Siegen. Blicke in die Geschichte: Als die Poststraße „Grüner Pfuhl“ war und hier Siegens Abwässer gesammelt wurden. Und: Der letzte Landespostzusteller.

Sie ist weg. Ende Oktober 1974 trägt Hüttentals Bürgermeister Hans-Georg Vitt die Amtskette, als er die Neubauten der Glückaufschule und der Haardter-Berg-Schule in Weidenau eröffnete. Eine letzte Ratssitzung des Hüttentaler Rates fand am 10. Dezember statt. Bürgermeister Vitt zeichnete seine Stellvertreter Friedrich Neus und Hans Berner mit dem Ehrenring aus, Vitt selbst nahm den Ehrenring von seinem Stellvertreter Neus entgegen – aber auf keinem Pressefoto trägt jemand die Amtskette. Und nach dem 1. Januar 1975, als Hüttental nach Siegen eingemeindet wurde, ward die Kette auch nicht mehr gesehen. „Sie gilt heute als verschollen“, stellt Siegens Stadtarchivar Dr. Patrick Sturm in seinem Aufsatz für die neue Ausgabe der Blätter des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins fest.

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Nicht jeder Bürgermeister hatte eine Amtskette. Seit 1851 war es dem preußischen König, danach dem Kaiser vorbehalten, einem Bürgermeister das Recht auf eine Amtskette zuzuerkennen. Kaiser Wilhelm gestand dies 1907 dem Siegener Bürgermeister Anton Delius zu, dessen Nachfolger dieses Recht bis heute auf sich übertragen betrachten, ohne die 1938 entfernte Medaille mit dem Bildnis des Kaisers. Weidenau wurde 1955 Stadt, Bürgermeister Werner Schmidt bekam die goldene Amtskette vom Landkreis geschenkt: 115 Zentimeter lang, mit zwei Weidenauer „Stadtdukaten“, den Wappen von Land, Kreis und Stadt, mit einem angegebenen Wert von 1500 Mark.

Als aus Weidenau im Jahr 1966 kurze Zeit die Stadt Hüttental wurde

Als aus Weidenau und anderen selbstständigen Gemeinden 1966 die Stadt Hüttental gebildet wurde, musste der neue Bürgermeister Hans-Georg Vitt die Kette erst einmal zurückgeben; Stadtdirektor Rolf Nordmeyer deponierte sie im Geldschrank. Der Rat der neuen Stadt beschloss, die Kette umarbeiten zu lassen. Die Wappen der Gemeinde Geisweid und des Amtes Weidenau sollten zusätzlich drauf, Westfalen dafür runter. Der Goldschmiedemeister regte an, auf zusätzliche Wappen zu verzichten und nur die vorhandenen zu ändern. Der Bürgermeister bestellte einen Rutschschutz dazu. Die Umarbeitung der auf nun 130 Zentimeter verlängerten Kette kostete 1140 Mark.

Am 21. Januar 1969 hatte die Stadt Hüttental endlich ihre Amtskette. Stadtarchivar Dr. Patrick Sturm beschreibt, was dann passierte: Die Stadt reklamierte und schickte die Kette zurück. Die acht Zweige der (Weidenauer) Kopfweide fehlten, die für die acht Ortsteile standen. Und dann waren die abgenommenen Wappenembleme nicht mehr da, die Stadtdirektor Nordmeyer zurückforderte: Der Goldschmied hatte sie als Altmetall behalten und verrechnet. Machte noch einmal 53 Mark. Am 5. Februar 1969 trug Hans-Georg Vitt die neue Hüttentaler Bürgermeisterkette zum ersten Mal öffentlich. Fünf Jahre später war sie weg.

Siegen und seine Abwässer: Die Poststraße einst ein Pfuhl

Der Grüne Pfuhl ist die Teichanlage, in der die Abwässer gesammelt wurden, bevor sie über den Kanal auf die andere Seite der Stadtmauer befördert wurden – in den Lohgraben und in die Weiß, wo Lohgerber und Metzger angesiedelt waren, die ihrerseits verschmutztes Wasser zu entsorgen hatten. Andreas Bingener ist für seinen Beitrag in die Geschichte der Siegener Stadtentwässerung eingestiegen. Der Pfuhl, die spätere Pfuhlstraße, wurde später in Poststraße umbenannt. Hinweise auf eine innenstädtische Kanalisation gibt es schon seit dem 16. Jahrhundert. Aus dieser Zeit stammt auch eine erste, von Bürbach hereinführende Frischwasserleitung, eine Wasserrinne, die mit Schiefersteinen abgedeckt und überfahrbar gemacht wurde – „durchaus auf der Höhe der Zeit“, stellt der Historiker fest. Dem Gestank überließen die Siegener der anderen Seite der Mauer. Lästig wurde es nur, wenn im Sommer die Mühlenteiche leergelaufen oder im Winter zugefroren warn. Dann musste als Ersatz eine Rossmühle auf dem Marktplatz betrieben werden. Der Gestank der Tiere drang bis ins Rathaus hinein. Ein geschlossenes Mühlengebäude wurde 1582 vor das Hospital auf dem Kohlbett (Holzkohlenlager) gesetzt.

