Buschhütten. Auf dem Campus Buschhütten vernetzt die Smarte Demonstrationsfabrik SDFS den Siegerländer Mittelstand: Gemeinsam forschen für die Industrie 4.0.

Die Ära des Stahls ist vielleicht nicht vorbei, aber die Ära der Daten hat definitiv begonnen. Die Tech-Giganten sitzen in den USA, China holt immer mehr auf. In Sachen Digitalisierung, Künstliche Intelligenz, maschinellem Lernen holt Deutschland zwar auch auf, steckt aber im internationalen Vergleich noch in den Kinderschuhen.

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Die SDFS Smarte Demonstrationsfabrik Siegen will zur Aufholjagd beitragen. Ingenieurskunst, mittelständisches Unternehmertum, „Made in Germany“ – dafür wurde und wird die deutsche Wirtschaft auf der Welt gerühmt, im Zeitalter des Stahls. Noch. Um den Anschluss im Zeitalter der Daten nicht zu verlieren, sind Prof. Peter Burggräf und sein Oberingenieur Fabian Steinberg überzeugt: Der deutsche Mittelstand kann Industrie 4.0. Kann Digitalisierung, kann KI – zusätzlich zu und in Kombination mit Ingenieurskunst, deutscher Gründlichkeit.

Für den Campus stellt die Firma Achenbach Buschhütten ihre Halle zur Verfügung

Eine historische Industriehalle auf dem Gelände der Firma Achenbach Buschhütten. Hier wurde schon vor dem Strom-Zeitalter produziert, mit Wasserkraft aus der Ferndorf, mit Dampf. Die alten Stahlträger bilden das Gerüst der Halle, die nach dem Umbau Industrie-Loft-Flair atmet. Stahl, Glas, freiliegendes Mauerwerk, blitzsaubere Maschinen, Monitore, an den Seiten Büros und Besprechungsräume.

So sah es hier früher aus: Auch vor dem Strom-Zeitalter wurde in der Halle produziert – mit Wasserkraft aus der nahen Ferndorf.
So sah es hier früher aus: Auch vor dem Strom-Zeitalter wurde in der Halle produziert – mit Wasserkraft aus der nahen Ferndorf. © Hendrik Schulz

Campus klingt nach Hochschule und die Universität Siegen ist auch mit dem Lehrstuhl International Production Engineering and Management (IPEM) mit im Boot – aber der Campus ist keine Hochschuleinrichtung. Hier arbeiten mehrere Partner – die Firma Achenbach Buschhütten stellt das Gebäude zur Verfügung und betreibt darin ihre überbetriebliche Lehrwerkstatt „Smarte Lernfabrik“ – unter der Federführung der Demofabrik zusammen. Mit Ausbau-Potenzial, die Nachfrage ist da. Auf dem Areal gibt es weitere Flächen, weitere Gebäude sind in Planung, die Nachbarhallen sollen sukzessive weiter erschlossen und angegliedert werden.

In der Smarten Demonstrationsfabrik wird im Produktionsprozess geforscht

Der SDFS als Mieter gehören die Produktionsmaschinen. Die stellt sie zur Verfügung – unter anderem der Uni. „Eine reale Produktion“, sagt Fabian Steinberg, „hier entstehen Produkte für den Markt.“ In einer Uni läge der Fokus auf Laborbedingungen, Grundlagenforschung. Im Produktionsprozess herumforschen: Haben die meisten Firmen nicht gern. Es kostet Zeit und Aufwand, die Maschinen sollen laufen, externe Ingenieure stören da eher. In Buschhütten wird gleichzeitig produziert und geforscht. „Jeder Wissenschaftler braucht ein Experimentierfeld“, sagt Prof. Burggräf – im und aus dem Reallabor heraus kann die Wissenschaft ihre Industriepartner mit Inhalten versorgen.

Seit gut einem Jahr ist der Campus Buschhütten in Betrieb – und wird absehbar weiter expandieren.
Seit gut einem Jahr ist der Campus Buschhütten in Betrieb – und wird absehbar weiter expandieren. © Hendrik Schulz

Peter Burggräf hat in seiner Zeit an der RWTH Aachen bereits eine Demonstrationsfabrik aufgebaut, brachte das Konzept 2017 mit, als er seine Professur an der Uni Siegen antrat. Gerade im Siegerland, so der Wissenschaftler, seien die Voraussetzungen gegeben, die Verbindung zwischen traditionell starker Industrie und der Hochschule zu stärken. Die SDFS soll genau diese Verbindung sein – mehr als 40 Partner hat sie schon, obwohl sie im Grunde noch in der Anfangsphase steckt. Vor einem Jahr wurde eröffnet. „Wir erwarten ein sehr dynamisches Wachstum“, sagt Burggräf. Perspektivisch könne es nicht mehr lange dauern, bis die Halle voll ist. Wenn jeden Tag diverse Kundenbesuche anstehen, sind „Mitnahmeeffekte“ nicht zu unterschätzen.

