Siegen. Der inzwischen 45-Jährige ist im vorigen Jahr als Rückfalltäter verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof hob das Urteil auf.

Fünf Jahre und drei Monate, dazu Sicherungsverwahrung, das war am 4. Juli 2019 das Urteil gegen einen damals 44-jährigen Siegerländer. Nach Überzeugung der 2. Großen Strafkammer hatte er sich der vierfachen Vergewaltigung schuldig gemacht, in drei Fällen in Tateineinheit mit dem Verschaffen jugendpornographischer Abbildungen. Das Besondere dabei: Alles lief rein virtuell in einem Chatroom ab, wobei der Täter seinem Opfer in drei verschiedenen Rollen gegenübertrat, die für das Mädchen allesamt sehr real gewesen waren. iframe newsletter wp siegerland anmeldemaske

BGH: Sicherungsverwahrung nicht ausreichend begründet

Seit Dienstag muss sich nun die 1. Große Strafkammer mit dem Mann beschäftigen. Der Bundesgerichtshof (BGH) hat das Urteil auf die Revision des Angeklagten hin aufgehoben und den Fall zurückverwiesen. Die Sicherheitsverwahrung ist der Knackpunkt, der die Sache erneut zur Verhandlung bringt.


Richterin Sabine Metz-Horst und ihre Kollegen waren dem Antrag der Staatsanwältin gefolgt, hatten abweichend vom Gutachten einen Hang zu weiteren Taten bejaht. Während dort darauf verwiesen wurde, dass der Angeklagte eine ganz normale Ehe geführt hatte und Vater zweier Töchter sei, die erste ähnliche Straftat erst relativ spät 2012 begangen habe, stellte das Gericht auf Indizien ab, dass es schon zu Beginn der Ehe Hinweise auf pädophile Neigungen gegeben habe und daraus einen Hang sowie die weitere Gefährlichkeit abgeleitet. Dies hätte aber nach Überzeugung des BGH von der Kammer eindeutiger bewiesen werden müssen. Damit bekommt auch Staatsanwältin Katharina Burchert eine zweite Chance, die seinerzeit neun Jahre Haft in dieser mehr als ungewöhnlichen Geschichte gefordert hatte.

Gegenüber 14-Jähriger als „Marius“, „Bibi“ und „Sammy“ aufgetreten

Der Mann hatte im Laufe des Verfahrens zugegeben, mit einem 14-jährigen Mädchen in einem Chatroom Kontakt aufgenommen und sie dabei zu sexuellen Handlungen vor der Kamera bewegt zu haben. Im September 2018 hatten sich Täter und Opfer kennengelernt, war das Mädchen vom deutlich älteren Mann in insgesamt drei verschiedenen virtuellen Rollen angeschrieben worden. Mit Hilfe dieser unterschiedlichen Identitäten zog er sie in ein komplexes Vertrauens- und Beziehungsverhältnis, zwang sie dadurch immer mehr in seinen Bann und dazu, ihm Fotos und Videos eindeutig sexuellen Inhalts zu schicken. Je länger der Vorgang dauerte, desto problematischer wurden die Bilder. Das Opfer musste sich immer wieder Gegenstände in Körperöffnungen einführen, unter sichtlichen Schmerzen und Verletzungsgefahr.

Zunächst war der Angeklagte als 18-jähriger „Marius“ aufgetreten, Schlagzeuger in einer Band, der dem unter Minderwertigkeitsgefühlen leidenden Mädchen Komplimente machte und ihr Gefühle kommunizierte. Dann kam noch eine junge Frau namens „Bibi“ ins Spiel, schließlich ein „Sammy“. Daraus entwickelte der Angeklagte eine geradezu abenteuerliche Geschichte, in deren Verlauf „Marius“ nach Großbritannien zog und dann bei einem Unfall „starb“ „Bibi“ von der chinesischen Mafia zur Zwangsprostitution gezwungen wurde und das Opfer all dies dadurch abmildern sollte, den Verbrechern die bewussten Fotos zu schicken. Freiwillig von ihr übersandte Nacktbilder reichten dem Angeklagten nicht aus, er brauchte zur Befriedigung seiner Neigungen andere Bilder, die unter Zwang entstanden sein mussten.

Angeklagter hält sich selbst für gefährlich

Die Aussage des Angeklagten wird unter Ausschluss der Öffentlichkeit entgegengenommen. Er hat das Kerngeschehen aber schon damals eingeräumt und direkt nach seiner Festnahme Ende 2018 gegenüber der Polizei bekundet, ohne therapeutische Hilfe „immer eine Gefahr für junge Mädchen“ zu sein. Interessant dabei ist, dass er die erste Strafe von 2012 über fünf Jahre und neun Monate komplett abgesessen hat. In dieser Zeit absolvierte er immerhin 45 Therapiesitzungen. Die ihm aber nicht viel genutzt hätten, erklärte er nach seiner Entlassung im August 2018 – also nur wenige Wochen vor der Kontaktaufnahme mit seinem neuen Opfer – gegenüber Bewährungshelferin Barbara Heyman.

Sie hat den Mann vier Monate betreut, bis zu seiner erneuten Verhaftung. Anfang 2019 hätte er einen Platz in der Therapiegruppe des Ambulanten Dienstes bekommen können, in der sehr intensiv mit den Männern gearbeitet werde, sagt Heyman. Sie schätzt den Angeklagten als „sehr manipulativ“ ein. Er habe es wohl auch geschafft, die Therapie während der Haft sehr stark auf die Bewältigung seiner Trauer um den verstorbenen Vater und die ebenfalls verstorbene Ex-Frau zu lenken. Bestimmen könne er sehr gut.

Täter lässt Smartphone freiwillig auswerten

Trotz allem hatte der 1974 geborene Mann vor allem selbst zu seiner vergleichsweise schnellen Entdeckung beigetragen. Nach seiner Entlassung war er 2018 dem Projekt KURS zugeteilt worden, was für „Konzeption zum Umgang mit rückfallgefährdeten Sexualstraftätern in Nordrhein-Westfalen“ steht. Da wurde er anfangs in der Kategorie B für mittelschwere Rückfallgefahr geführt, nach kurzer Zeit aber in die höchste Stufe A übernommen. Von Anfang an erklärte er den für ihn zuständigen Beamtinnen, sich wieder ein Smartphone kaufen zu wollen. Weitere beunruhigende Informationen führten dann zu einer freiwilligen Auswertung seines Mobilgerätes, die schnell eindeutige Ergebnisse zeigte.

Am Donnerstag geht es weiter, mit der Vernehmung des Opfers und dessen Mutter.


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