Drahtwerk Dresler und Park mit Villa Dresler, aufgenommen vom Kreuztaler Luftschiffkommandanten Otto van der Haegen aus dem Luftschiff LZ 9.
Drahtwerk Dresler und Park mit Villa Dresler, aufgenommen vom Kreuztaler Luftschiffkommandanten Otto van der Haegen aus dem Luftschiff LZ 9. © LWL-Medienzentrum fuer Westfalen | van der Haegen, Otto

Das Kreuztaler Blechwalzwerk ist 1840 auf einem Gelände zwischen der Littfe und der Frankfurt-Hagener-Chaussee, der heutigen B 517, eröffnet worden. Horst Grafe schildert in seinem Beitrag Aufstieg und schnellen Fall der Walzwerksgesellschaft, die zu teuer gebaut hatte und ihre Waren nicht los wurde. Schon 1841 begannen Überlegungen für einen Verkauf. Der angehende neue Hauptanteilseigner aus Köln ging aber in Konkurs. Schließlich kaufte 1853 Johann Heinrich Dresler III das Blechwalzwerk und baute es in zwei Jahren zum Drahtwalzwerk um – das einzige im Siegerland: „Die letzten Fabrikhallen sind zwar seit Jahren Geschichte, aber ‘Dreslers Park’ mit der Weißen und Gelben Villa ist bis heute Zeuge einstigen Glanzes.“

Der letzte Landespostzusteller des Siegerlands radelte täglich das obere Siegtal ab

Deuzer Postgeschichte hat Wilfried Lerchstein aufgeschrieben. Ab 1841 kam der Landfußbote drei Mal in der Woche von Siegen nach Deuz, ab 1851 die Postkutsche. Zwei Postboten waren im Amtsbezirk Netphen eingesetzt, jeder Ort wurde nun zwei Mal in der Woche bedient. 1876 bekam Deuz eine eigene Postagentur, drei Jahre später kam die „Telegraphenanstalt“ dazu. Robert Jung war nicht nur Postagent, sondern auch Werkführer der „Actiengesellschaft für Uhrenfabrication“: Vier Brüder verdienten gut mit dem Unternehmen, weil jedes Postamt eine Uhr brauchte – damit die Postkutsche pünktlich abfuhr. Robert Jung beging trotzdem Unterschlagungen, er musste für vier Jahre ins Gefängnis. Ab 1906 gab es eine (Klein-)Bahnpost, 1930 bis 1931 auch eine „Kraftpost“, die Buslinie nach Kaan-Marienborn.

Werner Kleikamp und Frieda Flender waren 1961 Landpostzusteller in Deuz.
Werner Kleikamp und Frieda Flender waren 1961 Landpostzusteller in Deuz. © Nachlass Werner Kleikamp

1961 noch muss Werner Kleikamp, letzter Landpostzusteller des Siegerlandes, täglich das obere Siegtal und alle zwei Tage sogar den Lahnhof abradeln. 71 Jahre lang, von 1898 bis 1969, versehen drei Generationen der Familie Otto den Posthalterdienst in Deuz. Im Winter wurde die Post mit dem Postschlitten vom Bahnhof abgeholt, einmal im Monat die verplombten Postsäcke mit den Renten über Nacht unter die Matratze gepackt. 1978 zog die Post in das Geschäftshaus Marburger Straße 5 ein, 1999 wurde die Filiale geschlossen. Seitdem beauftragt die Post in Deuz den Lebensmittelmarkt Dornseifer mit dem Agenturdienst.

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In weiteren Beiträgen berichtet Friedrich Weber über Kirchen des Kölner Dombaumeisters Vincenz Statz in Dörnschlade, Mudersbach und Betzdorf, und Herbert Bäumer erinnert an die Siegener CDU-Landtagsabgeordnete Edith Langner (1913-1986). Siegerland. Blätter des Siegerländer Heimat- und Geschichtsvereins. Band 99/Heft 2022.