Wir haben sechs Kandidatinnen und Kandidaten zum Online-Gespräch gebeten. Im zweiten Teil ging es um Bürokratie und Digitalisierung.

Frage 2

Planungen für Bauprojekte dauern ewig, die Politik klagt selbst über Überregulierung, zum Beispiel im neuen Regionalplan. Kommunen beschäftigen Personal nur dafür, den Fördermitteldschungel zu durchschauen. Gleichzeitig machen viele Menschen „den Staat“ für alles Mögliche verantwortlich oder fordern, dass er sich um nahezu jedes Problem kümmert. Wir bringen Sie Siegen-Wittgenstein und die Republik auf Trab? Oder glauben Sie, dass die Menschen das in Wirklichkeit gar nicht wollen?

Laura Kraft: Also, Ihre These ist, dass die Menschen Bürokratie mögen oder dass sie sich in Sicherheit wiegen.

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Steffen Schwab: Nein!

Laura Kraft: Nein, also Bürokratieabbau ist natürlich ein ganz wichtiger Faktor, wenn wir schnell auf einen grünen Weg kommen wollen, wenn wir schnell das 1,5-Grad-Ziel erreichen wollen – also auf diesen Pfad kommen wollen. Es ist definitiv so: Wenn ich eine Windkraftanlage genehmigt haben möchte, dann dauert so ein Verfahren Jahre, dabei müsste es eigentlich Monate dauern. Und ich glaube, das ist auch das, was viele verschreckt, tatsächlich auch zu investieren, etwas umzusetzen ganz konkret. Und natürlich bedeutet das auch massive Kosten. Ich finde, Windkraftanlagen sind eigentlich ein ganz gutes Beispiel dafür, wenn man sieht, was für Gutachten gefordert sind, wie lange das Ganze dauert, was dieser ganze Prozess kostet, bis man überhaupt dahin kommt, ein Windrad irgendwo stehen zu haben. Es ist einfach irre. Und der Bürokratiedschungel: Vielleicht ist der ja einmalig in Deutschland, ich glaube das nicht, in anderen Ländern gibt es das bestimmt auch in irgendeiner Form, aber wir müssen das definitiv abbauen, wir müssen diesen bürokratischen Apparat, ich sag jetzt mal: entschlacken. Wir müssen Genehmigungsverfahren schneller möglich machen und vielleicht auch einfach niedrigschwelligere Anforderungen stellen. Andererseits muss man natürlich auch sagen: Wenn man hohe Standards verlangt, hohe Umweltschutzstandards, dann ist eine grundsätzliche Prüfung natürlich unabdingbar. Was Ihre Idee angeht, dass die Menschen das vielleicht auch gar nicht anders wollen: Das glaube ich nicht. Ich habe noch nie von jemandem gehört, der es gut fand, dass irgendwelche bürokratischen Verfahren ewig lang gedauert haben – und das ist auch nicht im Sinne der Grünen. Bürokratieabbau – vielleicht kann die Digitalisierung auch helfen. Faxen: Wir haben es bei Corona gesehen, es wurde sehr viel gefaxt, man will es kaum glauben im Jahr 2021. Da müssten wir glaub ich einfach ein bisschen smarter werden.

Das Online-Podium

Wir haben die Siegen-Wittgensteiner Wahlkreiskandidatinnen und -kandidaten der im Bundestag vertretenen Parteien zum Online-Gespräch eingeladen. Zu drei Fragen konnten je zwei Statements zu zwei Minuten abgegeben werden. Wir dokumentierten das Gespräch an diesem und den beiden folgenden Samstagen.

Volkmar Klein, 61, Burbach, Volkswirt. Seit 1978 Mitglied der CDU, 1984 bis 2005 Ratsmitglied in Burbach; 1992 bis 1996 Bürgermeister in Burbach; 1995 bis 2009 Abgeordneter im Landtag, Mitglied des Bundestages seit 2009, Listenplatz 24.

Luiza Licina -Bode, 48, Bad Laasphe, Volljuristin, Beamtin beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, Hauptpersonalrätin beim Bundesministerium des Inneren für Bau und Heimat . SPD-Mitglied seit 2005, 2011 bis 2019: Stadtverordnete im Rat der Stadt Bad Laasphe, Listenplatz 32.

