Ein Drittel im Siegerland nutzt das Homeoffice. Das ist ein Ergebnis des Corona-Checks. Prof. Dr. Dr. Björn Niehaves sieht darin die Zukunft.

Der Direktor des Forschungskollegs Fokos der Uni Siegen Prof. Dr. Dr. Björn Niehaves befasst sich mit den gesellschaftlichen Herausforderungen der Arbeitswelt. Unternehmen und Organisationen berät er unter anderem dazu, wie Abläufe im Homeoffice besser funktionieren – in seinen Augen ein Zukunftsmodell.

Herr Prof. Dr. Dr. Niehaves, sind Sie gerade im Homeoffice?

Genau, so wie alle bei mir am Lehrstuhl. Wir sind schon seit Monaten im Homeoffice und da auch sehr produktiv.

Tatsächlich? Manche behaupten ja, dass man im Büro mehr schafft. Warum schätzen Sie die Produktivität zuhause höher ein?

Ich schätze sie nicht nur höher ein, sondern wir messen sie auch. Bei uns in der Wissenschaft lässt sie sich klar an Veröffentlichungen, Lehrveranstaltungen und Projekteinwerbungen ablesen. Seit dem Wechsel ins Homeoffice haben wir nachweislich einen deutlichen Produktivitätsgewinn erzielen können. Natürlich ist das immer vom Job abhängig – als Kioskverkäufer werden Sie kaum von zuhause aus arbeiten können. Aber in der Wissenschaft, in der Sachbearbeitung und in anderen Bereichen der Wissensarbeit können Sie zuhause sehr produktiv sein. Also in denjenigen Berufen, wo Sie sich ohne permanente Störungen längerfristig und tiefergehend in etwas einarbeiten müssen. Und natürlich gibt es noch den Punkt der individuellen Voraussetzungen zuhause: Wenn zuhause viele Ablenkungen existieren, wird es natürlich schwer, sich auf irgendetwas zu konzentrieren. Oder wenn ich keine vernünftige Arbeitsecke habe, sondern an einem Couch-Tisch im Wohnzimmer arbeiten muss.

Welche Faktoren sind neben der Art der Tätigkeit und der Umgebung noch ausschlaggebend für gelingende Heimarbeit?

Das sind persönliche Faktoren: Manche blühen im Homeoffice förmlich auf. Andere brauchen die gemeinsame Kaffeepause. Das hängt stark von der individuellen Psychologie ab. Der dritte Faktor ist die Technologie. Potenziell gibt es technisch heute alle Möglichkeiten, Homeoffice auch unter sicheren Bedingungen möglich zu machen. Allerdings gibt es viele Firmen und Organisationen, die dahingehend ihre Hausaufgaben noch nicht gemacht haben.

Viele Firmen und Organisationen im Siegerland haben digitale Transformation verschlafen

Inwiefern?

Viele haben es noch nicht geschafft, ihre digitale Transformation voran zu treiben, die Prozesse so anzupassen, dass man auch zuhause produktiv und sicher arbeiten kann – weil sie den Weg noch gehen wollten, weil er schwierig ist oder weil er Investitionen erfordert.

Der Corona-Check hat ergeben, dass nur 31 Prozent im Siegerland das Homeoffice nutzten – obwohl laut Münchener Ifo-Institut 56 Prozent möglich wären. Warum?

Ein entscheidendes Hindernis ist das oft mangelnde Vertrauen der Führungskräfte. Es gibt zwei große Mythen in der Arbeitswelt. Der erste Mythos ist: Eine abwesende Person arbeitet nicht. Und der zweite Mythos ist: Eine anwesende Person arbeitet. Wenn man als Führungskraft durchs Büro läuft, die Bürotür ist auf und da sitzen Leute an ihren Computern, dann vermittelt das ein Gefühl von Selbstwirksamkeit und Kontrolle. Aber das ist eine Illusion. Die Menschen, die nicht arbeiten wollen und dabei in Büros sitzen, arbeiten auch nicht im Büro. Es gibt viele Menschen, die auch produktiv von zuhause aus arbeiten, obwohl niemand hinter ihnen steht und sie kontrolliert. Der Punkt, dass sich viele Führungskräfte nicht von dieser Kontrollillusion verabschieden und auch mal die Zügel loslassen können, ist häufig einer, warum Menschen nun wieder zurück ins Büro beordert werden.

