Hilchenbach. Die Sonne geht über der Zeltstadtunter, der Wald ist weg, was neue Aussichten ermöglicht und die Menschen freuen sich auf ein Festivalwochenende.

Mit jedem Meter hoch zum Giller steigt die Stimmung. Von der Kronprinzeneiche aus war der Gillerturm das letzte Mal vor Jahrzehnten zu sehen und auch die Ginsberger Heide hat sich deutlich verändert. Borkenkäfer und Trockenheit haben sichtbare Spuren hinterlassen – der Wald ist weg.

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Vielleicht liegt es an der warmen Abendsonne und ihrem orangeroten Licht, das zwischen den Zeltdächern aufs Hochmoor fällt, der guten Luft, an drei Jahren Durststrecke ohne Kultur Pur oder alles zusammen – die Laune ist bestens, bei Gästen, Künstlern, Helfern. Nach all den Krisen, die immer noch nicht vorbei sind, aber für ein Weilchen auch mal vergessen werden dürfen: Dieses lange Pfingstwochenende ist eine Gelegenheit, einfach mal wieder etwas Schönes zu erleben.

Ohne die 200 Helferinnen und Helfer – viele davon neu – wäre Kultur Pur unmöglich

Nach mehr als 30 Jahren eine Art Neuanfang, sagt Landrat Andreas Müller beim Empfang vor der allerersten Kultur-Pur-Veranstaltung seit 36 Monaten. Jahrelange Enthaltsamkeit, trotzdem ist alles vertraut wie immer, gleichzeitig anders. „Positiv befremdlich“, formuliert es Moderator Marco Federhen. Nicht nur des Waldes wegen. Viele Menschen, die Kultur Pur machten, haben sich neuen Aufgaben zugewandt, mussten neu gefunden und angelernt werden, die Handgriffe, die so sicher saßen, müssen erst wieder sicher werden. „Aber die Zelttheaterstadt steht trotzdem wieder“, sagt Müller und lobt, nicht zum ersten Mal an diesem ersten Abend, die rund 200 Helferinnen und Helfer, die Kultur Pur zu Kultur Pur machen.

Genauso das Publikum; die Menschen, die wieder zum Giller strömen, obwohl es sich schon auch komisch anfühlt mit so vielen Leuten auf vergleichsweise engem Raum zu sein. Der Luftzug des Kamineffekts gibt in den Zelten da ein Stück Sicherheit. Es zieht ein wenig, gegen Corona, für den Fall. Andreas Müller ist wie immer optimistisch: „Das Wetter wird immer besser“ – man möge weitersagen: Zu Kultur Pur kommen. Am besten mit Bus und Fahrrad.

Die „Urväter“ von Kultur Pur erinnern sich: Als Gastronomie gleich Brühwurst war

Traditionell wird Kultur Pur nicht eröffnet, ohne sich mehr oder weniger ausgiebig der Anfänge zu erinnern. Und auch dieses Mal stehen sie wieder da, die „Urväter“ (Federhen) Hartmut Kriems, Georg Klein und Wolfgang Suttner, zusammen mit dem heutigen Festivalchef Jens von Heyden, und erzählen die Anekdoten, die alle schonmal irgendwie irgendwo gehört haben und die trotzdem zum Ritual der Eröffnung gehören. Wie die Gastronomie beim ersten Mal aus Brühwurst bestand, die Kulisse aus einem Zelt, wie sie in ihrer Naivität Sonderzüge der Bahn nach Lützel ordern wollten, was kein Mensch bezahlen konnte. Wie gering der Aufwand für die Philharmonie damals noch war.

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Georg Klein, langjähriger Organisationschef, erinnert sich, wie er vor der Premiere nächtelang mit Block und Stift neben dem Bett schlief, um nur ja nichts Wichtiges zu vergessen, wie sie überall Geld zusammenliehen und -bettelten, die Kommunen irgendwelche Stühle auf den Giller karrten und sie die Bühne selber schreinerten. Er zückt sein 40 Jahre altes Bandmaß, mit dem er die rechten Winkel für die Bühne einmaß und aus dem die Knicke vom vielen Knicken nicht mehr verschwinden werden.

Der frühere Orga-Chef Georg Klein mit seinem 40 Jahre alten Maßband zum Einmessen der Bühne: Das Werkzeug war jahrzehntelang im Einsatz.
Der frühere Orga-Chef Georg Klein mit seinem 40 Jahre alten Maßband zum Einmessen der Bühne: Das Werkzeug war jahrzehntelang im Einsatz. © Hendrik Schulz

Wolfgang Suttner, langjähriger Festivalleiter, ist immer noch aufgeregt, wenn er zu Kultur Pur kommt, „das lässt mich nicht los“, wäre einerseits noch gern mittendrin – aber es verändere sich ja auch gar nicht so viel. „Es wird nur immer besser und schöner.“ Und erzählt auch nochmal, wie ein mies gelaunter Bob Geldof ihn nach dem Konzert fragte, ob er der Idiot sei, der die „beschissenen Bilder von Paul McCartney“ ausgestellt habe. Damit könnte Kultur Pur dann wirklich starten, Georg Klein hat aber noch einen Wunsch: „Dass der scheiß Dreckskrieg so schnell wie möglich vorbei ist“ und dass es weiter genug Ressourcen gibt, um Kultur machen zu können. Nichts hinzuzufügen, großer Applaus. Dann geht’s rüber ins große Zelttheater.

Empfang zum Auftakt von Kultur Pur 30 im kleinen Zelttheater.
Empfang zum Auftakt von Kultur Pur 30 im kleinen Zelttheater. © Kai Osthoff

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Die „Urväter“ von Kultur Pur auf der Bühne: Georg Klein, Hartmut Kriems, Moderator Marco Federhen, Festivalleiter Jens von Heyden und sein Vorgänger Wolfgang Suttner.
Die „Urväter“ von Kultur Pur auf der Bühne: Georg Klein, Hartmut Kriems, Moderator Marco Federhen, Festivalleiter Jens von Heyden und sein Vorgänger Wolfgang Suttner. © Kai Osthoff