Siegen. Exzessiver Pornokonsum ist kaum erforscht – gibt es etwa Parallelen zu Alkohol- oder Drogensucht? Dieser Frage widmet sich jetzt die Uni Siegen.

Noch nie war es so einfach Pornos zu schauen. Übers Internet sind sie ständig verfügbar, immer nur einen Klick entfernt, anonym, oft kostenlos. Ein Angebot mit Suchtpotenzial. Rund fünf Prozent der Männer in Deutschland sollen süchtig nach Pornos sein. Eine Schätzung, belastbare Zahlen und Studien dazu gibt es kaum. Der Umgang mit Pornos ist trotz des scheinbaren Tabuverlustes nach wie vor schambehaftet.

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Ist exzessiver Pornokonsum überhaupt eine Sucht ? Wann kann man tatsächlich von einer Sucht sprechen? Prof. Dr. Tim Klucken, Professor für Klinische Psychologie der Fakultät II an der Universität Siegen und Psychotherapeut, untersucht im Rahmen einer transregionalen Forschungsgruppe zum Thema „Online-Süchte“ die Aspekte der Pornosucht , aber auch der Sucht nach Computer-Rollenspielen.

Fokus: Was geht in den Köpfen der Nutzerinnen und Nutzer vor?

In dem von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) geförderten Projekt wollen Klucken und Kollegen herausfinden, was in den Köpfen der Nutzerinnen und Nutzer vor sich geht, die sich unkontrolliert den Angeboten des Internets hingeben. Das kann exzessives Spielen ebenso betreffen wie Online-Shoppen oder eben Porno konsum. Sie untersuchen in sieben Teilprojekten die Online-Süchte in Bezug auf psychologische und neurobiologische Prozesse.

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Die Gesamtleitung der Gruppe liegt bei Prof. Matthias Brand, Uni Duisburg-Essen. Neben dem Siegener Team sind auch Wissenschaftler der Universitäten Bochum, Bamberg, Gießen, Mainz, Lübeck, Ulm und der Medizinischen Hochschule Hannover beteiligt.

Siegener Professor behandelt männliche Patienten mit hohem Leidensdruck

Tim Klucken hat als Therapeut schon einige Patienten – fast nur Männer – kennengelernt, die durch ihren Pornokonsum einem so großen Leidensdruck ausgesetzt waren, dass sie Hilfe suchten. „Manchmal ist es die Partnerin, die dem Betroffenen erklärt, dass das nicht mehr normal sei“, erklärt Klucken. Oft beherrschen die Pornos irgendwann so sehr den Alltag der Männer, dass sie nicht nur familiär, sondern auch beruflich ins Straucheln geraten. Das Netz ermöglicht Konsum immer und überall. „Manche werden am Arbeitsplatz ‚erwischt‘, andere können keine Termine mehr wahrnehmen, da der Drang nach dem permanenten Kick alles beherrscht“, so der Therapeut.

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Bei einigen kann sich ein Verhalten entwickeln, bei dem sie nicht nur immer öfter, sondern auch nach immer stärkeren Anreizen verlangen. „Das belastet die Patienten sehr. Sie brauchen immer neue Bilder, Härteres, Ungewöhnlicheres. Das geht bis zu strafrechtlich relevanten Filmen“, so Klucken. Patienten würden teils vor sich selbst erschrecken und deshalb professionelle Hilfe suchen. Anders als bei anderen Süchten, etwa Drogen oder Alkohol, seien negativen Konsequenzen des Pornokonsums zunächst nicht direkt spürbar. „Was aber nicht heißt, dass die Betroffenen unter der Abhängigkeit nicht sehr leiden“, so Klucken. „Mitmenschen bekommen es nur weniger mit, weil es zunächst keinen offensichtlichen sozialen Absturz oder Beschaffungskriminalität gibt.“

Parallelen zu Substanz-Abhängigkeit – Suche nach Probanden

Im Forschungsprojekt möchten Klucken und sein Team herausfinden, ob exzessiver Pornografiekonsum im Prinzip so wie andere Süchte funktioniert oder ob es Unterschiede zu „klassischen Süchten“ gibt. Welche (bio-)psychologischen Prozesse, welche emotionalen, welche rationalen Mechanismen führen dazu und welche Parallelen zeigen sich bei den Online-Süchten im Vergleich zu substanzgebundenen Süchten insgesamt?

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Neben Befragungen soll vor allem die Reizreaktivität des Gehirns untersucht werden. „Das funktioniert über Bildertest, bei denen wir mit Hilfe der Kernspintomographie erkennen können, welche Hirnregionen wann und wie aktiviert werden“, so Klucken. Man weiß, welche Hirnstrukturen Suchtverhalten reagieren. „Wenn wir das in Bezug auf Pornografie bestätigt finden, hilft das nicht nur bei der klaren Suchtdefinition, sondern möglicherweise auch bei Therapien, wo wir uns auf erprobte Formen, die bei anderem Suchtverhalten wirksam sind, stützen können“, hofft der Professor. Das Siegener Team wird auch Suchtverhalten bei Menschen untersuchen, die exzessiv Online-Rollenspiele spielen. „Wir hoffen, dass sich Betroffene bei uns melden und wir genügend Probanden finden“, so Klucken. Beginn der Studie ist kommenden April.

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