WP Corona-Check Siegen Homeoffice
WP Corona-Check Siegen Homeoffice © Manuela Nossutta / Funkegrafik NRW | Manuela Nossutta / Funkegrafik NRW

Anfangs haben Sie anklingen lassen, dass manche Persönlichkeiten nicht fürs Homeoffice gemacht sind. Wie kann man da entgegenwirken?

Sie könnten sich fragen: Warum fällt ihnen die Arbeit in Präsenz leichter als zuhause? Die Gründe dafür liegen oft darin, dass im Homeoffice virtuell kommuniziert wird und wir uns dabei sehr auf das Fachliche konzentrieren. In Online-Meetings tauscht man sich schnell über Fakten aus und diskutiert Inhaltliches. Was bei dieser virtualisierten Kommunikation oft stark auf der Strecke bleibt, ist der Aspekt der sozialen und nichtfachlichen Kommunikation. Aber genau das ist es, was uns motiviert: Dieser Team-Spirit – der fehlt häufig im Homeoffice. Aber auch da gibt es Maßnahmen: Man kann zum Beispiel einfach mal einen „virtuellen Kaffee“ zusammen trinken – und dabei mal keine fachliche Agenda haben. Einfach fragen: „Wie geht’s, was macht das Leben?“, Fragen, die man sich auch in der Kaffeeküche stellen würde.

Mehrheit der Beschäftigten im Siegerland für regelmäßige Anwesenheit im Homeoffice

Insgesamt höre ich raus, dass Sie dem Homeoffice viel abgewinnen können.

Die Studienlage zeigt klar, dass die Mehrheit der Beschäftigten eine regelmäßige Anwesenheit im Homeoffice bevorzugt. Das bedeutet nicht, dass die Mehrheit für „Homeoffice only“ wäre, aber für ein Arbeitsmodell, in dem das Homeoffice eine gewichtige Rolle spielt. Warum das so ist, können wir natürlich mutmaßen: Work-Life-Balance, weniger Anfahrtszeit, mehr Produktivität. auch die Möglichkeit, Familie besser zu vereinbaren mit dem Beruf, weil man eine freiere Zeiteinteilung hat.

Glauben Sie deshalb, dass dieses Modell Zukunft hat?

Für die Beschäftigten gilt: Was existiert muss möglich sein. Früher hat man immer gesagt, das geht nicht weil die Tätigkeit es nicht erlaubt, die Technologie es nicht erlaubt, die Teamatmosphäre es nicht erlaubt. Aber die Corona-Krise, hat das in vielen Fällen einfach erzwungen. Nun jetzt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern diese Erkenntnis zu nehmen, dass Homeoffice zur Höchstzeit der Pandemie möglich war und jetzt nicht mehr sein wird, das wird nicht mehr funktionieren. Die Zahnpasta geht nicht zurück in die Tube: Die Menschen lassen sich das nicht mehr nehmen. Und in Zukunft wird die Art und Weise, wie Homeoffice geregelt sein wird, ob die Menschen die Möglichkeit haben, selbstbestimmt über ihren Arbeitsort, ihre Arbeitszeit zu entscheiden, ein maßgebliches Kriterium für die Auswahl des Arbeitgebers.

+++Mehr Nachrichten aus Siegen und dem Siegerland finden Sie hier!+++

+++Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook!+++

+++Täglich wissen, was in Siegen und dem Siegerland passiert: Hier kostenlos für den Newsletter anmelden!+++