Siegen. Bei Wahlparty im Lyz Siegen mag so recht niemand jubeln, auch die Gewinner nicht. Niedrige Wahlbeteiligung und die eigene Blase geben zu denken

Gerechnet hatte mit diesem Ergebnis keiner. Jens Kamieth kommt auf der Wahlparty im Lyz ins Philosophieren: „Letztlich ist doch alles Blase“, sagt der alte und neue Landtagsabgeordnete für den 126er Wahlkreis: Natürlich seien die Rückmeldungen des eigenen Teams und der Leute, die zum Wahlkampfstand kommen, an deren Haustüren man klingelt, eher positiv gefärbt. Die wahre Stimmung da draußen – mit großer Unsicherheit behaftet. „Ich hatte ein gutes Gefühl, dass es so klar ausgeht – damit hätte ich nicht gerechnet.“

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Das hatte auch sein Herausforderer nicht. Die Differenz zwischen dem Ergebnis und dem, was er von den Menschen gehört habe, sei ebenso groß wie der Wahlausgang enttäuschend, sagt Bernardo Adhemar Molzberger (SPD).

Der Ukraine-Krieg überlagert im Landtagswahlkampf die NRW-Themen

Ein irgendwie seltsamer Wahlkampf war das, da sind sich alle politisch Interessierten, Kandidierende, Unterstützer, Bürgerinnen und Bürger an diesem Abend im Lyz einig. Die Ukraine das alles überlagernde Thema, die landespolitischen Herausforderungen im Wahlkampf eher Randnotizen. Gleichzeitig richtig und wichtig und dann auch wieder schade, sagt die Grüne Direktkandidatin im Wahlkreis Siegen-Wittgenstein I, Manu Köninger, die einen soliden dritten Platz gemacht hat, mit rund doppelt so vielen Stimmen wie der AfD-Mann Zoz auf Rang 4. Sie sei begeistert über Partei- und persönliches Ergebnis, habe dann doch in vielen Gesprächen das Bedürfnis nach Wandel in der Bevölkerung gespürt, vor allem beim Themenkomplex Klimawandel.

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Und selbst der ist aktuell nicht zu denken, ohne den Ukraine-Krieg mitzudenken. Ein spürbar gelöster Johannes, im 127er Wahlkreis ebenfalls als Grüner auf Rang 3, freut sich, dass nun der Windkraft-Ausbau vorangehen werde: „Hoch die Tassen“, sagt der nun ehemalige Abgeordnete, der den Erfolg seiner Partei auch dann als persönlichen Triumph wertet, wenn er dem Landtag nicht mehr angehören wird.

Gewinner und Verlierer der Landtagswahl vermissen bei der Wahlparty das Bier

Jubelstimmung indes kommt nicht auf. Das mag daran liegen, dass es kein Bier gibt bei dieser Wahlparty, was Gewinner und Unterlegene gleichermaßen überrascht feststellen. Die niedrige Wahlbeteiligung und die unklare künftige Regierungskonstellation dürften ihr Übriges dazu beitragen.

Schockstarre bei der FDP um Direktkandidat Carsten Weiand (rechts). 
Schockstarre bei der FDP um Direktkandidat Carsten Weiand (rechts).  © Hendrik Schulz

Sozialdemokrat Samir Schneider, dessen sich anfangs nur zögerlich abzeichnende Niederlage sich im Laufe des Abends im Wahlkreis Siegen-Wittgenstein II verfestigte, ist zumindest froh, dass es vorbei ist – ohne seine Familie, die er nach mehr als 400 Wahlkampf-Terminen, für die er sich auch freistellen ließ, zuletzt nur noch selten sehen konnte, hätte er das nicht durchstehen können, sagt der Vater kleiner Kinder – und dass es schade sei, dass die landespolitischen Großbaustellen wie die Bildungspolitik oder die Corona-Folgen aktuell so stark in Vergessenheit geraten seien.

Bei der FDP Siegen-Wittgenstein sitzt der Schock über das Wahlergebnis tief

Mark P. Stadler, Direktkandidat der Linken im Siegerland, macht sich Sorgen um die hohe Zahl der Nichtwähler. Als Demokrat empfinde er das als bedrückend – „ich würde gerne wissen, was diese mehr als 40 Prozent denken.“ Das bestätigt Roland Wiegel, der im 127er Wahlkreis für die Linken kandidierte: Wenn sich so viele Menschen nicht von der Politik ernstgenommen fühlten, sei das ein Problem. Diese Menschen mitzunehmen, für die Demokratie zu gewinnen, da sehe er für die Linke großes Potenzial.

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„Ich weiß nicht wie ich das im Moment einordnen soll“, sagt ein „schockierter“ FDP-Direktkandidat im Wahlkreis 127, Carsten Weiand – ob das miserable Ergebnis für die Liberalen die Quittung aus Berlin sei, oder ob man es sich als Landespartei selbst zuzuschreiben habe. Das gelte es in den nächsten Tagen aufzuarbeiten. „Schockiert“ sei das richtige Wort, sagt auch Andreas Weigel – beide FDP-Direktkandidaten konnten das Zweitstimmenergebnis ihrer Partei, im Wahlkreis wie landesweit, nicht übertreffen. „So nah an 5 Prozent – damit hätten wir nicht gerechnet“, so Weigel, gerade nach der vergangenen Bundestagswahl, als die FDP im Kreisgebiet zweistellig wurde. Die Regierungsbilanz sei gut, womöglich habe man das nicht transportieren können – und die Stimmung im Wahlkampf habe das auch gespiegelt.