Herzhausen. Michael Kringe wird nicht nur in Kreuztal und Freudenberg fündig – für sein Hobby reist der Herzhausener auch schon mal weiter
„Die Linde!“ Sagt Michael Kringe, gefragt nach seinem Lieblingsbaum. Und dann beschreibt er dieses Wesen aus Wurzel, Stamm, Ästen und Blättern wie eine gute alte Freundin: „Die Linde ist ein sehr freundlicher Baum. Aus ihren weißgelben Blüten lässt sich Tee kochen.“ Das Holz der Linde sei weich, und da sie im Laufe ihres Lebens allmählich von innen faule, biete sie in ihrem Inneren Raum. Zum Beispiel für Fabelwesen wie den Lindwurm. Früher, erzählt Michael Kringe weiter, wäre die Linde ein Ort für Gerichtsverhandlungen gewesen. Und gerne hätten die Menschen in der Linde getanzt: Aus gebogenen Ästen wurde eine Plattform geschaffen, auf der die Leute Platz für ihre Reigen hatten.
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Zwei prächtige Exemplare seines Lieblingsbaumes finden sich in Freudenberg-Bühl, am Eingang zum Friedhof. Es handelt sich bei den beiden vitalen Bäumen um 250 Jahre alte Winterlinden. Beide gelten als besonders schützenswert. Deshalb tragen sie das kleine Naturdenkmal-Schild, ein auf der Spitze stehendes Dreieck in Weiß mit grünem Rand, das in Nordrhein-Westfalen und etlichen anderen Bundesländern (sonst ist es die Eule) einen Weißkopfseeadler zeigt. Ein Baum gilt als Naturdenkmal, wenn er besonders schön, besonders alt oder sehr selten ist – und auch wenn sich mit ihm eine außergewöhnliche Geschichte verbindet. Er darf nicht einfach so gefällt oder anderweitig zerstört werden. Das regelt in Deutschland das Bundesnaturschutzgesetz.
Der Baumjäger
Seit Mai 2020 ist Michael Kringe, der in Herzhausen lebt, den Baum-Veteranen auf der Spur. Eigentlich ist er gern unterwegs, um sich Sehenswürdigkeiten in Städten anzuschauen. Das ist aber in der Corona-Zeit nicht mehr ohne Weiteres möglich. Und so verlegte der 25-Jährige seine Entdeckerlust auf die Natur, machte sich auf die Suche nach den größten und ältesten Bäumen in seiner näheren und auch weiteren Umgebung. Die erste Überraschung erlebte er gleich in seiner Nachbarschaft. „Mitten im Dorf steht ein großer Baum an der Straße.“ Diesen habe er bis dahin nie als etwas Außergewöhnliches wahrgenommen. Doch die Beschäftigung mit besonderen Bäumen schärfte seinen Blick. X-mal sei er etwa an der dicken alten Platane am Supermarkt-Parkplatz nahe der Siegener Blue Box vorbeigegangen; erst als „Baumjäger“ fiel sie ihm ins Auge.
Besondere Bäume in Siegen-Wittgenstein
Dicke Buche am Alten Heck bei Krombach, über 220 Jahre alt, Stammumfang: rund 6,50 Meter.
Bärenwaldeiche im Wald zwischen Ober- und Niederholzklau, erstmals erwähnt 1453.
Freistuhl-Eiche beim Rastplatz Wigrow in Müsen, rund 300 Jahre alt.
Goldeiche östlich von Wemlighausen, treibt im Frühjahr goldgelbe Blätter.
Inzwischen macht sich Kringe ganz gezielt auf die Suche. Bei seinen Reisen zu den Bäumen (wie zum Bergmammutbaum bei Königswinter) lässt er sich zum Beispiel leiten von der bei Wikipedia aufgeführten „Liste der Naturdenkmäler“; eine andere Quelle ist das Baumregister auf „baumkunde.de“. Hier finden sich Hinweise auf den Standort des besonderen Baumes und auch auf seine Beschaffenheit. Manche Bäume haben eine Postanschrift, andere lassen sich über ihre Koordinaten aufspüren, wieder andere weil sie an einer exponierten Stelle stehen: an einem Denkmal zu Ehren des Regenten („Kaiserlinde“) oder zur Bekräftigung eines Friedensschlusses („Friedenseiche“), als Wegmarke an einer Grenze („Kreuzeiche“) oder einem Pass („Vorspanneiche“). Kringes „Top-Wunschziel“ sind die rund 1000-jährigen Ivenacker Eichen in Mecklenburg-Vorpommern. „Es ist die größte Ansammlung uralter Eichen in Deutschland.“
Auch ein Mittel gegen den Corona-Blues
Michael Kringe hat Geschichte und Medienwissenschaft studiert, er setzt beruflich auf eine Zukunft im E-Commerce, etwa auf das Schreiben und Illustrieren für Online-Medien. So hat er seine „Baumjagd“ im Online-Studi-Magazin „seitenwaelzer.de“ vorgestellt. Er verweist darin auch auf einen heilsamen Effekt der Unternehmung: Weil ein Spaziergang im Wald die Stresshormone im Blut erheblich sinken lasse, sei dieser auch ein „gutes Mittel gegen den allgegenwärtigen Corona-Blues“.
Der Hintergrund: Bäume mit Bedeutung
Im Gespräch verweist Michael Kringe auf die kulturgeschichtliche Bedeutung bestimmter Bäume. So gilt die Eiche als Zeichen für Obrigkeit und Macht, die Linde als beseelter Ort und Trostspender, die Ulme schon seit der Antike als Totenbaum. Bäume haben Relevanz für den Menschen, im übertragenen Sinne, aber auch ganz konkret, sind sie doch unentbehrliche Sauerstofflieferanten. Sie schützen – und wollen geschützt sein. Letzteres misslingt mitunter, wie im Fall des aktuell flächendeckenden Borkenkäferbefalls der heimischen Fichten.
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Importiertes Baumsterben
Schon in den 1970er-Jahren hat in Deutschland ein Ulmen-Sterben eingesetzt, hervorgerufen durch einen Pilz aus Ostasien, den wiederum heimische Käferarten wie der Ulmen-Splintkäfer an den Bäumen verbreitet. Gleichfalls durch eine importiert Pilzart ausgelöst worden sei das Eschentriebsterben, sagt Holger Sticht, NRW-Landesverbandsvorsitzender des Bunds für Umwelt und Naturschutz Deutschland (BUND). Es sei in beiden Fällen der weltweite Handel, der das Baumsterben initiiert habe, entweder unmittelbar durch den Import von Holz oder etwa durch den Transport mit Holzpaletten. Setze die Wirtschaft stärker auf „regionale Wertschöpfung“, ließen sich solche Probleme vermeiden. Und stärke man, so Holger Sticht, künftig die Waldentwicklung und eben nicht die plantagenartige Aufforstung, betrachte dadurch den Baum nicht isoliert, sondern „in Symbiose mit anderen Organismen“, könne sich der Baumbestand im Land grundsätzlich erholen.
Dass sich Prioritäten zu verschieben beginnen, beobachten Stefan und Uwe Kühn, Autoren und Gründer des Deutschen Baumarchivs. Ihre Hoffnung ist: dass „Deutschlands alte Bäume“ als Sammelobjekte nicht mehr Relikte sein mögen, sondern Höhepunkte einer natürlichen Landschaft.
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