Guido Müller, 48, Siegen, Historiker, Fachwirt für PR, selbstständiger PR-Berater, Hobby: Kabarettist als „Guido Fliege“Seit 1998 Mitglied der FDP, seit 2009 Chef der Kreistagsfraktion, kein Platz auf der Landesliste.

Henning Zoz, 57, Freudenberg, Unternehmer. War Mitglied der Jungen Union, kandidierte 2009 bei der Kommunalwahl für die FDP, seit 2017 Mitglied der AfD. Bei der Kommunalwahl 2020 kandidierte Zoz für die AfD für das Bürgermeisteramt der Stadt Siegen. Kein Listenplatz.

Laura Kraft, 30, Siegen, Literaturwissenschaftlerin; wissenschaftliche Mitarbeiterin und Doktorandin an der Universität Siegen. Seit 2018 Mitglied bei Bündnis 90/ Die Grünen, seit 2019 im Vorstand des Ortsverbandes Siegen, 2020 Kandidatin für das Amt der Landrätin, Kreistagsmitglied. Listenplatz 23.

Ekkard Büdenbender, 51, Netphen, Werkstoffprüfer. 2001 Eintritt in die PDS, 2008 Eintritt in Die Linke, 2009 bis 2020 Ratsmitglied in Netphen, Kreissprecher seit 2018, kein Listenplatz.

Henning Zoz: Die Frage ist doch vielleicht eher: In was für einem Land wollen wir leben? Wollen wir in einem Land leben, wo wir Freiheit genießen können – das, was dem Mensch eigentlich ein Stück Natur oder angeboren ist; und wollen wir eigenverantwortlich handeln, wollen wir selbst entscheiden, ob wir Kinder bekommen – hoffentlich wollen wir alle Kinder bekommen –, wollen wir selbst entscheiden, ob wir mit der ganzen Familie unter einem Dach leben wollen. Bei der Wirtschaft: Wollen wir selbst entscheiden, was der Unternehmer glaubt, was gut ist, was am Markt gut abzusetzen ist. Bei Menschen eben: Wie wir leben, in der Freizeit, wann wir überhaupt Freizeit haben – oder brauchen wir Ideologen, die uns das alles vorschreiben? Ja, die Ideologen verbrauchen immer unglaublich viel Geld, verdienen gar kein Geld, nehmen uns unglaublich viel Steuern ab. Ich sag immer: Diese ganze Subventioniererei einfach mal den Bürgern in der Tasche lassen und den Bürger mal selbst entscheiden lassen. Also, da sind wir jetzt wieder bei den grundlegenden Dingen: Das EEG könnten wir gleich mal schrittweise abschaffen, die Spritpreise könnten wir gleich mal wieder schrittweise zurückführen und nicht raufschrauben auf drei Euro. Lasst den Menschen um Gottes Willen den Individualverkehr – die müsst Ihr nicht alle in eine S-Bahn zwängen, die es am Land im Übrigen überhaupt nicht gibt. Und wenn wir bei unserer Bürokratie sind: Dann kommt auch das Thema Corona, das ist ein ähnlicher Hokus Pokus, der hier betrieben wird. Ich wäre jetzt eigentlich in Moskau, ich habe zwei Stunden vorher das absagen müssen, weil mich sonst das Gesundheitsamt oder die Corona-Politik glatt eingeholt hätte und ich wäre möglicherweise dann noch im Knast gelandet. Diesen Coronatest habe ich aber gemacht, die Schnelltests machen wir jeden Tag, obwohl ich in einem Gerichtsverfahren – NRW hat dem nicht widersprochen – habe quasi feststellen lassen, das, was das RKI auch sagt: dass die Tests bei einer 50er-Inzidenz eine Falschpositivrate von 98 Prozent haben. Wir bewegen uns hier so weit jenseits von Ratio, von Vernunft und Verstand, dass das mit einem – ja, wie soll ich mal sagen – mit einem Zusammenleben in einer sozial und intellektuell entwickelten Gesellschaft überhaupt nicht mehr zu beschreiben ist. Das ist ein Kindergarten geworden. Und die Politik steht oben und findet’s toll. Das findet keiner unten toll.

