Geisweid. Auch in Siegen erfahren Kinder und Jugendliche früh Rassismus. Was sie dazu empfinden, erzählen sie in einem Video des Geisweider Jugendtreffs.

Nach dem Mord an George Floyd vor einem Jahr wurde ein Video weltweit oft angesehen. Es trägt den Titel „The Talk“ und zeigt Gespräche, bei denen Eltern ihre schwarzen Kinder aufklären: Über Polizeigewalt, ungleiche Chancen und Rassismus. Themen, über die viele, die nicht davon betroffen sind, seltener nachdenken müssen. Doch nicht nur in den USA, sondern auch in Deutschland erfahren junge Menschen früh Rassismus. Der Geisweider Jugendtreff hat deswegen ein Instagram-Video veröffentlicht, in dem Kinder und Jugendliche davon erzählen – aus ihrer Perspektive.

Erfahrungen

Richard Tekye (15) ist einer davon. Über seine Rassismus-Erfahrungen, die er in dem Video andeutet, kann er heute reden. Als er mit sieben Jahren nach Deutschland kam, war das anders. Zwar sprach er Englisch und Twi (eine Sprache, die vor allem in Ghana gesprochen wird), sogar ein wenig Spanisch – nur erstmal kein Deutsch. Auf der ersten Siegener Grundschule, die er damals besuchte, habe er Schlimmes erlebt: „Das war wirklich die Hölle. Mit Hölle meine ich: Ich wurde echt jeden Tag gemobbt auf dem Pausenhof.“

Verheerend sei hinzugekommen: „Die Lehrer haben nichts gemerkt. Und ich konnte es ihnen nicht sagen, weil ich kaum Deutsch konnte.“ An den Fenstern stehend hätten sie es irgendwann erst mit eigenen Augen beobachten müssen – wie ihn circa zwanzig Mitschülerinnen und Mitschüler auf dem Schulhof verfolgten und hänselten. „Meine Mutter hatte mich oft davor gewarnt, dass mir wegen meiner Hautfarbe etwas passieren könnte oder dass manche sich rassistisch äußern. Von ihr hab’ ich gelernt, das zu ignorieren. Man sollte denen keine Aufmerksamkeit geben und sich einfach nicht unterkriegen lassen.“

Stimmen

In dem Instagram-Video des Jugendtreffs, das bereits rund 7500 mal angesehen wurde, ist Richard der älteste, der zu Wort kommt. Auch Carla stellt sich unter anderem darin vor – sie ist erst zehn. Ihre Mutter kommt aus der Türkei. Einmal habe sie einen Spruch an einer Wand gelesen, der sie beschäftigte: „Dass irgendwie Leute, die aus anderen Ländern kommen, meistens kriminell sind.“ Dazu hat sie eine Haltung: „Ich bin ja auch sozusagen Ausländer – und ich finde das nicht so.“ Auch der gleichaltrigen Malaika Mokiwa, deren Vater aus Tansania kommt, ist bewusst, was „Rassismus“ bedeutet: „Das ist, wenn man andere wegen ihrer Hautfarbe oder weil sie von irgendwo anders herkommen beleidigt.“ Sie will: „Dass man die genauso behandelt wie alle anderen.“

Die Klarheit, mit der die Kinder und Jugendlichen sich äußern, ist bemerkenswert. Denn: „Bis zum Drehtag wussten sie nicht, um was es in dem Video gehen würde“, sagt Lukas Buchner von der städtischen Kinder- und Jugendförderung. Ihre Empfindungen zu dem Thema sollten unbeeinflusst sein. Im Rahmen der Internationalen Wochen gegen Rassismus war die Idee entstanden – als eine von vielen Aktionen, koordiniert vom städtischen Integrationsrat. Filmemacher Alexes Feelmo, der Hip-Hop-Tanzkurse im Jugendtreff gibt, und Musiker Benson Mokiwa, der dort eine Rap-Gruppe leitet, unterstützten bei der Video-Umsetzung.


Empfindungen

Ihr Kernanliegen: „Wir waren nicht interessiert an politischen Parolen oder auswendig gelernten Definitionen“, so Lukas Buchner. „Sehr oft äußern sich ausschließlich Erwachsene zu diesem Thema oder führen hitzige Debatten darüber.“ Und das, während „auch die Jüngsten leider bereits häufig Erfahrungen im Umgang mit Rassismus sammeln müssen.“ Dieser sei jedoch oft auch subtil – wie Richard mit persönlichen Erfahrungen belegen kann: „Es kommt oft vor, dass man mich unterschätzt, zum Beispiel bei Gruppenarbeiten.“

Nicht immer traue er sich diesen unterschwelligen Rassismus anzusprechen, wenn er ihm auffalle: „Weil man manchmal Angst hat, dass dann Kommentare zurück kommen, wie: ‘So schlimm ist das doch gar nicht’ oder: ‘Du übertreibst’.“ Während seiner Jugendarbeit habe Lukas Buchner schon erlebt, dass Jugendliche sich mit solchen Erfahrungen an ihn gewendet hätten: „Für Jugendliche, die Diskriminierung erleben, ist es oft ein doppelter Schock: Erst die Beleidigung und dann das fehlende Parteiergreifen der anderen.“

Verantwortung

Genau hierfür müsse man sensibilisieren. Gespräche sollten darüber mit allen Kindern geführt werden – nicht nur mit den potenziell betroffenen. Zusätzlich zur Elternverantwortung sei die Institution, die das am nachhaltigsten leisten könne, die Schule, sagt Lukas Buchner. „Da ist das immer noch zu wenig Thema, obwohl da ja schon viel passiert.“

Wie Richard Tekye mit Kindern über Rassismus sprechen würde? „Ich würde vorsichtig vorgehen, um sie nicht zu verängstigen. Trotzdem aber Stück für Stück aufklären, was man dagegen tun kann.“ Er selbst möchte gerne Abitur machen, vielleicht studieren – er interessiere sich fürs Lehramt. „Ich würde gerne Vorbild sein, genug schwarze Lehrer gibt es ja noch nicht. Und ich glaube, Vorbilder braucht man.“

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