Netphen. Wind und Wetter können Freiwillige nicht abhalten: Auf einer gewaltigen Kahlschlag-Fläche in Netphen pflanzen sie nachhaltigen Wald der Zukunft.
Der Schaden ist weithin sichtbar. Ein ganzer Berg ist fast kahl; oberhalb der Ehreneiche zwischen Netphen und Brauersdorf steht kein Wald mehr. Stattdessen: Mondlandschaft. Die Folgen des Klimawandels, Trockenheit und Borkenkäfer, klaffen mehr und mehr in der Landschaft; wie offene Wunden. Bei Sturm und Regen stiefeln etwa zwei Dutzend Menschen über die Brache; ehrenamtliche Helfer pflanzen einen neuen Wald. Die Initiative „Bergmischwald Siegerland“ hat sich die nächste Kahlfläche der Waldgenossenschaft Obernetphen vorgenommen: Hier wird an zwei Tagen der klimastabile Wald der Zukunft gepflanzt.
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Initiatorin Friederike Klöckner hat nach der Premiere im November 2020 (wir berichteten) erneut eine große Zahl Freiwillige motiviert, mit ihr und der Waldgenossenschaft zusammen aufzuforsten. Der Wald liegt vielen Menschen am Herzen, mit Bestürzung stehen sie vor den kahlen Flächen, die vor kurzem noch Wald waren. Und die Waldgenossenschaften stehen vor riesigen finanziellen Schäden. In die Hunderttausende dürfte der gehen, schätzt Gerhard Johnson, der Waldvorsteher in Obernetphen.
An Stecklinge gehen die Rehe nicht – Vorwald für weitere Baumarten
Johnson erklärt den Freiwilligen, was sie heute tun werden, und muss dabei den pfeifenden Wind übertönen. Pappel-Stecklinge sollen in den Boden gepflanzt werden: Sie bilden den sogenannten Vorwald. Der Boden liegt nun, ohne Bäume, ungeschützt da, wird vom Wind ausgetrocknet. Aber die Stecklinge vertragen das, ebenso den eher sauren Boden. Alle paar Meter ein Steckling, mit dem Pflanzeisen ein Loch stechen, Steckling rein, Boden etwas festtreten.
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Die Waldgenossen haben auf der Fläche Zonen abgesteckt, wo die 3000 jungen Pappeln in den Boden können. Frei nach Schnauze – die Natur kennt auch kein Pflanzschema. Wenn sie tief genug im Boden sind, vertragen sie Witterung und die Rehe knabbern auch nicht daran, erklärt Gerhard Johnson. Wichtig, betont der Waldvorsteher: Mindestens zwei „Augen“ (Knospen) müssen, mit Wuchsrichtung nach oben, aus dem Boden schauen. Besser mehr.
Bergmischwald in Netphen soll ökologisch, nachhaltig und wirtschaftlich sein
Wenn die Stecklinge angewachsen sind, werden nach und nach in ihrem (Wind-)Schatten weitere wertvolle Baumarten gepflanzt. Sie schützen und stützen sich gegenseitig, „für eine gesunde Mischung“, sagt Johnson – auch wirtschaftlich. Der Bergmischwald der Zukunft soll nicht nur keine Monokultur und damit ökologisch wertvoll sein und den Klimawandel gut vertragen. Die Waldbauern müssen ihn auch nutzen können. Ihr Wald ist eine Einnahmequelle für sie, sie müssen im Zweifel davon leben. Bis es soweit ist, werden Jahrzehnte vergehen.
Die Wildacker für die Aussaat auf der Fläche sind schon gemulcht – da werden Samen ausgebracht, Robinie und Elsbeere hat Baum-Experte Johnson als geeignet identifiziert. Die Samen werden mit Sand vermischt und teils maschinell verteilt. Die Helfer müssen darauf achten, auf den dafür vorgesehenen Flächen möglichst keine Stecklinge in den Boden zu bringen – da fahren noch Maschinen her, die Arbeit wäre umsonst gewesen.
Immer im Frühjahr und Herbst werden in Netphen Kahlflächen aufgeforstet
Los geht es auf die Flächen. Familien, Rentner; Menschen aller Altersstufen ziehen los, bündelweise Stecklinge unterm Arm und Pflanzeisen in den Händen. Mal ist der Boden weich und feucht und der Steckling mit etwas Schwung hineingerammt, dann wieder braucht es die schweren Eisen für ausreichend tiefe Löcher. Der Wind peitscht aus dem Tal hoch und mal verliert man die Übersicht, welcher Bereich schon bepflanzt ist und welcher nicht – macht aber alles nichts. Die Stimmung ist gut, die gemeinsame Arbeit für das gemeinsame Ziel motiviert. Kreuz und quer auf dem Hang stecken die Freiwilligen Pflanzen in den Boden. Und lernen aus Erfahrung: Friederike Klöckner und Gerhard Johnson organisieren die Helfer neu, wie ein Polizei-Suchtrupp marschieren die Teams pflanzend den Hang hinauf.
Einen Freitagnach- und einen Samstagvormittag braucht es und die 3000 Pappel-Stecklinge, 100.000 Baumsamen und 50 kleine Mammutbäumchen sind gepflanzt. „Grandios“ findet das Friederike Klöckner, deren großer Wunsch, regelmäßig im Frühjahr und Herbst Kahlflächen wiederaufzuforsten, in Erfüllung gegangen ist. Es sind genug Helfer gekommen, denen der Wald ebenso am Herzen liegt wie ihr und schon jetzt gibt es Anfragen für die nächste Aktion im Herbst. Mit leuchtenden Augen erzählt Gerhard Johnson, dass das Interesse anderer Waldgenossenschaften an der Initiative enorm sei, schon jetzt. „In jeder Pflanzperiode nehmen wir uns ein paar Hektar vor“, sagt Friederike Klöckner und kommt vor lauter Dankesagen für die Unterstützung kaum noch zum Pflanzen. „Jetzt muss ich aber mal was nachholen“, sagt sie lachend und schnappt sich ein Bündel Stecklinge.
Die Waldgenossenschaften könnten die ehrenamtliche Arbeit nicht allein leisten
Auch Gerhard Johnson ist die Rührung sichtlich anzusehen. Insgesamt sechs Hektar Bäume seiner Waldgenossenschaft sind allein auf dieser Fläche gefällt worden, die verbliebenen Fichten schwanken bedrohlich im Wind, dazwischen wurden die gesägten Stämme zu Holzpoltern gestapelt. Würde er diese Kahlfläche professionell bepflanzen lassen, kostete das zwischen 5 und 7 Euro pro Baum, schätzt Johnson – pro Hektar enorm teuer und finanziell nicht zu leisten für die Waldgenossenschaft, deren Kalamitätsholz containerweise zu Schleuderpreisen nach China verschifft wird. Ohne Friederike Klöckner und die Helfer der Initiative Bergmischwald Siegerland wäre die Waldgenossenschaft buchstäblich aufgeschmissen.
Und dabei bleibt es nicht. Als neue Partner sind die Ruanda-AG von Pflanz-Helferin Ursula Wussow und zwei Jahrgangsstufen des Gymnasiums Netphen mit an Bord. Plus 50 weitere Freiwillige aus der Schülerschaft. Aber das ist eine andere Geschichte – die erzählen wir noch.
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