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Luiza Licina-Bode: Ich habe einen anderen Punkt – ich mach mal was Anderes: Ich glaube, dass wir Bürokratieabbau – also Straßen und Schienen, gehe ich nicht mehr drauf ein – dass wir da die Planverfahren verkürzen müssen oder auch bei Windrädern, das ist ganz klar. Wenn irgendwas sechs Jahre dauert, dann werden wir damit nicht weiterkommen, da muss deutlich was passieren. Das ist aber, glaube ich, auch erkannt. Ich mache mal was Anderes: Bürokratieabbau – also, ich komm ja aus einer Verwaltung und wir unterhalten uns seit Langem auch im BMI über das Online-Zugangsgesetz. Wir wollen natürlich: Verwaltung ist Dienstleister, Verwaltung kann ich auch verschlanken quasi. Und da ist natürlich das Onlinezugangsgesetz, das ja bis 2021 umgesetzt sein soll – da hakt es immer noch. Heute läuft auch gerade in Berlin eine Konferenz dazu, da sind auch die Gewerkschaften vertreten, da habe ich gerade zufällig mit einem Gewerkschaftskollegen heute auch noch gesprochen und der sagt: Naja, es ist alles im Thema – aber es ist jetzt schon klar, man wird es wieder nicht schaffen, das umzusetzen. Und das Problem bei diesen Sachen: Wir stehen uns da immer selbst im Weg. Im Moment ist es ja so: Datenschutz und alles wird immer soweit nach oben gestellt – ich finde es auch wichtig. Aber: Wir können doch nicht jetzt noch mal zehn Jahre dafür brauchen, dass wir es schaffen, die Verwaltungsstrukturen für unsere Bürgerinnen und Bürger barrierearm umzugestalten. Ziel ist ja bei dem Onlinezugangsgesetz – um das mal klein zu machen: Jeder kann alles online machen, also per E-Mail, was auch immer: Personalausweis beantragen – teilweise gibt’s das ja schon. Aber es geht um die Gesamtstruktur, und da ist bisher noch wenig passiert. Problem ist mal wieder der Datenschutz und dann auch die digitale Schnittstelle vom Bund zu den Ländern zu den Kommunen, zu den Kreisen. Da spielt der Föderalismus dann auch wieder eine Rolle. Und wenn wir aber sagen: Wir wollen so ein Ziel verwirklichen, wie es andere Länder schon haben – zum Beispiel in der Türkei haben Sie eine Personalausweisnummer und mit dieser Nummer können Sie bei jeder Behörde sofort alles machen, was Ihnen da so in den Sinn kommt. Bis hin zu den Strafverfolgungsbehörden, wo Sie nachsehen können, wann Sie das letzte Mal zu schnell gefahren sind. Das finde ich ein ganz wichtiges Thema und das muss auch vorangetrieben werden: Dass wir endlich mal Verwaltung digitalisieren und alle Bürger hier im Land auch mal viel Zeit sparen und die nicht stundenlang irgendwo vor der Tür sitzen müssen, sondern das eben vom Handy aus machen können, wenn sie irgendwas beantragen wollen. Das ist in Arbeit, aber das muss man deutlich beschleunigen.

Sechs Kandidaten, 18 Schlagworte.
Sechs Kandidaten, 18 Schlagworte. © WP Siegen | Manuela Nossutta/Funkegrafik NRW

