Siegen. Das Familienfest zu Ostern kann wegen Corona auch 2021 weitgehend wieder nur online stattfinden. Expertinnen der Uni Siegen geben Denkanstöße.

Ostern wird auch diesmal für viele Menschen ein Online-Familienfest. Die Corona-Krise beschleunigt die Digitalisierung der Kommunikation im privaten und professionellen Bereich gleichermaßen – mit Auswirkungen auf zwischenmenschliche Kontakte und Beziehungen. Zwei Expertinnen der Universität Siegen eröffnen Perspektiven.

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„Es ist ein hochgradig emotionales Thema“, sagt Dagmar Hoffmann, Professorin für Medien und Kommunikation, über die Notwendigkeit, die Osterzusammenkunft in den virtuellen Raum zu verlagern. Generell reagierten Menschen auf die Lage, mit anderen nur noch via Display oder Bildschirm zu interagieren, sehr unterschiedlich. Einige seien es wegen des Jobs schon länger gewöhnt, etwa in Unternehmen mit transnationalen Verbindungen; oder es sei in einer zunehmend mobilen Gesellschaft ohnehin bereits Teil des Alltags, beispielsweise in Fernbeziehungen. Doch prinzipiell „will es erst gelernt werden“, sagt Dagmar Hoffmann. „Manche Menschen sind sehr geübt, andere tun sich eher schwer und empfinden ein Unbehagen.“

Prof. Dagmar Hoffmann, Uni Siegen: „Eine synthetische Situation“

Digitale Kommunikation muss qua definitionem ohne eine Vielzahl von Faktoren auskommen, die menschlichen Austausch eigentlich prägen. „Es ist eine synthetische Situation, man hat nicht diese körperliche Komponente: Sich physisch wahrnehmen, berühren, in den Arm nehmen“, sagt die Wissenschaftlerin. Gerade im Familien- und Freundeskreis sei dies von Bedeutung, aber generell sei es essenzieller Bestandteil unserer Rituale: jemandem die Hand geben, jemandem auf die Schulter klopfen. „Wir leben in einer Gesellschaft, deren Mitglieder sehr auf Berührung aus sind, ja darauf angewiesen.“

Talking Heads – „sprechende Köpfe“, also der typische Bildausschnitt, mit dem Menschen etwa bei Skype oder in Videokonferenzen zu sehen sind – könnten das nicht kompensieren. Außerdem entfalle ein Großteil dessen, was „für Kommunikation und Interaktion eine wichtige Rolle spielt, auch wenn es einem nicht immer bewusst ist“: Die Wahrnehmung feiner Mimik und kleiner Gesten, davon, wie und wo andere Menschen sich hinsetzen, wie sie einander gegenübertreten und sich einander körperlich zuwenden – denn all das sagt etwas aus, ohne dass ein Wort gesprochen wird.

Digitale Kommunikation: „Wir befinden uns in einer Transferphase“

Manchen Menschen komme diese Art des Kommunikation auch entgegen. Und wenn sich irgendwann wieder das einstellt, was wir als Normalität aus der Vor-Corona-Zeit kennen, würden die neu eingespielten digitalen Gewohnheiten nicht alle verschwinden. „Man guckt und prüft jetzt, was sich bewährt“, sagt Dagmar Hoffmann. „Wir befinden uns in einer Transferphase, da spielen sich Routinen noch ein.“ Dabei werde es vor allem um die Frage gehen „Wo kann ich auf körperliche Resonanz verzichten – und wo nicht?“, erklärt die Expertin. Ein Yogakurs zum Beispiele funktioniere zum Teil vielleicht auch online, „ich vermute, dass es viele Hybridformen geben wird“. Das werde gerade in der Wissenschaft und bei Unternehmen sicherlich zutreffen. „Dennoch werden sich alte Formen nicht überleben. Es geht immer darum, was zur jeweiligen Situation und vor allem zur Persönlichkeit passt.“

Für alle Generationen

Für Menschen fortgeschrittenen Alters – also die Großelterngeneration – ist der Umgang mit Smartphone und Tablet natürlich weniger selbstverständlich als für die so genannten Digital Natives, die damit aufgewachsen sind.