Smarte Demonstrationsfabrik will Siegerländer Industrie fit machen für die Zukunft

Kurz und knapp: Die heimische Industrie fit machen für die Zukunft. „Das Siegerland hat in den vergangenen 150 Jahren enorm von der Industrialisierung profitiert“, sagt Peter Burggräf; alle wirtschaftlichen Entwicklungszyklen mitgemacht, vorangetrieben. Es profitierte von der Globalisierung, auf den Weltmärkten spezialisierten sich die Unternehmen, zahlreiche „hidden champions“, Weltmarktführer in ihrem Technologiesegment entstanden, sicherten in der ländlich geprägten Region Wohlstand, Arbeitsplätze.

Prof. Peter Burggräf.
Prof. Peter Burggräf. © Hendrik Schulz

Exportweltmeister im Maschinen- und Anlagenbau ist inzwischen China, so Peter Burggräf. Nicht mehr Deutschland und sein Mittelstand. „China ist in sich ein riesiger Markt – und trotzdem exportieren sie noch“, sagt er. „Es ist Deutschland ebenbürtig geworden.“ Gleichzeitig brechen Märkte weg – zum Beispiel wegen der Nachhaltigkeit. Turbinen für Gaskraftwerke werden nicht mehr so viele benötigt. Ein enormer Wandel, angesichts dessen sich deutsche Unternehmen neu erfinden und am Markt positionieren müssen.

Digitalisierung in der Industrie: Schon bei der Konstruktion die Produktion mitdenken

Aber die größte Zäsur markieren Computer und das Internet; Digitalisierung und Künstliche Intelligenz (KI) sind einschneidende Veränderungen für die gesamte Gesellschaft, auch und gerade für die Wirtschaft. Viele Länder sind schon sehr weit, haben ihre Hausaufgaben gemacht – Deutschland insgesamt eher noch nicht, sagt Prof. Burggräf. Gerade KI entwickle sich mit unglaublichem Tempo, schaffe enorme Möglichkeiten, stelle traditionelle Technik in immer höherer Schlagzahl in den Schatten. Was einst jahrzehntelange Erfahrung ausmachte, kann eine Maschine heute berechnen. Und lernen. Wissen und Erfahrung sind die Säulen der Ingenieurskunst. Ihre Bedeutung bröckelt.

Fabian Steinberg.
Fabian Steinberg. © Hendrik Schulz

Einzeltechnologien, sagt Peter Burggräf, sind an vielen Stellen ausgereizt. Aber durch ihre Vernetzung potenzieren sich Möglichkeiten. Ein Entwickler konstruiert und gestaltet eine Komponente in einem 3D-CAD-System, das per Knopfdruck an die Arbeitsvorbereitung geht, mit Arbeitsplan, Maschinenbedarf, Werkzeugen, Produktionsauslastung. Weil das System mit einer Künstlichen Intelligenz vernetzt ist, kann die schon während der Konstruktion erkennen, dass beispielsweise ein Werkzeug oder notwendiges Material nicht verfügbar ist. „Schon bei der Konstruktion die Produktion mitdenken“, nennt das der Professor. „Vernetzen allein reicht nicht.“ Daten müssen aufbereitet, klassifiziert werden. Aber dann hätten solche Lösungen das Potenzial „Game Changer“ zu sein. Er ist überzeugt: „Man kann ganz anders operieren.“

Campus Buschhütten als Leuchtturmprojekt für Künstliche Intelligenz in der Industrie

Weil so viele unterschiedliche Partner an einem Ort zusammenkommen, wird Kompetenz im Netzwerk gebündelt. Der technologische Rückstand auf die USA und China, was konkrete Anwendungen und die Breite des Wissens angeht, soll hinsichtlich einer gewissen Souveränität zumindest verringert werden, sagt Peter Burggräf. Im Siegerland arbeiten sie an einem Leuchtturmprojekt: Eine Plattform, Vernetzung für die Region, Kompetenzen in diesem gemeinsamen Ziel bündeln.

