Siegen. Großes Gyros, Ouzo aufs Haus und die beste Musik weit und breit – nach 40 Jahren hören die Tzoulas-Brüder im Belle Epoque auf. Eine Würdigung.
120 Lebensjahre haben die drei Tzoulas-Brüder ins Belle Epoque investiert. Christos, der älteste, war ununterbrochen dabei, vom ersten bis zum letzten Tag. Stavros und Soto machten zwischendurch Pause, kehrten aber zurück. Jetzt beenden sie endgültig eine Ära, die vor 40 Jahren begann – das Belle Epoque schließt. Eine Institution unter den Kneipen, in Siegen und darüber hinaus.
Aufs „Belle“ konnte man sich verlassen. Wenn eins sicher war, dann dass die Kneipe sich nicht ändern würde – wozu auch. Sie war perfekt so, wie sie war. Drei schratige Brüder, Originale durch und durch, schmissen den Laden mit stoischer Gelassenheit und griechischer Gastfreundschaft. Stavros in der Küche, Christos an der Theke, Soto an der Musik. Meistens. Seit 1981 ging das so, als die Tzoulas-Brüder das Lokal übernahmen, das zuvor lange Künstler-Kneipe von Walter Helsper gewesen war. Sie hatten in Fabriken gearbeitet und waren auf der Suche nach neuen Jobs. Sie waren vorher selbst Gäste gewesen und übernahmen die Kneipe. Sie schufen den Billardraum und noch später das „Klavierzimmer“, das eine Zeit lang die Küche gewesen war.
Jeder war im Belle Epoque willkommen, wo 17- und 70-Jährige gemeinsam feiern
Jeder war im Belle willkommen. Die Gäste der ersten Stunde blieben treu, alterten mit der Kneipe und ihren Besitzern, neue Gäste kamen und blieben. 17- und 70-jährige feierten Schulter an Schulter zu Creedence Clearwater Revival. Altrocker, HipHopper, Raver – im Belle gab es keine Subkulturen und auf gute Musik können sich nunmal alle einigen. Zu dutzenden und hunderten stapeln sich die Vinylplatten über der Theke.
Das Belle blieb sich treu, setzte ehrwürdige Patina an über die Jahrzehnte und kam doch nie aus der Mode. Kein Gastronom würde heute noch ein Lokal so ausstatten wie das Belle. Genau deswegen war es wohl immer so beliebt. Und genau das wird fehlen.
Eine Kneipe, in die die Brüder Tzoulas selbst gern gegangen wären
Im Grunde lief es immer gleich: Zuerst wurde gegessen. Gyros oder Baguettes, beides in reichlichen Portionen. „Die Leute haben immer zwei Gabeln bestellt, weil die Teller so groß waren“, sagt Stavros Tzoulas grinsend. Danach gab’s Ouzo aufs Haus, klirrend kalt, direkt aus dem Kühlschrank. Keine Widerrede, Christos Tzoulas hat vermutlich mehr Anisschnaps verschenkt als je verkauft, schätzt er. Spätestens mit dem Ouzo kam die Stimmung, mit dem Epizentrum vorne im Thekenraum. Wo die dicken Boxen unter der Decke hängen, fast so alt wie das Belle selbst, die Endstufe von Hand zusammengelötet. Und je später die Stunde, desto ausgelassener wurde es, alle feierten und tanzten, völlig egal ob fremd oder nicht. Auch hinter der Theke. „Jeder, der herkam, hat sich hier zuhause gefühlt“, sagt Stavros Tzoulas.
Die Tzoulas-Brüder wollten eine Kneipe, in die sie selber gern gegangen wären. Das hat immer funktioniert – das Belle war eigentlich nie leer. Das Rauchverbot sorgte mal für eine kleine Delle. Gingen die Gäste halt raus – sie kamen ja auch wieder rein. Sieben Tage die Woche hatte das Belle während der ersten 20 Jahre geöffnet, später war dann sonntags Ruhetag, noch später blieb auch montags zu. An allen anderen Tagen: Bis in die frühen Morgenstunden.
So viele Geschichten: Wie Wolfgang Niedecken im Eulenspiegel rausflog...
