Obernau/Detmold. Der Siegerländer Weiler im Freilichtmuseum Detmold ist dem Netphener Ort Obernau nachempfunden. Gesucht wird noch ein Bungalow.

Obernau beginnt in Niederschelden. Nicht das Dorf aus dem früheren Amt Netphen, das 1964 noch 112 Einwohner hatte und seit 1972 von der Talsperre überspült ist. Sondern der Siegerländer Weiler, der im Freilichtmuseum des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe in Detmold entsteht. Mit Häusern aus Obernau. Aber nicht nur.

Die Tankstelle

An der Straße aus Obernau heraus, die sich mit dem Abzweig nach Nauholz verband und dann nach Brauersdorf führte, stand keine. Neu-Obernau aber hat eine: die ehemalige Avia-Tankstelle aus Niederschelden, die dort 2010 abgetragen und 2013 im Museum wieder aufgebaut wurde. „Homberg“ steht auf den Zapfsäulen, ein himmelblauer DKW Junior steht in der Werkstatthalle.

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Der Preis für den Liter Benzin ist auf 64,9 Pfennige eingestellt. „DM?“, fragt ein junger Besucher nach der Abkürzung , „Pf?“ Jemand weiß, dass das die Währung in Deutschland vor dem Euro war, vor 2002. „Die Tankstelle war der Hammer“, sagt Dr. Hubertus Michels, Leiter des Baureferats im Museum. Sie steht für das Konzept: Im Siegerländer Weiler werden die 1960er Jahre abgebildet, mit ein bisschen Spiel zurück. Zum Beispiel nach 1951, als die Familie Diehl sich ihre Tankstelle von der Mineralölfirma J.&A. Homberg aus Wuppertal bauen ließ.

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Das Haus Stöcker

Weiter nach Obernau. Die Dorfstraße ist schon angelegt, hier führt sie – im Gegensatz zum Talsperrendorf – sanft einen Hang hinauf. Das Dorf, dessen Vorbild um 1300 erstmals erwähnt wurde, ist noch in Bau. Die Wassermühle von Willi Werthenbach aus Brauersdorf soll hier später aufgebaut werden. Der Weiher dazu gehört schon zum nächsten Gebäude: dem Haus Stöcker.

Neue Nachbarn: In Wirklichkeit lagen 33 Kilometer zwischen der Werthenbacher Kapelle und dem Haus Stöcker.
Neue Nachbarn: In Wirklichkeit lagen 33 Kilometer zwischen der Werthenbacher Kapelle und dem Haus Stöcker. © WP | Steffen Schwab

„Der Kran muss noch weg“, sagt Dr. Hubertus Michels. 1963 wurde das Fachwerkhaus in Burgholdinghausen abgebaut, 2017 begann der Wiederaufbau in Detmold. Eingerichtet wird das Haus so, wie die Familie Stöcker dort bis 1959 gewohnt haben könnte. Annette Stöcker, die kürzlich verstorben ist, hat Dr. Hubertus Michels über das Leben dort berichtet: über einen für die damalige Zeit hochmodernen Haushalt mit Fernsehen und Waschmaschine, aber auch immer noch Landwirtschaft im Nebenerwerb: „Sie ging vielleicht alle zwei Wochen mal nach Littfeld zum Einkaufen.“ Für die gelernte Kauffrau bedeutete das ländliche Leben sicher eine Umstellung, glaubt der Bauhistoriker: „Wir stellen da auch ein Stück Frauengeschichte dar.“ Annette Stöckers Einkaufstasche aus Leder wird einen Platz im neuen, alten Haus Stöcker haben, das 1797 von Benjamin Moses errichtet wurde – das erste Haus eines jüdischen Bauherrn im Kreis Siegen.

Die Dorfstraße

Weiter entlang der Dorfstraße, an der kein Obernaubach plätschert. Gegenüber von Haus Stöcker ist der Bauplatz für den Hof Mende-Stötzel, die Hausnummer 8 aus Obernau, dort 1778 gebaut und 1966 abgetragen. Dann wird das Haus Heitze kommen, um 1680 in der Dreis-Tiefenbacher Siegstraße gebaut, 1964 abgetragen. Auf der anderen Straßenseite, wieder neben dem Haus Stöcker, vielleicht der Hof Schäfer aus Obernau. Und schließlich die Freudenberger Lohwaage, die an die Lederindustrie erinnert und 1986 nach Detmold kam. Wo da die 1960er Jahre sind? Dr. Hubertus Michels erinnert an die typischen Dorfbilder aus dieser Zeit: Da stand eben das ganze Fachwerk auch noch, hier und da heruntergekommen – „manche haben 20 bis 30 Jahre nicht renoviert.

Das ist der Dorfplan für den Siegerländer Weiler. 
Das ist der Dorfplan für den Siegerländer Weiler.  © WP Siegen | Manuela Nossutta / Funkegrafik NRW

Der Bungalow

Bis alles steht, werden noch 15 bis 20 Jahre vergehen. Am Ortsrand, direkt neben dem Backes vom Hof Vitt aus Obernau, haben die Detmolder sich den Bauplatz für einen Bungalow ausgedacht – die eingeschossigen Wohnhäuser mit großen Fenstern, oft mit Flachdach, waren ab den 1960er Jahren der letzte Schrei. Eigentlich eine Rückkehr des von den Nazis in die USA vertriebenen Bauhaus-Stils, „für Leute, die ein bisschen auffallen wollten“, meint Dr. Hubertus Michels, der sich irgendwann direkt im Siegerland auf die Suche machen will: „Ich würde mir gern zehn bis zwölf angucken. Kontakt mit Heimatvereinen habe ich schon aufgenommen.“

Gesucht wird also der noch eingerichtete Bungalow, den die Eigentümer aufgeben und abreißen lassen wollen. Das Museum würde das Haus „ausschlachten“, Fußböden, Heizung, Fenster und Inventar mitnehmen und die steinerne Hülle selbst neu bauen. So, als ob die etwas besser betuchte Familie einziehen würde. Wie vielleicht auch im echten Obernau. Wenn das, was noch übrig war, nicht bis 1968 niedergebrannt worden wäre. Dr. Hubertus Michels weiß, dass es die Häuser im Siegerland gibt. Und weist darauf hin, dass das Vorhaben Zeit braucht – wenn der Bagger schon anrollt, ist es zu spät: „Wir wissen, wie schwierig das sein wird.“

Die Kapelle

Oben auf der Anhöhe steht das erste Gebäude des Siegerländer Weilers und der erste Sakralbau des Museums überhaupt. 1965 wurde die Kapellenschule in Werthenbach abgebaut, 2001 in Detmold wiedereröffnet. In Werthenbach wurde die 1737 errichtete Kapelle bis Ende der 1950er Jahre für Gottesdienste genutzt, dann wurde der von der Kirche inzwischen aufgegebenen Neubau fertig. Schulunterricht wurde in dem Schulanbau von 1816 schon ab 1900 nicht mehr erteilt. Danach baute der Ort noch zwei neue Schulen: das heutige Bürgerhaus und den heutigen Kindergarten. Die Transformation des Klassenzimmers, in dem jetzt noch das Porträt von Kaiser Wilhelm hängt, in die Zeit des Siegerländer Weilers steht noch an: Nach dem Krieg brachte die Gemeinde dort Flüchtlinge unter.

Wenn man aus der Kapelle heraustritt, gelangt man auf den Weg, der über dem Dorf angelegt ist, mit Blick auf den Kran vor dem Haus Stöcker. Und die Tankstelle. Obernau endet in Niederschelden.

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