Guido Müller: Ganz kurz zum Thema Datenschutz: halte ich für etwas sehr Heiliges und daher bitte keine Aufweichung. Klar vereinfacht das die Systeme. Aber letztendlich die Gefahr, die man damit eingeht: Also, Daten sind was Sensibles. Aktuell wird ja diskutiert: Was kommt auf eine Gesundheitskarte drauf, wer gibt zu erkennen, ob er Corona hat oder nicht, oder ob er impft ist oder krank ist. Da muss es doch eine Partei geben oder auch Parteien geben, die sagen: Nein, da ist ein Riegel vor – es gibt was Privates, das bleibt privat. Punkt. Bei Eurer Fragestellung: Ich bin überrascht, wie viele Parteien auf einmal sagen: Wir wollen nicht mehr Verwaltung. Aber schaut man sich an: Ich kenne keine Verwaltung, weder in der Stadt noch im Kreis noch im Land noch im Bund – und nicht überall regiert die FDP mit – wo man wirklich den Eindruck hätte „Verwaltung einsparen“. Was ich aber sagen kann: Wenn wir jetzt an der Schwelle stehen nach Corona und das Thema „Gründerzeit“ wirklich ansteht, dann ist dieser Nanny-Staat, der in vielen Köpfen drin ist, total der falsche Weg. Also wirklich: Dass ein Unternehmen nicht innerhalb von einem Tag gegründet werden kann; dass eine Steuererklärung nur über ein Steuerberatungsbüro gemacht werden kann. Wenn man beispielsweise Kunden möchte, braucht man mindestens drei Gänge, um sein Gewerbe anzumelden. Das ist alles, wo ich sagen muss: Da sind wir hinter Estland, Lettland kilometerweit hinterher, weil wir Digitalisierung bis heute null begriffen haben. Wir glauben ja auch wirklich, von oben muss draufgeguckt werden, ob der Unternehmer alles richtig macht. Ich war vor ein paar Tagen bei einem Unternehmen in Bad Laasphe, das gerade überlegt, nach Ungarn abzuwandern, weil es jetzt seit fast zwei Jahren auf eine Baugenehmigung wartet für eine Halle, die einfach nur Material lagert. Zwei Jahre in Bad Laasphe – und er hat eigentlich die Schnauze voll und möchte weg. Und wir müssen ja nach Corona irgendwie den Schalter umlegen. Das ist nicht, indem man jede DIN-Norm einhalten muss und genau prüfen muss – man kann auch nach einem Verfahren prüfen: Was ist falsch gelaufen – und dann korrigieren. Es ist ja auch so, dass man aus Fehlern lernt und weitermacht. So langsam, wie Deutschland ist – und jetzt sind wir bei einem unserer Lieblingsthemen, der Route 57: Wenn wir ins 25 Jahren keinen Zentimeter davon auf die Straße bekommen haben – brauchen wir mindestens noch fünf Jahre, meint der Florian.

Ekkard Büdenbender: Route 57 wollte ich tatsächlich nicht erwähnen. Jetzt mal zur Bürokratie. Also ursprünglich ist das ja nicht nur immer eine Beschwerung für Unternehmen und für Bürger gewesen, sondern es hat ja mal einen ursprünglichen Sinn gehabt, der tatsächlich unser Wirken in irgendwelche sinnvollen Bahnen bringen wollte. Ansonsten hätten wir heute vermutlich noch mehr kaputte Flüsse, noch größere Flächenverbräuche gehabt und hätten uns tatsächlich noch mehr Möglichkeiten langfristig kaputtgemacht. Aber statt jedes Mal, wenn man irgendwelche Gesetze, irgendwelche Vorgaben anpassen musste, die anderen halt einfach nur über den Haufen zu schmeißen – da hat man immer nur oben drauf gepackt. Das heißt, man hat immer mehr Vorgaben gehabt, durch die jetzt inzwischen keiner mehr durchblickt. Und inzwischen haben wir auch kein Potenzial mehr, um das irgendwie abzubauen. Deswegen ist das so ähnlich wie mit dem Mann mit der Säge: Der mit einer stumpfen Säge sägt und jeder fragt „Warum schärfst Du nicht?“ und er sagt „Ich hab’ einfach keine Zeit“ – und sägt deswegen immer mit der stumpfen Säge weiter. Das heißt, wir bräuchten jetzt tatsächlich erst mal das große Aufräumen. Dazu müssten wir tatsächlich erst mal wieder investieren und tatsächlich irgendwelche Leute freistellen, die den ganzen Dschungel erst einmal abbauen – denn wir haben garantiert zu viel. Ich sperre mich garantiert nicht gegen alle Vorgaben. Manche machen wirklich ihren absoluten Sinn. Aber es blickt halt wirklich keiner mehr durch, auch kaum noch die Verwaltung. Dass kriegt ja jeder mit, der auch mal Kommunalpolitik betrieben hat, was das für ein Aufwand ist, wo sämtliche Verwaltungsmitarbeiter tatsächlich durchgucken müssen. Das lähmt tatsächlich wirklich alles. Das heißt, wir müssen effektivere Kommunen jetzt haben. Wir brauchen dort mehr Personal und wir müssen sehen, dass wir diese Kommunen hier auch besser vernetzen, damit die sich Arbeit gegenseitig abnehmen können. Wir brauchen keinen Verwaltungsexperten für jeden Bereich in einer Stadt mit 15 bis 20.000 Einwohnern.

