastwagen angefahren kam. Er sah, wie die hintere Bracke geöffnet und ein Mann vom Lastwagen gestoßen wurde. „Ich hörte noch einen Schrei, der Wagen hielt kurz an und fuhr dann weiter.“ Mutter und Großmutter, denen er erzählte, was er gesehen hatte, beruhigten ihn und rieten, sich wieder zum Mittagsschlaf hinzulegen, er habe nur geträumt. Später wurde Egon Jolig bewusst, dass sie Angst hatten.

Wer den Deportierten half, musste sich dafür bei der Gestapo rechtfertigen

Nach dem Tod ihres Mannes zog sich Sara Rosenthal völlig zurück. Am 28. Februar 1943 wurde sie gemeinsam mit weiteren 14 Menschen jüdischen Glaubens aus dem Siegerland über Dortmund nach Auschwitz-Birkenau deportiert. Es war die dritte Deportation. „Mein Vater Wilhelm Fries, der am Sonntagmorgen den Koffer für Heinz Lennhoff – er und Kurt Winter waren bereits in Dortmund – zu seinen Eltern, Julius und Bertha Lennhoff, zum Siegener Bahnhof brachte, wurde dafür von einem Bahnbeamten angegangen“, berichtet Traute Fries. Wilhelm Fries verabschiedete sich von Lennhoffs, Winters, Holländers und Sara Rosenthal. Am nächsten Tag musste er sich gegenüber einem Gestapo-Mann für sein Verhalten rechtfertigen. Bei der von Stuttgart ausgehenden Deportation über Trier und Dortmund wurden insgesamt 1500 Menschen nach Auschwitz-Birkenau gebracht. Mehr als 800 von ihnen wurden sofort nach der Ankunft ermordet.

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Mehr als zehn Jahre nach der Verlegung des Gedenksteins für Sara Rosenthal und ihre Cousine Fanni wird an seinem letzten Wohnort nun auch an Philipp Rosenthal erinnert. Auch Altbürgermeister Karl Wilhelm Kirchhöfer, der kürzlich seinen 90. Geburtstag feierte, nahm an der Verlegung teil – er berichtete, wie er selbst Menschen gesehen habe, die mit dem gelben (Juden-)Stern auf der Kleidung durch die Oberstadt laufen mussten. Fritz Klappert vom Jugendzentrum Bluebox setzte den Stolperstein.