Hilchenbach. Vor 50 Jahren legen 18 junge Frauen und Männer ihre Abiturprüfung in Hilchenbach ab. Sie sind erst seit wenigen Jahren in Deutschland.

Sie waren 18. Die O I AK des Hilchenbacher Jung-Stilling-Gymnasiums, die 1971 Abitur gemacht hat, vor 50 Jahren. „O I“ ist die Klassenbezeichnung für „Oberprima“, die später einfach „13“ heißt und heute „Q 2“. „Wir haben uns als besondere Klasse empfunden“, sagt Eugen Olszowy. Der 72-jährige Geisweider hat das Jahrgangstreffen organisiert, er ist einer von acht, die sich am Wochenende in Hilchenbach vor dem Schultor treffen, dort und später bei Pampeses Erinnerungen austauschen. „AK“ steht für „Aussiedlerkurs“. Ihre Familien kamen aus Polen, aus der damaligen Tschechoslowakei oder der früheren Sowjetunion. Allesamt Deutsche, die jetzt meist irgendwo im Rheinland oder in Westfalen eine neue Heimat gefunden hatten. Deren Kinder eine der wenigen Möglichkeiten nutzen sollten, ihr Abitur abzulegen.

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Eugen Olszowy war 15, als seine Eltern entschieden, den Bauernhof in Niederschlesien, nahe Waldenburg, aufzugeben Und schon Schlosserlehrling im zweiten Lehrjahr. In Deutschland erwischte ihn die – längere – Schulpflicht, noch einmal zwei Jahre Realschule. Der Ferienjob im Straßenbau in Bochum, wo die Familie inzwischen wohnte, reichte für die Entscheidung – dann lieber Abitur. Mit nicht ganz 19 zog er ins Schülerheim am Rande der Hilchenbacher Siedlung ein. „Ich war ein schmächtiges Kerlchen.“

Damals: Internat mit Dreibettzimmern

Da wohnten sie dann, die 15 Jungs – einer machte erst ein Jahr später in Rüthen sein Abitur – und vier Mädels, in der Obersekunda noch in Dreibettzimmern, erst in der Oberprima im Einzelzimmer. Dreieinhalb Jahre auf Tuchfühlung: vormittags in der Schule, nachmittags und abends im Heim oder zusammen unterwegs. Manche waren im Fußballverein, viele suchten sich einen Job, in der Gärtnerei oder bei den Lederwerken, zum Beispiel. „Mit 30 Mark Taschengeld im Monat kam man nicht weit.“ Das war der Betrag, den das Lastenausgleichsamt jedem Internatsschüler zubilligte, zuzüglich der Heimfahrt mit der Bahn an einem Wochenende im Monat.

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Eugen Olszowy bereitet das Treffen vor. Vor 50 Jahren hat die O I AK am Jung-Stilling-Gymnasium die Abiturprüfung abgelegt.
Eugen Olszowy bereitet das Treffen vor. Vor 50 Jahren hat die O I AK am Jung-Stilling-Gymnasium die Abiturprüfung abgelegt. © Steffen Schwab | Steffen Schwab

In der Schule stand für sie Russisch auf dem Stundenplan, sie waren eine Klasse für sich. Kontakte zu den Parallelklassen seien „nicht besonders gefördert worden“, erinnert sich Eugen Olszowy. Zwei Ehen mit Hilchenbacher Mädchen wurden trotzdem geschlossen. In der Stadt selbst fielen Jungen wie er, lange Haare und bunte Hemden, eher negativ auf. „Ich war mehr so ein Rebell, deshalb war ich schnell Klassensprecher.“

Ohne Trauschein in die Samba-Siedlung

Eugen Olszowy erzählt, wie sie mit Bierkiste und Akkordeon abends durchs Fenster aus dem Heim Richtung Wigrow getürmt sind – Fotos zeigen, dass auch Klassenlehrer Rolf Jüngermann mit am Lagerfeuer saß. Der junge Lehrer hatte bei seinem ersten Aussiedlerkurs einen Stein im Brett: „Er hat sich sehr um uns bemüht und er war der erste Lehrer, der uns das Du angeboten hat.“ Der 80-Jährige reist aus Gelsenkirchen zum Jahrgangstreffen an.

Trotzdem: Nach einem Jahr zog Olszowy mit einem Kumpel aus, sie mieteten sich möblierte Zimmer in der Hilchenbacher Straße. Klassenkameraden brachten vom Frühstück das Brot mit in die Schule, bei Engelbert gab es das Mittagessen für 4,20 Mark im Abo, einschließlich Bier – so ließ sich die Selbstständigkeit finanzieren. Ziemlichen Ärger provozierte Olszowy dann noch, als er mit seiner Freundin (und späteren Ehefrau) in eine Dachgeschosswohnung in der neuen Samba-Siedlung in Dahlbruch zog. Unverheiratet, mokierte sich Schulleiter Dr. Löw. Und noch nicht einmal volljährig. Dazu hätte er 21 sein müssen.

Heute: „Sie sind alle was geworden“

Eugen Olszowy blättert im Fotoalbum. Georg wurde Psychiater, Reinhard Rechtsanwalt, der andere Georg Orthopäde, ganz viele wurden Lehrerin oder Lehrer, Susanne sogar an der ehemaligen eigenen Schule, in alle Winkel der Republik verstreut – oder hier geblieben „Sie sind alle was geworden.“

Er selbst auch: 1971 ging er an die Pädagogische Hochschule, die später Universität wurde, wurde Grundschullehrer. Ein Beruf, der ihm in Polen verschlossen blieb: Bei der Aufnahmeprüfung zum pädagogischen Lyzeum – mit 14 ! –konnte er die geforderte Musikalität durch Gesang nicht nachweisen. Seine erste Stelle hatte er an der Sonderschule in Littfeld, dann wurde er Lehrer und Konrektor an der heutigen Grundschule an Dreslers Park in Kreuztal, Rektor an der Grundschule in Krombach und schließlich, 1991, bis zu seiner Pensionierung im Jahr 2015 Rektor der Dreisbachtalschule in Dreis-Tiefenbach, Russisch und Polnisch, sagt er, waren auch in der Zeit immer wieder nützlich: Die Aussiedler, die nach ihm kamen, und deren Kinder sprachen kaum noch Deutsch. „Da war es gut, dass ich einspringen konnte.“

Mit seinen Grundschulklassen ist Eugen Olszowy später das eine oder andere Mal zur Wigrow gewandert. Mit seiner O I AK am Wochenende nicht. Dafür ist die Zeit zu kurz – seit dem letzten Wiedersehen sind immerhin zehn Jahre vergangen. Aber vors Schultor wollten sie, auch wenn ihre Schule nicht mehr drin ist. „In Hilchenbach haben wir immerhin drei Jahre zusammen verbracht.“ 15 Jungen und vier Mädchen in der Fremde.

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