Volkmar Klein: Bei der Ausgangsfrage, ob die Menschen das wirklich wollen: Also, die beklagen sich ja massivst über zu viel Bürokratie und Reglementierung. Aber des Öfteren kommt dann, ohne dass auch nur eine Atempause zwischendurch ist, gleich ein Vorschlag, was man denn noch regeln müsste – gerade im Baurecht. Also, ob ich jetzt an Rauchmelder oder an vieles Anderes denke, was dann aber wieder vehement gefordert wird. Insofern ist Bürokratie auch irgendwie das Ergebnis von 50 Jahren guter Ideen, weil alles hatte ja auch eine gewisse Begründung. Das sind aber jetzt für uns an vielen Stellen viel zu große Bremsklötze – und wir müssen eben diese Bremsklötze an vielen Stellen wegziehen. Wir brauchen genau das, was der Armin Laschet „Modernisierungsjahrzehnt“ nennt. Nicht, dass wir – ich sage mal – die Anliegen dann nicht mehr haben wollen. Wenn ich im Baurecht denke – jetzt gerade frisch, das bezog sich auch auf eine Windkraftanlage – das Beispiel: Da müssen Analysen gemacht werden, ob denn Haselmäuse auf dem Gelände der Windkraftanlage oder dieses Bauprojektes sind. Und wenn dann einfach gesagt wird: Ja, wir gehen einfach mal davon aus, dass welche da sind, und wir handeln danach und schützen die – wenn dann einfach gesagt wird „Ja, nee, das muss erst untersucht werden“; also, schlimmstenfalls kann ja dabei herauskommen: Da sind wirklich welche. Dann muss ja eben ein Lebenszyklus der Haselmäuse abgewartet werden, bis dann das dokumentiert wird, was sowieso klar war. Und das ist unanständig. Genau das sind die Bremsklötze, die weggezogen werden müssen.

Henning Zoz: Wir nehmen das Thema mal grundsätzlich. Prinzipiell ist weniger Staat immer besser als mehr Staat – wenn man jedenfalls genug Staat hat. Und ich glaube, wir haben mehr als genug Staat. Und wir wollen – also, mit „Wir“ sage ich mal so, wie ich die Bürger in diesem Land einschätze: Wir wollen nicht mehr Reglementierung. Wir wollen nicht, dass wir alles wirklich vorgeschrieben bekommen. Wir wollen auch nicht mehr eine Currywurst nicht mit einer Plastikgabel essen dürfen, weil irgendjemand meint, dass es sonst zu viel Mikroplastik in den Weltmeeren gäbe. Da muss man bitte genau hingucken und dann wird man feststellen, dass nur ganz wenige Prozent des Plastiks in den Weltmeeren aus Europa stammt. Ich meine, die Zahl ist jedenfalls deutlich unter fünf Prozent. Es gibt eben Länder – und so weiter und so weiter. Also, für jedes Etwas noch etwas Neues zu finden, da war ja sozusagen der Wahnsinn von 2015 mit anschließender massiver Wohnungsnotmangel – der Wahnsinn mit Corona war ja an manchen Stellen sogar hilfreich. Also, ich habe ein Gebäude, da darf ich jetzt ohne eine Brandschutzanlage oder eine Brandmeldeanlage oder wie das heißt, darf ich ein Stockwerk mehr betreiben, weil da diese Bauordnung mal irgendwie vereinfacht worden ist, weil mal jemand eingesehen hat: Wenn wir quasi verbieten, dass man Gebäude nutzen darf, dann werden wir keine Gebäude bekommen. Zum Thema Entbürokratisierung gehört für mich auf jeden Fall auch Europa dazu. Das Thema „Europa“ ist ja auch immer ein schönes Streitthema. Ich sage nicht, wir sollen aus der Europäischen Union austreten – aber wir nehmen das als Faustpfand, dass die mal vereinfacht und mal vernünftiger wieder wird. Eine meiner Forderungen ist quasi – und das können Sie dann als Entbürokratisierung verstehen: In Brüssel könnten wir mal jedes zweite dieser Hochhäuser ganz sicherlich dichtmachen und was dann übrig bleibt, das würde mit Sicherheit reichen, um uns ein gemeinsames Zusammenleben in Europa, das wir unbedingt haben wollen, weiterhin zu ermöglichen. Ich brauche aber in Brüssel keine zweite Regierung, hinter der sich unsere Regierung dann auch noch versteckt. Das geht nicht.

