Siegen. Theaterstück fast ohne Handlung, in fremden Sprachen, mit kaum lesbarer Übersetzung: Eine durchwachsene Spielzeit-Eröffnung, findet der Rezensent

Zeit ist relativ. So können zwei Stunden sehr kurz sein, etwa bei einem spannenden Film, einem Konzert der Lieblingsband oder bei einem Abendessen mit Freunden. Aber auch ziemlich lang werden, wie bei einem Theaterstück fast ohne Handlung und noch dazu in den fremden Sprachen Niederländisch, Französisch und Englisch. Zwar war angekündigt, dass eine deutsche Übersetzung des Textes eingeblendet werde, doch die fiel so klein aus, dass die Theaterbesucher in den hinteren Reihen schon sehr gute Augen haben mussten, um mitlesen zu können. So sie es denn wollten.

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„Do the Calimero“ („Lasst uns den Calimero machen“), so nennt die bekannte holländische Regisseurin Lies Pauwels ihr Stück, mit dem sie und ihr Team in Siegen Premiere haben. Wobei Calimero eine italienische Zeichentrickfigur ist: ein schwarzes Kükens mit einer Eierschale auf dem Kopf, zu der vor einiger Zeit in Japan eine Fernsehserie produziert wurde. Schnell fragt sich der Theaterbesucher, was denn das Bühnenstück mit diesem Federvieh zu tun hat. Denn nach und nach treten unterschiedliche Menschen auf und erklären ihre Probleme: So ein Clown, der sich seiner Verkleidung entledigt, eine kurzatmige übergewichtige Frau, die sich „as a looser“ fühlt, ein kleines Mädchen, das seine Mutter sucht…

Die Monologe der Protagonisten geraten in Siegen viel zu lang, Dialoge fehlen

Die Monologe der Protagonisten geraten viel zu lang, werden zu einer Nabelschau. Dialoge, das Salz in der Suppe des Theaters? Fehlanzeige. Dafür häufige Verweise und Zitate aus Shakespeare-Dramen und musikalische Ausritte in die Gegenwart: „Give Peace a Chance“ und „Imagine“ der Beatles und „We are the world“ von Michael Jackson, einschließlich des berühmten „Moonwalks“.

Bewegung und Anmut: Die neun Schauspielerinnen und Schauspieler geben zwei Stunden lang alles.
Bewegung und Anmut: Die neun Schauspielerinnen und Schauspieler geben zwei Stunden lang alles. © Wolfgang Leipold

Doch es gibt auch Höhepunkte. Etwa „O Solitude, my sweetest Choice“ des englischen Barockkomponisten Henry Purcell aus dem 17. Jahrhundert. Wie Marjan De Schutter dieses sanft-melancholische Lied mit Kopfstimme klar und ohne jegliches Vibrato interpretiert: Großartig. Dazu Tanzszenen voller Tempo und Dynamik und auch schräg, als etwa ein Nikolaus auf allen Vieren über die Bühne schleicht, und dabei leere Pfanddosen in seinem Sack mitschleppt, oder Karnevalbesucher, die angetrunken über die Straße torkeln. Leider wieder arg lang, so dass mancher im einigermaßen gut besuchten Theater verstohlen auf die Uhr schaut, auf dem Sitz hin und her rutscht und sich fragt, wann und wie die Regisseurin wohl mit einer eleganten Kurve auf das Finale zusteuern wird. Das kommt, nach genau 125 Minuten Spielzeit ohne Pause: Zunächst sehr leise mit dem Bob Dylan-Hit „Blowing in the Wind“ und dann mit getanzten Farbexplosionen aus Kostümen und Tüchern, wie man sie in den 15 Jahren der Apollo-Geschichte noch nie erlebt hat. Und da darf auch die Band auf Disko-Lautstärke aufdrehen, denn nun wird Karneval gefeiert – jeder kann sein, wie er möchte: Laut, ausgelassen, unbeschwert.

Applaus für Schauspiel-Ensemble, Bühnenbild, Kostüm, Maske, Licht und Musik

Der Beifall gilt den neun Schauspielerinnen und Schauspielern, die alles gegeben haben, einem Bühnenbild, das ähnlich wie bei Shakespeare Arena-Charakter hat, opulenten Bühnenbildern, Kostümen, Masken, beeindruckenden Lichteffekten einschließlich einer Diskokugel und zwei Instrumentalisten, die mit Gitarren und Schlagzeug für die Musik sorgen: Mal sanft begleitend, dann wieder mit vollem Schmackes.

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Markus Steinwender hätte es sich zum Auftakt seiner Intendantenzeit deutlich leichter machen können: Etwa mit einem leichtfüßigeren Stück in deutscher Sprache und besucherfreundlichen Zwischenpause. Er hat den schwereren Weg gewählt. Die zukünftigen Publikumszahlen werden ein Hinweis sein, ob dieser Weg der richtige ist.