Siegen. Adolf Bode gründet 1945 in Siegen die erste Fachsprachenschule Deutschlands. Seine Witwe hat diese phantastische Geschichte aufgeschrieben.
Schon der Anfang ist phantastisch: Der Sohn des Postbeamten, 1915 geboren, im zweiten Jahr des ersten Weltkriegs, darf aufs Gymnasium. Dort, am Löhrtor, macht er 1935 sein Abi mit Auszeichnung. Der junge Mann studiert Sprachen, will Austauschstudent werden. Im Sommer 1938 überquert er mit dem Schiff den Atlantik, reist mit der Bahn weiter, zur Stanford University, Palo Alto, Kalifornien. 1939 beginnt der zweite Weltkrieg. Über Japan, Korea, die Mandschurei und Sibirien gelingt ihm 1940 die Rückkehr.
Der Gründer
Die Rede ist von Dr. Adolf Bode. Er wird Lektor an der Uni in Bonn, dann mus er Soldat werden. Seinen Dienst versieht er an der Dolmetscherschule der Luftwaffe, über seinen Beruf wird er sich danach in der kurzen Gefangenschaft klar, was er beruflich machen will. An Bäumen und Ruinen klebt der rote Zettel, auf dem Bode „Englische Lehrgänge für Anfänger, Fortgeschrittene und Dolmetscher“ in der Wiesenbauschule auf dem Häusling ankündigt. Am Donnerstag, 13. September 1945, 19 Uhr, beginnt der erste Anfängerkurs. Das ist das Gründungsdatum der Sprachenschule Siegerland.
Seine Geschichte
„Eine weltweite Familie“: So überschreibt Christoph Bode die Geschichte der Sprachenschule Siegerland, die er herausgegeben hat und die die Geschichtswerkstatt Siegen jetzt als Sonderband der Siegener Beiträge veröffentlicht hat. Prof. Dr. Christoph Bode ist Anglist geworden, sein Lehrstuhl ist in München. Und auch seine Geschichte ist phantastisch: 1987, kurz vor seinem Tod, habe sein Vater darum gebeten, zehn Jahre nach dem Verkauf seiner Sprachenschule – der 1982 erfolgte – eine Geschichte dieser Einrichtung zu veröffentlichen.
Ute Bode, seine Witwe, macht sich Anfang der 1990er Jahre selbst an die Arbeit, nachdem weder an der Uni noch unter Journalisten geeignete Autoren gefunden wurden. 1994 hörte sie damit auf, übergab ihrem Sohn ein Typoskript von 60 Seiten. Und der – übrigens Schülersprecher am Löhrtor zur Zeit des Schülerinnenstreiks im Oktober 1969 nebenan am Lyzeum – setzte die Arbeit seiner vor acht Jahren verstorbenen Mutter fort. Das von ihm kommentierte Typoskript wird 75 Jahre nach der Gründung der Sprachenschule Siegerland fertig.
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Seine Anfänge
Die weltweite Familie: Das sind die Schüler, die in aller Welt arbeiten, aber auch immer zurückkommen und an ihrer Sprachenschule den nächsten Generationen von der Welt berichten. „Ich glaube, der Hauptgrund für das große Interesse an der englischen Sprache war der große geistige Hunger ganz allgemein“, schreibt Ute Bode über die Anfänge der Sprachenschule.
„Die Welt steht Ihnen offen, wenn Sie gutes gewandtes Englisch sprechen“, steht 1946 auf dem Werbeplakat. Und darum geht es: Spätestens nach der Währungsreform wird der Export wichtig für die Deutschen, die die Geschäftskorrespondenz nicht mehr in der eigenen Sprache, sondern auf Englisch, Französisch, Italienisch und Spanisch abwickeln musste. „Jetzt zeigte sich erst, wie groß der Mangel an fremdsprachlichen Kräften war“, schreibt Ute Bode, „erstens gab es viel zu wenige, und zweites waren sie auch noch völlig unzureichend ausgebildet.“ Denn an der Uni lernten die Studierenden Literatur, nicht etwa die Vokabeln für Walzwerke und Apparatebau. Drei Jahre dauerte bei Dr. Bode, Deutschlands erster Fachsprachenschule, die Ausbildung bis zum großen Diplom für Auslandskorrespondenten und technische Übersetzer. Nicht nur in der Abendschule, sondern auch bei Werksbesichtigungen und Exkursionen, bis zu den Häfen von Amsterdam, Rotterdam und London.