Laura Kraft: Ich bin auch Bürgerin. Also gehe ich ja auch als Bürgerin mit Bürokratie um in meinem täglichen Leben, das ist definitiv so. Ich finde es auch irritierend, wie viel Bürokratie man selbst – wenn man noch nicht mal ein Unternehmen hat, sondern einfach als Privatperson – mit wie viel Bürokratie man sich auch rumschlagen muss, das ist definitiv so. Und ich bin ja ein recht junger Mensch. Das heißt, ich bin mit dem Internet vertraut und kann mir auch wünschen, dass manche Dinge einfach schneller und online zu lösen sind, vielleicht sogar am Smartphone, und dass man eben nicht ins Bürgerbüro muss, um sich dort eine Nummer zu ziehen. Ich fand eigentlich Herrn Kleins Bemerkung ganz gut – was er gesagt hat zu den Windrädern, zu diesem Genehmigungsmechanismus mit der Haselmaus. Ich fand das eigentlich ein ganz treffendes Beispiel und sowas würde ich mir auch wünschen. Und ich denke auch, dass die Bürgerinnen und Bürger sich manchmal gegängelt fühlen, weil dieser bürokratischer Apparat natürlich auch nicht immer gut zu verstehen ist. Also, wenn man irgendein Schreiben vom Amt bekommt, dann denk’ ich manchmal „Hm“. Also, ich glaube, für manche Personen ist das ziemlich schwer zu verstehen. Das haben wir jetzt auch imm letzten Jahr gesehen, alles rund ums Thema „Impfen“ et cetera – wenn dann entsprechende Post kam. Also, für meine Großeltern war das zum Beispiel auch nicht so leicht zu verstehen: Okay, was ist jetzt los oder was soll man tun. Ich frage mich auch, wie das zum Beispiel für Menschen, die keine deutschen Muttersprachler sind – wie das für die ist. Also, da würde ich mir auch ein bisschen was wünschen in der Verwaltung, dass man da auch mehr drauf eingeht auf die Bürgerinnen und Bürger, dass vielleicht auch mal was zweisprachig angeboten wird. Das war zum Beispiel bei den Einladungen zum Impfen auch nicht so, dass da auch in anderen Sprachen drauf hingewiesen wurde, was jetzt da nun zu tun ist. Das würde ich mir einfach wünschen, dass es da eine Entschlackung gibt der Bürokratie. Aber: Henning Zoz sagt „Wir wollen nicht so viel Staat.“

Volkmar Klein: Nein, ich finde das auch nicht gut. Ich würde das gerne viel, viel einfacher haben. Die Frage ist aber im Einzelfall: Wie viel muss gemacht werden, damit auch Missbrauch effizient verhindert werden kann? Das wird ein immerwährendes Thema sein. Ich wollte jetzt eben noch sagen: Der Guido Müller hat gesagt: „Sensible Daten müssen sensibel bleiben“. Das ist sicherlich richtig. Ich habe allerdings den Eindruck, dass bei uns inzwischen viel zu viele Daten als besonders sensibel gelten und deswegen wir an vielen Stellen ausgebremst werden. Und beim Thema „Impfen“, sagen wir mal, regt sich, glaube ich, keiner darüber auf, dass in einem Krankenhaus bekannt ist, wer gegen Hepatitis geimpft ist, damit man die Versorgung der Menschen machen kann. Und es regt sich, glaube ich, auch keiner darüber aus, welche Siegerländer exportierende Firma weiß, welche Mitarbeiter gegen Gelbfieber geimpft sind, weil nämlich andere in afrikanische Länder oder tropische Länder reisen dürfen, um den künftigen Verkaufserfolg des Unternehmens sicherzustellen. Also, ich glaube, Datenschutz wird an vielen Stellen bei uns in Deutschland bei weitem übertrieben. Und wir brauchen überall einen klaren Regelungsrahmen, aber keinen Dirigismus – und da habe ich noch ein Beispiel, wo wir einfach offener werden müssen: Allein die Wortdiskussion über „Homeoffice“ und „Mobiles Arbeiten“ – weil „mobiles Arbeiten“ relativ flexibel ist, „Homeoffice“ aber strengste Regeln hat. Wenn aber jemand im Homeoffice nachmittags oder abends eben mal noch mit den Kindern spielen will und Abend essen will und dafür lieber, weil es seinem Leben entspricht, dann abends um Zehn noch mal nach Mails guckt aus der Firma; und dann am nächsten Morgen nicht wieder richtig arbeiten darf, weil eben das viel zu kleinkariert reglementiert ist, dann sind das genau die Dinge, wo wir Modernisierung und mehr Offenheit und weniger Dirigismus brauchen.