Hier wird smartes Roboter-Schweißen erprobt: Maschinen können lernen, unterschiedliche Spaltmaße hochpräzise zu verarbeiten.
Hier wird smartes Roboter-Schweißen erprobt: Maschinen können lernen, unterschiedliche Spaltmaße hochpräzise zu verarbeiten. © Hendrik Schulz

Dazu zählt aus Sicht der SDFS auch eine Umstrukturierung der Ausbildung – KI fehle in den Ingenieurswissenschaften noch weitgehend. Auch für Unis, die in den „Währungen“ Publikationen und Fördergelder rechnen, lohne es sich, das Potenzial anwendungsnaher Forschung auszuschöpfen, meint Burggräf. Ohnehin, ergänzt Fabian Steinberg, könne die Uni die Infrastruktur in Buschhütten im Sinne eines „Ingenieur 4.0“ für Lehrveranstaltungen nutzen – zahlreiche Vorlesungen und Übungen des Lehrstuhls finden bereits auf dem Campus statt. Nicht zu vergessen: Die „klassische“ betriebliche Ausbildung. Auch da kann KI eine wichtige Rolle spielen, auch in der Zerspanungsmechanik gibt es Berührungspunkte.

Wie früher im Hauberg: Die Siegerländer Industrie arbeitet gemeinsam an KI

„Wir kratzen gerade an der Oberfläche und entwickeln erst ein Verständnis für die Möglichkeiten“, sagt Burggräf. Für einzelne Unternehmen, die sich mit dem Thema befassen, mehr, als sie verarbeiten können. „Wenn man sich im Wald verläuft, ist es alleine schwierig, den Ausweg zu finden“, vergleicht der Professor – als SDFS aber könne man selektieren, Schwerpunkte legen, wachrütteln, motivieren, erklären, „nicht alleine, sondern als Partner“, sagt er. Mit gebündeltem Wissen, gebündelter Motivation, deren Grundlagen allen dienen. Im Reallabor werden sie greif- und zeigbar.

Ein automatisches „Weasel“-Transportsystem führt durch die Halle des Campus Buschhütten
Ein automatisches „Weasel“-Transportsystem führt durch die Halle des Campus Buschhütten © Hendrik Schulz

Die digitale Revolution in der Siegerländer Industrie soll die ganze Region in die Lage versetzen, gemeinsam auf dem noch jungen Feld künftig erfolgreich zu wirtschaften. „Wie früher gemeinsam der Hauberg bewirtschaftet wurde, wollen wir uns zusammentun und uns KI vornehmen, gemeinsam lernen“, sagt Burggräf. „Umso mehr Partner dazukommen, desto attraktiver wird es.“ Die Unternehmen wüssten um die Herausforderung, sich als einzelner Mittelständler so ein Thema erschließen zu müssen – und seien umso dankbarer für die Demofabrik als Plattform. Wettbewerbsdenke sei den meisten an der Stelle fremd. Weil die Unternehmen in aller Regel hochspezialisiert sind und sich ohnehin nicht in die Quere kommen – und, weil sie das Potenzial des gemeinsamen Ressourceneinsatzes erkennen.

Anwendungsbeispiele: Woran im Campus Buschhütten bei der SDFS geforscht wird

Das Startup „Lokalino“ entwickelt in der SDFS ein UWB-Sendesystem (Ultrabreitband-Funk), das einzelne Bauteile, zum Beispiel in einem Fabriklager, auf den Zentimeter genau lokalisieren kann.

Die Achse eines E-Autos wird aus hochpräzisen Einzelteilen zusammengeschweißt. „Ein Schweißroboter kann extrem gut immer die gleiche Geometrie abfahren“, erklärt Fabian Steinberg. Aber es gibt Fertigungstoleranzen. Bauteile sind mal größer, mal kleiner. Beim „klassischen“ Roboter geht eine Schweißnaht also mal daneben, ein Mensch kann die Toleranz ausgleichen. Das dauert länger, noch präziseres Material kostet Geld. Oder es gibt viel Ausschuss. So oder so, sagt Steinberg, geht viel Potenzial verloren. Lösung: Ein selbstlernendes System; der Schweißroboter lernt, Abweichungen zu erkennen und zu reagieren – in industriellem Arbeitstempo. Übertragbar auf andere Fertigungstechnologien.

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Ein fahrerloses Transportsystem führt durch die Halle. Aus einem Paternoster-Regal wird automatisch das richtige Bauteil genommen, in das „Weasel“ platziert und dorthin gebracht, wo es gebraucht wird. Der Kunde bestellt, das erzeugt einen Auftrag, der geht an die Maschine, das Material ist zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.