„Die Anfänge aber waren sehr hart“, berichtet Ute Bode, „wir hatten ja keine finanziellen Rücklagen und kein gesichertes, regelmäßiges Einkommen.“ So gab es neben der Abendschule noch den Übersetzungsdienst, zwei Jahre lang pendelte Adolf Bode zudem noch als Lektor an die Universität nach Köln. Und dann waren da noch die ohne Manuskript gehaltenen Vorträge, vor allem über andere Länder, sehr oft über Amerika, 468 allein zwischen 1956 und 1970.
Seine Institution
1958 wurde die erste Tagesschulklasse eingerichtet, Unterrichtsräume dafür hatte die Sprachenschule, die abends in der Bauschule auf dem Häusling stattfand, zunächst im Jungengymnasium am Löhrtor, ab 1963 dann in selbst angemieteten Räumen auf der Hammerhütte. Ute Bode beschreibt die neue Schülerschaft: nicht mehr, wie abends, gestandene Berufstätige, die sich weiterbilden, sondern „in unserem Falle fast alle junge Mädchen“ mit Mittlerer Reife oder Abitur: „Gerade in den ersten Jahren der Tagesschule hatten wir eine ganze Reihe von Schülerinnen, die ihre bisherige Schule mit einem abgrundtiefen Hass verlassen hatten, die regelrecht fortgeekelt worden waren.“ Viele hätten wohl „einen Knacks fürs Leben abbekommen“, heißt es weiter, „aber diejenigen, die zu uns kamen, fanden wieder Freude am Lernen.“
Bestellung möglich
Die Geschichtswerkstatt Siegen hat „Eine weltweite Familie: Die Sprachenschule Siegerland des Dr. Adolf Bode“ als Sonderband 2020 der Siegener Beiträge (Jahrbuch für regionale Geschichte) herausgegeben. Autorin ist Ute Bode, Herausgeber ist Christoph Bode.
Das 170 Seiten starke Buch kann zum Preis von 15 Euro (für Mitglieder: 11 Euro) online über geschichtswerkstatt-siegen.de bestellt werden.
Im Herbst 1973 waren 1007 Teilnehmer eingeschrieben. 1974 zieht die Schule in die Oranienstraße um. Die Abendschule erlebte nun, wie Ute Bode berichtet, einen „drastischen Rückgang“. Die Volkshochschule trat als Anbieter von Sprachkursen auf den Plan, mit deren subventionierten Gebühren konnte die Sprachenschule nicht mithalten. Adolf Bode wurde krank, im März 1982 übergab er seine Sprachenschule Siegerland an das Bildungswerk der Deutschen Angestellten Gewerkschaft DAG. „Es war ein unsagbar hartes und bitteres Jahr“, schließt Ute Bode dieses Kapitel. Heute gibt es auch die DAG nicht mehr, sie ist Teil der Gewerkschaft Verdi geworden. Dr. Bodes Schule existiert weiter als „Akademie Sprachenschule Siegerland“.
Sein Rückzug
Adolf Bode stirbt 1987 mit 72 Jahren. Das letzte Wort gehört dem Hausarzt, der den Totenschein ausstellt: „Ein bemerkenswerter Mensch.“ Und dann schmunzeln sie alle, als sie ausgerechnet ein Foto von Hindenburg entdecken, das Adolf Bode sich an den Schrank geheftet und vom Bett aus im Blick hatte. Der unmilitärische Philologe hatte eine Kindheitserinnerung an den „geordneten Rückzug“. Geordneter Rückzug, schreibt Christoph Bode im Nachwort über seinen Vater.„Just like him.“
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