Siegen. Im vergangenen Jahr musste der Siegener Kunsttag wegen der Pandemie ausfallen. 2021 aber findet er wieder statt und freiem – und blauem – Himmel.

Feinstes Muttertags-Wetter, kurze Wege, spannende Präsentationen. Schöner kann ein Kunsttag in Siegen nicht sein. Dabei gibt es zwei Möglichkeiten, sich den Kunstwerken zu nähern: Von unten nach oben oder von oben nach unten. Der Rezensent hat sich für die erste Variante entschieden.

Auch interessant

Art Galerie, Fürst-Moritz-Straße: Das Fotografen-Ehepaar Bernd und Hilla Becher hat im Laufe seiner Künstler-Karriere mit seinen Schwarz-Weiß-Fotos von Fördertürmen und anderen Industrieanlagen Weltruf erlangt. Doch begonnen haben sie mit Siegerländer Fachwerkhäusern. Nicht ohne Sinn, da der Geburtsort von Bernhard Becher nun einmal Siegen ist. Den Siegener Fotokünstler Thomas Kellner als künstlerischen Nachfolger der Bechers zu bezeichnen, ist nicht weit hergeholt, zumal er sich mit seinen aktuellen Arbeiten auf die seiner Vorgänger bezieht. Seine in der Art Galerie ausgestellten Fotos zeigen die vom Ehepaar Becher in den 1960er Jahren fotografierten Fachwerkhäuser im heutigen Zustand. Und um ehrlich zu urteilen: Trotz teurer Schieferverkleidungen hatten sie früher mehr Charakter.

Kunsttag Siegen: Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstler mit interaktiver Ausstellung

Bruchwerk Theater, Siegbergstraße 1: Dass Wohlstandsmüll durchaus Charme besitzt, wird hinter den Fenstern des Bruchwerk Theaters deutlich. Kostüme, T-Shirts und anderes Abgelegtes, das an einer Kleiderstange hängt, ergibt mit einem Haufen Kleiderbügel durchaus ein interessantes Gesamtbild. Die an die Fensterfront geschriebene Frage „Kunst oder Kulturgut?“ muss jeder Betrachter selbst beantworten.

Auch interessant

ASK – Arbeitsgemeinschaft Siegerländer Künstler, Kölner Straße: Wenige Schritte höher in einem ehemaligen Laden der Firma Hees Bürowelt präsentiert die ASK eine interaktive Ausstellung. Soll heißen, dass auch Nichtmitglieder der Arbeitsgemeinschaft ihre Arbeiten einsenden konnten. Und so hängen Fotos, Zeichnungen, Collagen, Malereien von eher Unbekannten neben denen bekannter Namen wie Petra Oberhäuser, Bruno Obermann, Ingo Schulze-Schnabl, Jürgen Königs und Mustafa Kizilcay. Bunt, vielseitig, spannend. Mal plakativ, mal sanft. Man sollte sich Zeit nehmen, um alles auf sich wirken zu lassen.

Siegen: Kunstverein bietet Window-Shopping im Haus Seel

Kunstverein Siegen, Kornmarkt 20: Jennifer Cierlitza hatte sich ihren Einstieg als Kuratorin des Kunstvereins Siegen vor fast zwei Jahren ganz anders vorgestellt, nachdem sie die Geschäftsführer-Legende Franz Josef Weber abgelöst hatte. Statt mit einer von ihr schon so lange geplanten Ausstellung sofort durchstarten zu können, kamen ihr gleich mehrere Stolpersteine in die Quere: Der erste Lockdown, die lange Zeit, in der das Haus Seel Baustelle war, nach der kurzen Öffnung im Herbst 2020 der zweite Lockdown. Doch nun ist es soweit: Kunstfreunde können Window-Shopping, eine Installation von Alexandra Leykauf und Eva Berendes, bewundern. Folien zieren die neue Fensterfront des Hauses Seel. Und nur bei näherem Hinsehen erkennt man, dass als Vorlagen alte Kleider dienten. Interessante Einblicke vor allem dann, wenn man durch die Folien hindurchsieht und das Dahinter entdeckt. „Diese Ausstellung hatte ich schon lange geplant“, sagt Jennifer Cierlitza, „aber vieles ist noch im Werden.“

Auch interessant

Gruppe3/55, überall: Man nehme: Einen kleinen LKW, packe ihn voll mit Gegenständen mit den Grundfarben weiß und rot, fährt in Siegen zu all den Standorten des Kunsttages, baut Installationen auf und nach einer Zeit wieder ab und fährt zum nächsten Ort. Leicht gesagt, tolle Wirkung. Vor allem, weil Künstler und Künstlerinnen das Weiß-Rot-Schema mit beeindruckender Konsequenz umsetzen. So macht Kunst Spaß.

Kunsttag Siegen auch in Kaan-Marienborn: Michael Schumann und Maggie Suttner

KuKu – Produzentengalerie, Schlossblick 69: Zur letzten Station der kurzen Wege zur Kunst ist es ein langer. Zur Galerie des Künstlerpaares Maggie Suttner und Michael Schumann muss man fahren: Sie liegt in Kaan-Marienborn: Michael Schumann malt, Maggie Suttner fotografiert. Und das Wunderbare ist: Die Kunst beider verstärkt sich durch ihre Gegensätzlichkeit. Den wichtigen Blick für Motive eint sie. So wird durch eine achtlos weggeworfene Barbiepuppe in Italien eine Fotoserie. Bei jedem ihrer drei Aufenthalte in Italien hat sich die Puppe verändert, wird aus der nackten Figur eine bekleidete. Und die Aufreihung der Fotos im Marienborner Frühlingsgarten, veredelt durch die Künstler selbst, lässt ein Gesamtkunstwerk entstehen.