Dahlbruch. Fast 50 Jahre arbeitete Erich Langenbach im Viktoria-Filmtheater in Dahlbruch als Filmvorführer. Jetzt baut er den letzten analogen Projektor ab.
Vorführen ist wie Fahrradfahren. Das verlernt man auch nicht. Die Handgriffe sitzen immer noch, natürlich; tausendfach geübt in fast fünf Jahrzehnten. Erich Langenbach verkörpert wie wohl kein zweiter die Ära des analogen Kinos im Siegerland.
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Und er ist der Mann, der diese Ära nun endgültig beendet. In diesen Tagen baut er den letzten analogen Filmprojektor im Viktoria-Filmtheater ab. Und schließt sein Lebenswerk, wenn man so will – er hat das Gerät aufgebaut.
Ein paar Zahlen zum letzten Vorführer des Viktoria-Kinos
Hunderttausenden Menschen hat Erich Langenbach über die Jahrzehnte Filme vorgeführt. Hoch über den Köpfen des Publikums, in der kleinen Kammer, von der der helle Lichtstrahl ausgeht, der die Geschichten auf die Leinwand schickt, hat er die richtigen Knöpfe gedrückt. In der Kammer, in der es knackt, wenn die Projektorleuchte zündet, in der es leise rattert, wenn die Spulen sich drehen und das Filmband durch die Maschine läuft. Geräusche, die bald verstummen werden.
10.000 Filme werden es wohl gewesen sein; zu viele, sie alle zu erinnern. Einige hat Erich Langenbach gesehen, wenn er Zeit fand. Vorführen war damals viel mehr, als einmal den Startknopf zu drücken. „The Lost Boys“ war Langenbachs letzter Film, weiß Jochen Manderbach, Betreiber des Viktoria. Eine Vampir-Horror-Komödie. Vor ein paar Jahren war das, als die analoge Ära eigentlich schon vorbei war. Aber das Viktoria ist eben kein Kino wie andere.
Ein Fehler ist Erich Langenbach in all den Jahren unterlaufen. Keine schlechte Quote.
Wie Erich Langenbach zum Viktoria-Filmtheater kam
Als Manderbach 1991 das Kino übernahm, war Erich Langenbach schon lange da, fast 20 Jahre, immer hinter den Kulissen. Seit seinem 18. Lebensjahr ist er Vorführer im Viktoria, bald wird er 66. „Er hat dafür gesorgt, dass das Viktoria die Filme zeigen konnte, mit denen es berühmt geworden ist“, sagt Manderbach. Als Hilfskraft, im Nebenberuf. Es gibt keine Ausbildung, keinen Lehrgang für Filmvorführer. Erich Langenbach hatte Ahnung davon und er hatte Lust dazu.
„Ich hatte einen Film geguckt“, erinnert er sich, ein längeres Werk, „vielleicht Ben Hur“. Das Monumental-Epos hat er später auch vorgeführt. Jedenfalls war Pause, er ging durch den Notausgang raus, die Tür zum Vorführraum stand offen. Langenbach ging hoch, zu Jürgen Fischer, Sohn des damaligen Viktoria-Betreibers. „Haste Interesse?“, fragte der. „Joa, schon“, sagte Langenbach. Dann solle er mal vorbeikommen. So begann die Vorführer-Karriere.
Vom Filmvorführer wurde er bald zum „Mädchen für alles“
Gelernt hat Langenbach Elektriker, bei SMS, schräg gegenüber. Elektrik gibt es in einem Kino genug. Er kümmerte sich um die Projektoren und die Saaltechnik, optimierte die Verschaltung. Er konnte das halt. Mit der Zeit wurde er „technisches Mädchen für alles“. „Als ich das Viktoria übernahm, verdoppelte sich die Zahl der Vorführungen – Erich hat trotzdem alles alleine vorgeführt“, erinnert sich Jochen Manderbach.
Bis Langenbach bei der Arbeit einen kleinen Schlaganfall hatte. Er war gerade aus dem Saal gekommen und wollte das Licht dimmen. „Ich hörte ein Rauschen im Kopf“, erinnert er sich, danach begann der Arm zu kribbeln. Der Finger auf dem Licht-Knopf wollte nicht, wie er wollte. Langenbach ging nach Hause, hatte mit dem Schlüsselloch die gleichen Probleme wie mit dem Knopf, schlief nicht, konnte am nächsten Morgen die Hand wieder bewegen, die Kopfschmerzen waren verschwunden. Die Kollegen drängten ihn, ins Krankenhaus zu gehen. Bis die Sprache wieder vollständig da war, sollte es noch einige Wochen dauern.
„Ab da haben wir uns breiter aufgestellt“, sagt Jochen Manderbach. Er beschäftigte Schüler und Studenten, alle gingen in die „Lehre“ bei Erich Langenbach. Bis der digitale Projektor angeschafft wurde, seither wurde nur noch zwei Mal ein Vorführer benötigt. Erich Langenbach ging 2013, als das Viktoria digitalisiert wurde, in den Ruhestand. Sozusagen.
