Kreuztal/Siegen. Die Scheinwerfer des Streaming-Benefiz richten sich jetzt auf das Kreuztaler Café Basico.
Der virtuelle Hut geht wieder rum: Mit dem Beginn des zweiten Veranstaltungs-Lockdowns übernimmt der im März gegründete Verein wieder die Bühne, von der aus Online-Auftritte gestreamt werden. „Der virtuelle Hut“, so auch der Vereinsname, ersetzt die analoge Hutsammlung nach dem Auftritt. Schauplatz ist ab Mittwoch das Café Basico in Kreuztal.
Das Café Basico
Die fünf Eisenbahnwaggons des Baujahrs 1927 haben schon lange keine Fahrgäste mehr befördert. Bevor Eva und Klaus Vetter sie vor dem Kreuztaler Lokschuppen aufs Gleis setzen ließen, waren sie schon zu Werkstattwagen umgebaut. Die je drei Abteile pro Waggon sind Garderobe, Rückzugs- und Aufenthaltsraum für die Teilnehmer der Tango- und Salsa-Workshops – die in diesem Jahr so gut wie gar nicht stattfinden konnten. So wenig wie die allein seit der Sommerpause abgesagten rund 20 Konzerte. Und so wenig wie die „Brotveranstaltungen“, wie Klaus Vetter die Feiern, Gesellschaften und Seminare nennt, die das Basico samt Catering buchen. „Da sind wir komplett raus“, sagt Klaus Vetter, „diese Klientel ist eher vorsichtig.“
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Dabei wurde auch das gestrichen, was noch gegangen wäre: Konzerte mit zugelassenen 50 statt bis zu 130 Zuschauern. Bei diesem Geschäftsmodell, bei dem Künstler auf eigene Rechnung kommen („Gute Leute wissen, dass sie hier ihr Geld verdienen“) und das Basico von der Gastronomie lebt, läuft das nicht. „Das ist für uns nicht zu finanzieren.“ Zwei der sechs Aushilfen wurden jetzt entlassen. Dabei würde zur Erfüllung der Corona-Bedingungen eigentlich mehr Personal gebraucht – bei zwei Kooperationsveranstaltungen mit Kreuztal Kultur hat ihm da die Stadt unter die Arme gegriffen.
Kontakt
Der virtuelle Hut nimmt weitere Vorschläge entgegen, welche Künstler, Kulturprojekte und Kulturschaffende gefördert werden sollen. Offen ist auch, wo es nach dem 22. November weitergeht – in Kreuztal oder an einem anderen Schauplatz.
Kontakt: www.der-virtuelle-hut.de. Unter dieser Adresse wird auch das aktuelle Streaming-Programm veröffentlicht.
Drinnen im Saal mit der großen Tanzfläche und nebenan im Café ist viel Platz. Kein Rudelsingen. Kein Snooker-Spiel. Das Basico ist Veranstaltungsort, Event-Location. Vor allem aber das, was Eva und Klaus Vetter 2014 eröffnet haben: ein Platz für die Tango- und Salsa-Szene, die aus der ganzen Republik anreist, zum Tango-Marathon bis zu 200 Leute an einem Wochenende. Die kleineren Seminare, so schätzt Klaus Vetter, werden je etwa zur Hälfte von Auswärtigen und Einheimischen besucht. Die Programmflyer, die er im Februar drucken ließ, hat er gar nicht erst verschickt. Und die mit dem Herbstprogramm schreddert nun ebenfalls der Lockdown. „Wir müssen das alles wieder neu aufbauen.“ Neue Termine machen, die Kurse bewerben, Lehrer finden. Schauen, ob die überhaupt noch im Geschäft sind. „In der Szene werden viele auf der Strecke bleiben.“
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Der virtuelle Hut
15.000 Euro hat der virtuelle Hut im April und Mai eingesammelt. Um die 80.000 Views – „echte Views“, betont Martin Horne, also von mindestens fünf bis zehn Minuten Länge – wurden auf die 25 Konzerte und Kleinkunstveranstaltungen gezählt, die vor allem von der Bühne des Lyz und im Freudenberger Autokino gestreamt wurden. Künstler in Not hat der Verein unterstützt, aber auch Musikschulgebühren bezuschusst und der Jugendkunstschule unter die Arme gegriffen. Die Künstler bekamen zudem das professionelle Video – und guten Rat: Michael Wibbelt berät bei Förderanträgen. Was ja auch irgendwie mit Jonglage, seiner künstlerischen Profession, zu tun hat.
Fördern will der virtuelle Hut, „was nicht abgefedert und subventioniert ist“, sagt Martin Horne, „und dazu gehören auch Veranstalter wie das Basico.“ Meist fünf bis 15 Euro geben die Zuschauer, von denen viele auch erst viel später kommen und sich statt des Live-Auftritts das Video anschauen. Der Veranstaltungsorganisator weiß, wovon er spricht – und für wen er sich engagiert. Bis auf das Siegener Open-Air-Kino im Sommer („Und auch das musste Federn lassen“) hat er in diesem Jahr nicht viel ausrichten können. Bei der Stadt Siegen hat Martin Horne noch bis Jahresende eine halbe Stelle; neben anderen Projekten sollte er vor allem das Stadtfest managen. „Bis jetzt konnte ich mich einigermaßen über die Zeit retten.“
Virtueller Hut und Café Basico
Quasi über Nacht wird das Programm für das Basico gestemmt, am Dienstagabend wird das Streaming-Studio in einem der Eisenbahnwaggons eingerichtet. „Ein Setting, das man mit möglichst wenig Aufwand betreiben kann“, sagt Martin Horne, „zur Not“ auch erst mal mit einer Person statt gleich mit drei Kameras, Tontechnik und Schnittplatz. Das Irish/American-Folk Duo Dennie & Schaum wird am Mittwoch den Anfang machen. Ab 20.14 Uhr auf www.der-virtuellehut.de oder unter facebook.com/dervirtuellehut. Um die fünf weitere Veranstaltungen, dann auch aus dem Saal oder dem Café, sind bis 22. November geplant, unter anderem auch mit der Late Night Jazz Foundation.
„Wir unterstützen das technisch und finanziell“, sagt Holger Glasmachers, Kreuztaler Kulturamtsleiter und zugleich Vorsitzender des Kulturrings Siegen-Wittgenstein, „unsere Techniker machen mit, damit wir die Nebenkosten in Grenzen halten.“ Schöner Nebeneffekt: Kultur aus Kreuztal bleibt, wie auch schon bei Musikschule und Spitzentanz, im Lockdown sichtbar. Ohne Scherz: „Das ist schlimm für alle freien Veranstalter, das trifft jeden bis ins Mark.“ Und das ist womöglich nach dem Lockdown auch nicht vorbei: Martin Horne hat die leeren Stühle im Heimhof-Theater gesehen, als er es noch bespielen durfte – die Menschen haben Angst.
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