Siegen/Freudenberg. Ein 32-Jähriger wird vom Amtsgericht Siegen wegen Beleidigung und Körperverletzung verurteilt. Dahinter steckt ein Flucht-Trauma.

Sieben Monate Freiheitsstrafe bekommt der Angeklagte, für Körperverletzung und Beleidigung. Das Schwierigste ist für Amtsrichterin Antonia Kuhli die Frage nach der Bewährung. Amtsanwalt Kuhl hat diese zuvor „unter Zurückstellung schwerster Bedenken“ noch einmal bejaht. Die Vorsitzende kommt schließlich auch zu diesem Urteil, tut sich aber sichtlich schwer. Sie braucht ungewöhnliche lange, um ihre Entscheidung zu fällen und begründet dies auch.

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Der Angeklagte (32) soll am 16, Februar 2020 abends in Freudenberg grundlos auf sein Opfer losgegangen sein. Der inzwischen 17 Jahre gewordene Schüler berichtet, dass er ein paar Freunde zur Bushaltestelle gebracht hatte und auf dem Heimweg war. Dann hörte er hinter sich eine Stimme schimpfen und rufen. „Ich habe mir noch nichts dabei gedacht“, betont der Zeuge, der mit seiner Mutter gekommen ist. Plötzlich sei er von hinten attackiert worden, habe einem Schlag ausweichen können und den zweiten ins Gesicht bekommen. „Ich habe an der Nase und an der Lippe geblutet“, berichtet der Jugendliche, der anschließend nach Hause rannte. Der Angreifer sei ihm aber gefolgt, habe eine Scheibe in der Glastür eingeschlagen, „ich bin wieder geflüchtet“.

17-jähriges Opfer kennt den Angeklagten

Der Zeuge hat den Täter recht gut beschrieben und ist auch im Gerichtssaal sicher, diesen im Angeklagten wiederzuerkennen: „Wir kannten uns vom Sehen.“ Frühere Landsleute des Mannes aus Eritrea hätten „bei uns im Mehrfamilienhaus gewohnt“. Da sei der Angeklagte öfter einmal auf Partys gewesen.

Verteidiger Andreas Trode wundert sich, dass der Zeuge seinem eigenen Flüchtlingsberater nur eine grobe Beschreibung geben konnte, bei der Polizei aber sofort ein Foto des Angeklagten habe vorlegen können. Für den Iserlohner Anwalt ist nicht klar, wie sicher das Identifizierungsverfahren tatsächlich gelaufen ist, und beantragt Freispruch. Sein Mandant hat die Aussage verweigert und schüttelt auch auf die Frage der Richterin den Kopf, ob er sich nach der Zeugenaussage nicht doch äußern möchte.

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Antonia Kuhli kennt den Angeklagten bereits, der gleich zwei Mal unter laufender Bewährung steht. Das auch noch wegen einschlägiger Taten, Körperverletzung und Beleidigung. Die Vorsitzende betont, dass sie nur die Zeugenaussage als Grundlage hat, diese aber für glaubwürdig erachte. Sie verweist auf die traumatischen Erfahrungen des Angeklagten, der anerkannter Asylbewerber ist, im Bürgerkrieg seines Heimatlandes. Der Vater sei dort umgebracht worden, „er selbst ist auch nicht ohne Spuren davongekommen, mit einem Messer verletzt worden“

Therapie in Corona-Zeiten schwierig

Die Richterin sieht die Ursachen der wiederholten Straftaten in dieser Vergangenheit. Leider lasse sich in der Pandemiezeit kaum sinnvoll eine Weisung zur Therapie erteilen. „Sie sollten sich aber selbst darum kümmern“. Dass der Angeklagte grundsätzlich an einer Aufarbeitung seiner Vergangenheit interessiert sei, hatte schon Bewährungshelferin Robina Mahmood betont, die den Probanden allerdings erst seit kurzer Zeit betreut. Er klage ständig über gesundheitliche Probleme, habe seine Ausbildungsstelle verloren und leide unter Depressionen.

Nach den vorherigen Urteilen hatte er regelmäßige Urintests wegen Alkoholsucht abgeben müssen. Das wird ihm auch jetzt auferlegt, dazu 100 Arbeitsstunden sowie eine ungewöhnlich lange Bewährungszeit von vier Jahren. „Wollen Sie es annehmen? Der Freispruch kommt nicht“, stellt Andreas Trode in Richtung seines Mandanten fest. Der will noch einmal mit ihm darüber reden.

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