Siegen-Wittgenstein. An der Befragung zum Radverkehrsnetz für Siegen-Wittgenstein haben sich viele Menschen beteiligt. Sie wollen jetzt aber auch Taten sehen.

Im nächsten Frühjahr ist mit dem Radverkehrskonzept für den Kreis Siegen-Wittgenstein zu rechnen, „vielleicht“ auch schon im Dezember mit kurzfristigen Vorschlägen für den Bereich der Kreisstraßen.

Johannes Pickert von der Planungssocietät Dortmund, die der Kreis beauftragt hat, weiß um den Zeitdruck: Die Bürgerbeteiligung wurde intensiv in Anspruch genommen, es gab viele Vorschläge für das Radwegenetz – und somit auch „eine relativ hohe Erwartungshaltung, das jetzt auch eine Umsetzung kommt“. Der Planer wird allerdings nicht nur einen Vorschlag für ein Radwegenetz vorstellen, sondern auch für eine Prioritätenliste: „Man sollte an jeder klassifizierten Straße einen vernünftigen Radweg haben, Aber Sie können nicht 600 Kilometer Radwege gleichzeitig bauen.“ Selbst wenn das Geld da wäre: Die Baufirmen hätten die Kapazitäten gar nicht.

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Das ist geplant

Erstes Ziel des Kreis-Konzeptes werden Verbindungen zwischen Städten und Gemeinden sein. Am Anfang stehen die Wunsch-Linienführungen, dann werden die vorhandenen Straßen und Wege einbezogen und neu zu bauende Abschnitte ausgewiesen.

Ein weiterer Blick gilt den Radpendlerrouten, „etwas breiter, in der Regel beleuchtet“, und mit Ampel-Vorrangschaltung: Die machen da Sinn, wo täglich mindestens 500 Radfahrer unterwegs sind, zum Beispiel zwischen Kreuztal und Hilchenbach. Solche Pendlerrouten sind 15, bei gutem Ausbau höchstens 20 Kilometer lang. Was länger als eine Stunde Fahrzeit braucht, „ist für Pendler nicht mehr attraktiv“, macht Johannes Pickert klar. Kein Mensch hat so viel Zeit für den täglichen Weg zur Arbeit.

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So sieht es jetzt aus

Um die 500 Kilometer sind Johannes Plickert und seine Kolleginnen bereits in Siegerland und Wittgenstein abgefahren.

„Das Niveau ist sehr unterschiedlich“, berichtet Johannes Plickert, wobei die Stadt Siegen „schon weiter ist als die meisten anderen Kommunen im Kreis“. Die Stadt setze mögliche Verbesserungen „relativ zügig“ um, statt aufwändige Neubauten abzuwarten. Auch außerhalb der Städte gebe es attraktive Verbindungen abseits der Hauptverkehrsstraßen, die landschaftlich reizvoll und zugleich „auch im Alltagsverkehr interessant und nutzbar“ seien.

Starke Beteiligung

Fast 5000 Personen haben sich mit 1035 Ideen und 423 Kommentaren zu der Online-Präsentation des Radwegenetzes geäußert. 44 Prozent der Teilnehmer kommen aus Siegen, 12 aus Netphen und 9 aus Kreuztal.

327 Anmerkungen bezogen sich auf fehlende Radwege und Verbindungen, 302 auf Sicherheitsmängel an vorhandenen Wegen, 154 auf bauliche Mängel und 115 waren Hinweise auf alternative Verbindungen.

Auf der anderen Seite gebe es Lücken im Netz zwischen den Orten, enge Ortsdurchfahrten und stark befahrene Strecken in den Tälern. Dort mit minimalem Abstand von Lkw überholt zu werden, „macht keinen Spaß“, sagt Johannes Plickert, „und solange das so ist, kriegen Sie keine Leute aufs Rad.“ Auch die manchmal zugewachsenen, unebenen und ausgeschwemmten Wirtschaftswege seien dann keine Alternative mehr. „Man muss sich das mal bei Dunkelheit vorstellen.“

Das kommt vielleicht

Sonderthema ist der Radschnellweg Littfeld-Betzdorf, für den die Planungssocietät zusammen mit Via, die bereits das Radverkehrskonzept für Kreuztal erarbeitet hat, bis Dezember eine Potenzialanalyse vorlegen wird – also eine Untersuchung, auf welchen Abschnitten täglich mindestens 2000 Radfahrer unterwegs sind. Gebaut ist der Weg, für den Platz und eine Trasse gefunden werden muss, davon noch lange nicht, betont Johannes Plickert. Und wenn, dann allenfalls auf Teilstrecken. Für die Gesamtstrecke sei ein Radschnellweg „nicht wirklich vorstellbar“.

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Das kommt wohl nie

Überhaupt: Geduld werden die Radfahrer überall brauchen. Bei der Neuanlage von Radwegen seien viele Verfahrensschritte nötig, einschließlich Naturschutzprüfungen. Und manche Verbindungen werden, wenn überhaupt, erst in ganz ferner Zukunft kommen. Markus Böhmer (CDU) zum Beispiel vermisst Verbindungen von Netphen entlang der B 62 nach Erndtebrück und entlang der L 719 nach Feudingen. Da sei ein Radwegebau anspruchsvoll, macht Johannes Plickert klar: „Dass die da mindestens zehn Jahre dran sind, ist vollkommen klar.“ Und auch die Alternativen über Feldwege seien in Wirklichkeit keine: „Traue ich mich da wirklich herzufahren?“ Im Dunkeln, und ohne Gewissheit, dass schnell Hilfe kommt, nach einem Sturz zum Beispiel?

Umweltdezernent Arno Wied wird noch deutlicher. Solche Verbindungen seien für Radsportler reizvoll. Aber für eine Nutzung durch Berufspendler sei ihnen „sehr wenig abzugewinnen“, zudem seien sie auch noch „höchst gefährlich“: „Sind das die Trassen, die ich für den Alltagsverkehr prioritär ausbauen möchte?“ Das Potenzial an Pendlern könne dort nicht allzu groß sein, fügt Arno Wied an: Das zeige die schlechte Nutzung der Schnellbuslinie über die Siegquelle, die aus wirtschaftlicher Sicht „sehr kritisch hinterfragt“ werden müsse.

Da gibt es Widerspruch

Thomas Helmkampf (CDU) sieht das anders: Zuerst müsse das Angebot geschaffen werden, damit es überhaupt genutzt werden könne. Ursula Belz (CDU) warnt davor, nur Einwohner- und damit mögliche Nutzerzahlen zum Maßstab der Planung zu machen. „Dann würden bestimmte Gebiete erst in 20 Jahren ausgebaut, Das könnte die Bevölkerung nicht nachvollziehen.“ Planer Johannes Plickert bestätigt, dass die Nachfrage schon ohne Angebot da ist: In dieser Saison seien die Pedelecs ausverkauft, Wartungstermine in den Werkstätten nicht mehr zu bekommen: „Da hat Corona unglaublich viel losgetreten.“

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