Siegerland. Es gibt aber auch besorgte Meinungen. Hier ist ein Stimmungsbild aus Siegen, Kreuztal, Hilchenbach und Netphen.

Alle sind wieder in der Schule. Gut vier Wochen vor den Sommerferien ist die Stimmung in den Klassenzimmern und auf den Schulhöfen gut – vor allem aus Freude über ein Stück wiedergewonnene Normalität.

Die Schüler

„Natürlich ist das ungewohnt“, sagt Bezirksschülersprecher Jost Hoffmann, „die Freude ist groß, dass man den Schulalltag wieder hat.“ Der 16-Jährige, der in Stift Keppel die EF besucht, weiß, wie belastend für seine Mitschülerinnen und Mitschüler die letzten Monate waren: „Homeschooling ist ermüdend, das Schulgefühl hat gefehlt. Natürlich hat man dann auch schon mal die Motivation verloren.“ Und vorbei ist das alles ja auch noch nicht. Mancher wird auch ärztliche Hilfe brauchen, Schulsozialarbeit wird verstärkt in Anspruch genommen. Die Schülervertretung fordert, „Stellschrauben“ zu nutzen, um Leistungsanforderungen anzupassen.. Alles aufzuholen, sagt Jost Hoffmann, ist nämlich nahezu unmöglich“.

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So schön es alle finden, endlich wieder die ganze Klasse zu sehen – der Wechselunterricht hatte auch seine Vorzüge. Wenn nur die Hälfte in der Schule war, bedeutete das auch: Es war ruhiger, man konnte sich besser konzentrieren, finden viele Schülerinnen und Schüler des Siegener Löhrtor-Gymnasiums. Es sei schon noch etwas anstrengend, sich wieder an den regulären Schulalltag zu gewöhnen, meint eine Zehntklässlerin. Jeden zweiten Tag zu Hause bleiben, sich dort intensiv mit den Aufgaben beschäftigen - „das war auch nicht schlecht“.

Aber nach einem halben Jahr mit Videokonferenzen und Onlineunterricht sind auch alle froh über ein Stück Normalität. „Meine Augen haben sich verschlechtert, wegen der ganzen Zeit am Bildschirm, das merke ich schon“, berichtet eine ihrer Freundinnen. „Wir sind direkt voll eingestiegen“, sagt ein Mädchen, die ebenfalls die 10. Klasse besucht, „als wäre nichts gewesen“. Gerade beim Sprachunterricht würden sie merken, dass sie noch etwas aufzuholen haben. Ungewohnt ist es schon noch etwas, finden alle: So viele Menschen im Klassenraum, bei durchgängig geöffneten Fenstern, alle mit Maske, zum Trinken einzeln den Raum verlassen. „Aber schon okay“, sagt eine Schülerin aus der 7. Klasse.

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Die Schulen

„Wir waren gut vorbereitet“, sagt Thomas Grütz, Leiter des Gymnasiums Kreuztal. Die Übergangszeit mit dem Wechselunterricht macht das Eingewöhnen leichter. Auch die Bescheinigungen für negative Tests sind abrufbar, wenn Schüler die für Sport und Freizeit brauchen: „Im Moment ist die Nachfrage noch ruhig, aber wir sind gern bereit, das zu unterstützen."

Auch am Weidenauer Fürst-Johann-Moritz-Gymnasium stellt sich zügig Routine ein. In die Dalton-Stunden, die Selbstlernzeiten zu Tagesbeginn, lassen sich die Corona-Tests gut einbauen. Auf der Tagesordnung steht die Frage, welcher Stoff wann nachgeholt wird. „Wir haben deutliche Lücken im Lernprogramm“, sagt stellvertretender Schulleiter Dr. Dirk Köster. Für die oberen Jahrgänge wird sichergestellt, dass sie alles lernen können, was sie für die zentrale Abiturprüfung brauchen. Viel Zuwendung brauchen die unteren Jahrgänge, für denen das Lernen auf Distanz schwerer fällt. „Die machen uns Sorgen.“