Ekkard Büdenbender: Eigentlich müsste man auf alles eingehen, aber ich will mal gerade so ein bisschen auf das Prinzipielle eingehen. Also, rein prinzipiell sind wir in dieser Zwickmühle, dass auf der einen Seite niemand sich irgendwie gängeln lassen möchte, auf der anderen Seite sich aber auch nicht schutzlos anderen ausgeliefert fühlen möchte. Das heißt, da wo wir uns wirklich sicher fühlen, wo wir selber irgendwie das Prozedere beherrschen, würden wir tatsächlich alle sagen: Okay, ich brauch die ganze Bürokratisierung nicht. Aber da, wo man tatsächlich ansonsten Angst hat, sich übervorteilt zu fühlen – ist ja schnell – möchte man natürlich einen gewissen Schutz haben. Auf der einen Seite haben wir es vielleicht ein bisschen übertrieben. Aber wenn sich jetzt ein kleines bisschen in die Zukunft hineinwagt mit den Gedanken, dann bewegen wir uns auf sowas wie KI und so weiter zu. Und das sind alles Bereiche, die da auf uns zukommen, die keiner überschauen kann. Und ich glaube, das sind tatsächlich Dinge, wo man von vornherein tatsächlich sich überlegen muss von wegen: Wie wollen wir damit umgehen? Welche Rahmen wollen wir dafür setzen? Denn wir werden dafür Rahmen brauchen, weil das tatsächlich eine Technologie ist, die keiner von uns wirklich überschauen kann. Und wenn man zurückguckt von wegen: Wie das mal mit den Kraftwerken anfing, wie das mit vielen Chemikalien anfing, wie das mit Medikamenten anfing, dann weiß man auch: Wenn wir nicht viele feste Regeln gehabt hätten, hätten wir uns tatsächlich gegenseitig großen Schaden zugefügt – eben weil man zuviel ansonsten freigegeben hätte. Und deswegen müssen wir halt tatsächlich immer sehen, dass wir abwägen von wegen: Wo ist tatsächlich der Nutzen für alle und wo begrenzen wir uns gegenseitig zu sehr? Aber das ist eben das, was ich vorhin sagte: Wir müssen also tatsächlich lehren, wenn wir irgendwann mal ein paar Erkenntnisschritte weitergekommen sind, dass wir uns tatsächlich von altem Balast auch trennen, der uns immer noch vor den Füßen liegt und den wir tatsächlich nicht mehr brauchen. Das wird das allerwichtigste sein. Aber wir werden nach wie vor uns gegenseitig immer wieder in Schranken weisen müssen, weil wir ansonsten tatsächlich zu schnell zu weit nach vorne gehen und uns dabei dann selber auf die Füße fallen.

Guido Müller: Ich will gerade zwischen Volkmar Klein und Ekkhard Büdenbender kurz anknüpfen zum Thema KI. Tatsächlich ist das Thema „Datenschutz“ so sensibel. Also: KI ist ein super Instrument. Aber KI mit falschen Daten gefüttert heißt, dass gewisse Menschen irgendwann keine Lebensversicherung mehr bekommen, das muss man schon auch sehen. Deswegen ist Datenschutz halt für mich so ein fester Begriff. Du willst wahrscheinlich zum Thema „Nanny-Staat“ von mir noch was hören. Ich habe ein Problem in diesem Land, wo ich den Eindruck habe, man misstraut seinen Bürgern. Außer der FDP – vielleicht noch die AfD – ist keiner der Meinung, dass es schlimm ist, dass wir kein Bargeld mehr haben. Gedankengang dahinter ist – auf EU-Ebene – wir würden alle schwarz arbeiten und die Kasse stecken. Und deswegen möchte man Bargeld in größerer Summe möglichst aus dem Verkehr raus haben. Gastronomen wird in der Corona-Zeit misstraut, dass sie nicht richtig abrechnen. Das ist das zweite Thema. Uns allen wird misstraut, dass wir mit dem Thema „Corona“ umgehen können – also ist um 21 Uhr Bettruhe und Du musst zu Hause bleiben; wo ich denke, das ist eine total falsche Entwicklung, die wir nehmen. Da gibt es also so jemanden wie so Söder, der das als starker Mann, so tut nach dem Motto: „Passt auf Leute, ich beschütze Euch alle, wenn Ihr brav das macht, was ich will, dann ist es richtig.“ Um mal eine Lanze für Armin Laschet zu brechen – der es zwar schlecht rüberkriegt, der eine liberalere Einstellung zu dem Thema hat. Also tatsächlich bei Corona kann man unterschiedlicher Meinung sein. Aber da ist eine Laissez-faire-Haltung, die uns bisschen mehr die lange Leine lässt und auf unseren Sachverstand eingeht, tatsächlich sinnvoller. Jetzt, Steffen, hast Du eben eine Frage formuliert, wie wir etwas machen wollen. Du willst das Thema „Gründerzeit“ eben kurz angehen, wahrscheinlich. Weil ich Dir einfach sage: Dieser Nanny-Staat passt einfach nicht dazu, dass wir nach Corona eine Entwicklung nach vorne brauchen. Das ist halt tatsächlich eine urliberale Überzeugung, dass ich einfach sage: Ich glaube an das Gute im Menschen und glaube halt nicht, dass ein Staat besser – und moralisch besser – ist als ich selbst. Das Thema fängt beim Vererben an. Ich will mit meinem Geld selbst wissen, wem ich’s vererbe. Ich habe das Geld schließlich gespart, um es zu vererben. Der Staat glaubt ja, dass Reichtum und Erben etwas Unmoralisches und Schlechtes ist. Punkt.