Vorführen hieß früher: Alle 20 Minuten auf eine neue Filmspule überblenden
„Es wird keine Renaissance des analogen Kinofilms geben“, sagt Jochen Manderbach. Es gibt einfach keine Filme mehr. Als Erich Langenbach anfing, kamen sie auf Rollen, 600 Meter Material, jeweils 20 Minuten Film. Für zwei Stunden Film brauchte es wenigstens sechs Rollen. „Ben Hur kam in zwei Kartons.“ Es gab zwei Projektoren, erklärt Langenbach: Während der erste Akt auf dem einen lief, bereitete er den zweiten vor, um genau im richtigen Moment überzublenden – ohne dass das Publikum etwas merkt. Während der nächsten 20 Minuten bereitete er wieder den ersten Projektor mit dem dritten Akt vor. Durch das Sichtfenster zuschauen konnte heikel werden – vertiefte sich der Vorführer zu sehr in den Film, verpasste er womöglich den richtigen Moment.
Irgendwann konnte man die Akte koppeln – an der richtigen Stelle zusammenkleben und auf eine größere Filmspule wickeln. So lief der Film eine Stunde, es musste nur einmal übergeblendet werden. Die Projektorlampe wird mit Hochspannung gezündet, das geht auf die Substanz – eine Zündung statt drei schont. Wenn denn richtig gekoppelt wurde – die Reihenfolge der Akte muss schließlich stimmen. Und die Abspiel-Richtung. Falsch herum zusammengeklebt und der Film läuft plötzlich rückwärts. Hier, so viel sei verraten, unterlief Erich Langenbach sein einziger Fehler.
Irgendwann gab es dann so große Spulen, dass die Langfassung von „Herr der Ringe“ auf eine passte.
Der digitale Siegeszug ist unumkehrbar – auch im Dahlbrucher Viktoria
Digitale Technik ist der analogen eigentlich in fast allem überlegen. „Für uns ein Segen“, sagt Betreiber Manderbach: Kleine Häuser wie das Viktoria, sogenannte „Nachspieler“, bekamen fast immer gebrauchte Filmkopien. Bei unsachgemäßer Behandlung kann so eine Filmrolle auch verhunzt werden – Kratzer, blasse Farben, Unschärfe. „Wir mussten das dem Publikum aber als neue Filme verkaufen“, sagt Manderbach.
Heute spielt er den Film auf den Server und kann die Festplatte direkt ans nächste Kino schicken – oder vielmehr die an ihn. Das Viktoria muss nicht warten, bis die großen Kinos einen Film nicht mehr zeigen wollen, „wir kommen schneller dran“, sagt Manderbach. Eine Datei nutzt sich nicht ab, Filme schon. Bei „Spiel mir das Lied vom Tod“ fehlten mal fünf Minuten am Ende. Das Analoge reizt erst jetzt, aus der nostalgischen Warte des allgegenwärtig Digitalen. „Damals waren wir aufgeschmissen, heute gilt jeder Fehler als authentisch“, sagt Manderbach.
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Eine Analogkopie besteht aus tausenden Kilometern Kunststoff, die irgendwann geschreddert werden, sagt Erich Langenbach. „Dieses ganze Plastik schwimmt schonmal nicht mehr im Meer.“ Die Nitrocellulose am Anfang war hoch entflammbar, die Sicherheitsfilme aus Triacetat wurden mit der Zeit trocken und spröde, die Polyester-Filme aus den 70er/80er Jahren waren reißfest und zogen bei Fehlbedienung auch mal Teile der Anlage durch den Raum.
Der Abschied des letzten Vorführers von „seinem“ Projektor
Erich Langenbach ist kein sentimentaler Mensch. Aber der Analogfilm ist halt ein großer Teil seines Lebens. Als das Siegener Open-Air-Kino noch analoge Filme zeigte, half er aus, und im Viktoria tut er das sowieso, wenn irgendwas mit der Technik ist. Das meiste davon hat er schließlich schon in der Hand gehabt. Und auch wenn der digitale Projektor eigentlich nur Vorteile hat: Erich Langenbach mochte es, im Vorführraum zu sitzen, über den Köpfen des Publikums, die Wärme der Projektorlampe im kahlen Zimmer zu spüren, das Grollen und Rumpeln der Tonspur aus dem Saal zu hören, neben sich das Surren und Flimmern des Projektors. „Wenn alles läuft“, sagt er, „hat man seine Arbeit vernünftig gemacht“.
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Langenbach hat das Gerät noch ein paar Mal laufen lassen – es funktioniert einwandfrei. Jochen Manderbach gibt die Maschine an Liebhaber ab, „wer es haben möchte, kann vorbeikommen und es abholen“, sagt er. Er hat keinen Platz zuhause, sagt Erich Langenbach. Sonst hätte er den Projektor vielleicht selbst genommen.
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