So viele Geschichten, die im Belle Epoque passiert sind und die im Grunde auch nur dort passieren konnten. Wie sie mit vollen Biergläsern auf dem Kopf tanzten. Wie Wolfgang Niedecken, der mit BAP auf Tour in Siegen war, aus dem Eulenspiegel rausflog und sich erkundigte, wo man denn stattdessen hingehen könnte. Alle sagten: Ins Belle Epoque. Also tauchte Niedecken dort auf, wurde schnell erkannt und musste ungezählte Autogramme geben. Den ganzen Abend lief nur noch BAP. Wie die Gäste Konzerte organisierten, zum 25. Geburtstag zum Beispiel: Birth Control, Karthago, Sienna Roof aus Schweden, Kaktus, Jane. Wie sie vor der ersten Eröffnung 1981 noch gar nicht richtig fertig waren mit der Arbeit und schon 100 Leute draußen standen. Wie plötzlich ein Typ während seines Junggesellenabschieds auf einem Stuhl festgebunden wurde, mitten im Lokal, und sich eine Stripperin auszog. „Sie bekam von den Bräutigam-Kumpels 300 Euro für drei Minuten“, sagt Stavros Tzoulas und muss grinsen.
Die Belle-Epoque-Philosophie, spät anfangen und spät aufhören, laute Musik und Tanzen bis zum Umfallen oder sich die Nachbarn beschweren – das passte nicht zu Corona. Corona passt zu keiner Kneipe und zum Belle ganz besonders nicht. Im Sommer 2020 wurden Plexiglas-Spuckschutze an der Theke angebracht und die Brüder mussten um 23 Uhr schließen. Normalerweise kam das Belle dann gerade auf Betriebstemperatur. Draußen war viel zu tun, aber es war nicht das gleiche.
Christos, Soto und Stavros Tzoulas fällt der Abschied von ihrem Belle unendlich schwer
Corona hat das Belle Epoque nicht beendet, aber es hat dazu beigetragen. „Wir hatten sowieso vor, Ende des Jahres zu schließen“, sagt Stavros Tsoulas. Sie werden nicht jünger; 70, 69 und 62 Jahre sind sie inzwischen, „wir brauchen ein bisschen Ruhe“, sagt Stavros Tzoulas, der jüngste. Die Arbeit an Theke, Plattenteller und Gyros-Grill ist ein Knochenjob. Stavros möchte die Sonne in der griechischen Heimat genießen, das war schon lange sein Traum, seine Brüder wissen noch nicht, was wird. Nichts wird jedenfalls die eigentlich geplante Abschiedsparty. Kein letztes Mal Gyros, Ouzo, Bier vom Fass und laute Rockmusik. Das hatten sie sich gewünscht.
Der Abschied fällt den Brüdern auch deshalb unendlich schwer. „Danke, für die jahrelange Unterstützung“, sagt Stavros Tzoulas. 40 Jahre war das Belle Epoque ihr Lebensmittelpunkt, nur mal unterbrochen von Urlaub. Alle drei haben mehr als die Hälfte ihrer Jahre in ihrem Lokal verbracht, mit ihren Gästen, die zu Freunden wurden, getanzt, getrunken und gelacht. „Wir sind alle wie eine große Familie“, sagt Christos Tzoulas. Schon jetzt fragen viele, wohin sie denn gehen sollen, wenn es das Belle Epoque nicht mehr gibt. Aber die Konzession ist abgemeldet. Das wars.
Die Tzoulas-Brüder wünschen sich Nachfolger – am besten ihre Gäste
Der größte Wunsch der Brüder ist, dass die Ära des Belle weitergeht. Das alles so bleibt, wie es ist – nur dass halt jemand anderes die Verantwortung übernimmt, das Belle Epoque kauft, mietet, ganz egal. Am liebsten ein, zwei langjährige Gäste. Die wissen, was das Belle ausmacht. Alles bleibt drin, betonen sie, die Möbel, die CDs, die Platten. Stavros Tzoulas verspricht, sein Gyros-Rezept an die Nachfolger weiterzugeben. Sie würden aushelfen, mindestens für eine Übergangszeit. Immerhin wohnen sie oben drüber. Noch.
Das Belle Epoque wird fehlen. Den Tzoulas-Brüdern, den Gästen, vielleicht auch ein bisschen den Nachbarn. Und den Nachteulen, die sicher sein konnten, auf dem Heimweg im Belle Epoque immer noch das letzte Bier des Abends zu trinken. Und vielleicht noch eins. Und dann auch noch den obligatorischen Ouzo. Und vielleicht wurde der Abend dann noch ein bisschen länger. Stavros Tzoulas sagt: „Es würde Siegen fehlen, wenn das Belle nicht weiterläuft.“ Und damit hat er verdammt noch mal Recht.
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