Luiza Licina-Bode: Nochmal ganz kurz zum Anfang zurück, Onlinezugangsgesetz. Also natürlich: Datenschutz. Aber da geht es auch darum: Wie weise ich meine Identität nach, wenn ich zum Gewerbe gehe, wenn ich online mein Gewerbe anmelden will. Und das ist ja der Streitpunkt: Wir machen wir es? Machen wir es den Bürgern einfacher? Sind wir Staat, sind wir Dienstleister – und machen das vielleicht über die Steueridentifikationsnummer? Zusätzlich nutzen wir die Sicherheit eines Gesichtsabdrucks, also diese Gesichtserkennung kann man ja nutzen, da gibt es ja viele Möglichkeiten. Oder machen wir es richtig bürokratisch, wo es gefordert wird von den Parteien, die sich im Moment darüber unterhalten. Auch unser eigener Minister sieht es auch so. Man müsste quasi bei jeder Behörde wieder ein eigenes Passwort haben. Und wir wissen alle, wie viele Passwörter wir haben. Und das halte ich nicht für gut. Also in der Diskussion, wenn wir Menschen Staat als Dienstleister haben wollen, wenn wir über Digitalisierung auch eine Entbürokratisierung wollen und wir wollen, dass die Leute zukünftig ganz einfach ihr Gewerbe anmelden können, dann reicht eine Ausweisnummer – weil die wir ein Mal vergeben – oder eine Steuernummer und vielleicht noch zusätzlich eine Gesichtserkennung. Da bin ich halt anderer Meinung. Ich traue dem Staat. Der Staat soll ja mit meinen Daten gut umgehen, das tut er hoffentlich auch. Und es ist ja nicht so, dass ich es x-beliebig an jemanden rausgebe, sondern an staatliche Institutionen. Und deshalb sehe ich da so eigentlich gar keine Gefahr. Natürlich muss man Sicherheitsriegel einbauen. Und dann noch einmal zu Volkmar Klein: Bürokratie, Telearbeit – also was Sie vorhin angesprochen haben – das ist ja ein Telearbeitsplatz, um den es geht. Der ist in der Arbeitsstättenverordnung geregelt. Da gibt es ja schon gesetzliche Grundlagen für. Und das ist tatsächlich ein Unterschied zu einem mobilen Arbeiten, da haben wir gerade erst Dienstvereinbarungen zu verhandelt. Und mobiles Arbeiten heißt ja: Ich gebe jemandem einfach mal einen Laptop und schick den quasi nach Hause und der kann auch tatsächlich mal zwischendurch arbeiten wie er möchte. Der muss natürlich auch abends irgendwann Schluss machen – weil wir müssen ja auch noch das Arbeitszeitgesetz da beachten; was ich aber auch sinnvoll finde, dass die Leute da gewisse Ruhezeiten haben. Gerade diese Modelle werden sich in Zukunft verschärfen. Und da ist schon wichtig, dass die Leute die gesetzlichen Regelungen einhalten zum Gesundheitsschutz.

+++ Hier gehts zum ersten Teil des Gesprächs +++

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