Es sei deshalb wichtig, die Älteren zu unterstützen und heranzuführen, sagt Prof. Dagmar Hoffmann: „Man kann den Menschen nicht einfach nur ein Ipad in die Hand geben.“

Schwierig bei der digitalen Familienzusammenkunft sei es vor allem, festliche Atmosphäre herzustellen. „Jede Familie schaut für sich, was sie realisieren kann.

Prof. Jutta Wiesemann, Uni Siegen: Für Kinder „ganz normaler Alltag“

Ein Sonderfall, erläutert Jutta Wiesemann, Professorin für Erziehungswissenschaft mit Schwerpunkt Grundschul- und Vorschulpädagogik, sei die Generation, die mit digitaler Kommunikation aufwächst. „Analoge und digitale Welt verschwimmen immer mehr“, sagt Jutta Wiesemann. „Wir – die Erwachsenen – sehen einen Unterschied, klar. Aber Kinder wachsen in der Digitalität ihrer Lebenswelt auf. Für sie ist das ganz normaler Alltag.“

Es gehe ihr nicht um Bewertung, sondern um Beobachtung. „Wir haben nicht diesen Defizitblick, nicht die kulturpessimistische Perspektive.“ Ein entscheidender Punkt sei, „das Bild, das wir von Kindern haben, zu überdenken“. In der Klischeevorstellung sei ein glückliches Kind eines, das im Sonnenschein auf einer Blumenwiese umhertollt – während das Bild von einem Kind mit Smartphone in der Hand bei vielen Menschen eher ungute Gefühle auslöse. „Wir müssen aber gucken: Was machen die Kinder da? Die können das: Erfahrungen in digitalen Settings ins Analoge übertragen.“ Beides wirke aufeinander, und das sei Kindern bewusst: „Wenn ich in der digitalen Welt bin, ist die andere ja nicht weg – und umgekehrt auch nicht.“

Kinder gehen unbefangen an Videochats heran

Kinder gehen folglich mit der digitalen Kommunikationssituation anders als Erwachsene um – unbefangener. „Kinder zeigen zum Beispiel auch in Video-Chats ganz viele Sachen: Ein Bild, das sie gemalt haben, ihre neuen Schuhe, ihr Kuscheltier – ganz selbstverständlich“, beschreibt Jutta Wiesemann Beobachtungen, die sie und ihr Team in der Forschungsarbeit mit Familien machen. Der Kontakt etwa mit Großeltern laufe also auch auf diesem Wege unverkrampft, „das ist eine Beziehung, die aufgebaut wird“. Manche Kinder würden sogar den Bildschirm umarmen. Das Phänomen an sich sei dabei gar nicht neu; Menschen mit Fluchtgeschichte oder Familien, die über verschiedene Länder verteilt leben, machten diese Erfahrungen schon länger. Neu ist nur die Verbreitung, weil die Corona-Krise viel mehr Menschen die Notwendigkeit zur Nutzung digitaler Kanäle nahelegt.

Es sei eine Zeit des Medien-Umbruchs, sagt die Expertin, und „ein Sozialexperiment: Wir waren ja nicht darauf vorbereitet“. Die Technik sei den Menschen einfach an die Hand gegeben worden, und „sie ist nicht mehr wegzudenken aus unserem Leben“. Natürlich seien Eltern gefordert, „sich um ihre Kinder zu kümmern“, Nähe zu ihnen aufzubauen, Dinge mit ihnen gemeinsam zu machen und sie bei ihren Erfahrungen mit den digitalen Kanälen zu begleiten und zu unterstützen. Das müsse aber reflektiert geschehen: „Das sind Erfahrungen, die dürfen wir nicht abwerten.“ Für die digitale Zusammenkunft müsse jede Familie ihre Form finden. Es gebe zum Beispiel Haushalte, da werde der Ostertisch so gedeckt, dass Oma und Opa via Tablets mit am Tisch sitzen.