Dr. Jochen Dietrich, Leiter des Gymnasiums Stift Keppel, hat eine schwierige Entscheidung hinter sich: Das Jubiläumsfest zum 150-jährigen Bestehen der Schule ist endgültig abgeblasen. Zum einen, weil die seit zwei Jahren an den Vorbeitungen beteiligten Schüler sich nun dem Ende ihrer Schulzeit nähern und dann, so wenig wie ihre Eltern, nicht mehr zur Verfügung stehen. Zum anderen, „weil wir andere Sorgen haben.“ Denn auch, wenn der Unterricht auf Distanz funktioniert hat („Ich habe nicht das Gefühl, dass wir unglaublich weit mit dem Pensum hinterher wären“), gibt es Nachholbedarf. Überlegt wird ein Sommerangebot im benachbarten Tagungshaus, „das könnten wir auf kurzem Weg vorbereiten“. Gespräche werden anstehen über Kinder, die – mit der zulässigen 5 mehr – versetzt werden: „Da stellt sich die Frage, wie sinnhaft das ist.“ Und das Jubiläum? „Wir setzen einen Cut und fangen mit einer frischen Truppe neu an.“ Etwa zum 155-Jährigen dann.

„Das ist das Schönste in dieser Woche“. Eckhard Göbel, Leiter des Gymnasiums Netphen, meint auch den blauen Himmel und die Sonne, ja. Vor allem aber die lachenden Kinder – viele genießen nicht nur Pausen, sondern auch Unterricht im Freien. „Erst mal ankommen", sagt Göbel – das steht mehr im Vordergrund als der Stundenplan. Denn mit einem Distanzunterricht, der dem Schultag exakt nachgebildet war, mit Lehrern, die immer zur selben Zeit präsent waren, in denen sie die Klasse auch vor Ort unterrichtet hätten, ist das Risiko böser Überraschungen gering. Es hat alles geklappt: Sogar zu den Abi-Klausuren waren alle gesund, kein einziger Nachschreibetermin wurde gebraucht.

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„Fantastisch.“ Joachim Steinebach freut sich über den Neustart an der Carl-Kraemer-Realschule Hilchenbach – der wohl auch fällig war: „Man merkt den Schülern an, dass ihnen so viel auf der Seele brennt, das sie loswerden möchten.“ Die Wechsel- und Distanzphase sei. schon aus Ausstattungs- und Technikgründen, „bei vielen mehr schlecht als recht gelaufen“. Steinebach ist gespannt auf die angekündigte zentrale Lernstandserhebung noch vor den Ferien: „Wir müssen sehen, wo wir stehen.“ Das Aufholen der fast zwei Pandemie-Schuljahre soll dann nach den Ferien Fahrt aufnehmen, vor allem für die Jetzt-noch-9er, die sich der Abschlussprüfung nähern: „Es macht wenig Sinn, das mit Brachialgewalt zu machen.“ Bis dahin will die Realschule es behutsam angehen. Für die letzte Schulwoche ist jedenfalls ein Wandertag eingeplant.

Annette Kramps schaut auf reges Treiben draußen auf dem Schulhof. „Die sind glücklich, dass sie sich wiedersehen“, sagt die Leiterin der Grundschule Netphen – und zollt den Kleinen größten Respekt, wie sie mit Laptop und Videokonferenzen umgegangen sind: „Die sind mega selbstständig geworden.“ Zwei Mal in der Woche lutscht jedes Kind an dem Lolli, der dann ins Labor kommt. Ist der „Pool“ positiv, müssen alle Kinder am nächsten Morgen noch zu Hause einen Schnelltest machen: „Ich melde mich zwischen 6 und 6.30 Uhr bei den Eltern.“ Bei drei Kindern wurde auf diesem Weg eine Infektion festgestellt. „Das ist mein Alptraum, dass ich ein Kind in Quarantäne statt in die Ferien schicken muss.“ Am Mittwoch wären Bundesjugendspiele gewesen. Als Anerkennung gab’s dann immer hinterher ein Eis, spendiert vom Förderverein. Dieses Jahr trotzdem, vielleicht am letzten Schultag?

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