Siegen. Als Alterssitz im Grünen, für Baulücken in Siegen, als Büro-Alternative: Das Tiny House als neue Wohnform hat Zukunft, glaubt Messebauer MD Print
Krise macht erfinderisch: Seit März sind die Messebauer des Siegener Unternehmens MD Print (Medienhaus Dreisbach) auf der Schemscheid corona-bedingt quasi ohne Aufträge. Den Kopf in den Sand stecken kam für sie aber nicht in Frage: Mit staatlichen Fördermitteln machte sich MD Home als neue Unternehmenssparte daran, eine langgehegte Idee zu verwirklich: Tiny Houses („winzige Häuser“, Red.).
Auch interessant
Wohnen und arbeiten auf engstem Raum soll eine erschwingliche Alternative werden für alle möglichen Anforderungen, vom Alterssitz bis zum Büro.
Die Idee für das erste Siegener Tiny House
„Bis März 2021 haben wir absehbar keine Messen und Großveranstaltungen“, sagt Co-Projektleiter Claus Bernshausen. Mit der Unterstützung vom Staat wurde zunächst als MD Care Schutzausrüstung vertrieben. Das etablierte sich recht zügig, die Messebauer überlegten weiter, was sie tun könnten. Sie sind Schreiner, Techniker, Architekten, Ingenieure, verfügen über handwerkliche Mittel und Fähigkeiten – „eigentlich komplett ausgestattet, um ein Haus zu bauen“, sagt Bernshausen.
Und jetzt verfügten sie auch über viel Zeit. Und bauten ein kleines Haus, aus Holz – ein Tiny House. Das reduzierte Wohnen liegt im Trend, es gibt in Deutschland Landkreise mit ganzen Siedlungen der Mikro-Häuser. „Es gibt unheimlich viele Leute, die Interesse haben“, sagt Schreinermeister Carsten Irle, Co-Projektleiter bei MD Home.
Das Siegener Tiny House passt auf einen Anhänger
Maximal vier Meter hoch – wegen der genormten Brücken in Deutschland – acht Meter lang und 2,50 Meter breit: Das MD Home-Tiny House passt auf einen Anhänger. Das Unternehmen baut gerade einen Prototypen, in dem es alles gibt, was ein normales Haus auch hat – nur auf sehr viel weniger Platz. Jeder Quadratzentimeter wird wie beim Wohnmobil als Stauraum genutzt; Tische oder Fernseher können ausgezogen oder -geklappt werden. Aber es ist alles da: Ein Bad mit Dusche, Küche inklusive Weißgeräte, Aufenthaltsbereich, Schlafempore. Der Kleiderschrank ist in der Treppe nach oben.
Leben in einem Tiny House bedeutet eine bewusste Reduzierung des Alltags, zumindest dann, wenn es nicht nur als Wochenendhäuschen genutzt wird. Aber es gibt alle Annehmlichkeiten der Zivilisation: Fließendes Wasser, Heizung, WC, Strom, Internet. Sind am Bauplatz alle Anschlüsse vorhanden, sind die Versorgungsleitungen schnell mit dem Häuschen verbunden, erklärt Ingenieurin und Architektin Alexandra Pena Wirths. Das Leben findet dann mehr draußen statt, „man erweitert den Wohnraum in die Natur“, sagt Claus Bernshausen. Viele Tiny-House-Besitzer legen sich eine große Veranda davor an.
Das Tiny House als Übernachtungshütte am Rothaarsteig
Die sind einerseits beschränkt, was die Vorschriften angeht. Und andererseits unendlich, Hauptsache es findet auf weniger als 50 Quadratmetern – im Fall von MD Home: 20 m2 – statt.
Siegen wird immer mehr zur Universitätsstadt, immer weiter städtebaulich modernisiert. Da dürfen Tiny Houses nicht fehlen, findet Claus Bernshausen. Die Häuser sind so klein, sie passen in viele Baulücken – auch in solche, für die eine Erschließung unmöglich oder extrem aufwändig wäre. Allein schon deshalb, weil für die Baustelle keine Zuwegung erstellt werden muss. Oder sie werden ins Grüne gesetzt: Als Alterssitz etwa, wenn das 250-Quadratmeter-Haus zu groß für ein Paar geworden ist. Als Ferien- oder Wochenendhäuser für Grundbesitzer. Die Häuser können als Büro ausgestattet oder um ein weiteres Tiny House (beispielsweise für Kinder) ergänzt werden, auf dem Dach kann eine Terrasse entstehen. Für Senioren ist der Ausbau barrierearm möglich. Entlang des Rothaarsteigs könnten kleinere, noch reduziertere Tiny Houses als Übernachtungsplätze entstehen; orientiert an den bekannten Alpenhütten, in denen Wanderer Schlafplätze und Schutz finden.
Kontakte zu Kreis und Kommunen in Siegen-Wittgenstein knüpfen
MD Home plant das Siegerländer Tiny House modular – es gibt bestimmte Einheiten, quasi in Serie gefertigt , die aber genau auf die Wünsche des Kunden zugeschnitten werden können. Innerhalb von 80 Kubikmetern ist alles möglich. „Wir haben den Anspruch, alle unterschiedlichen Zielgruppen und ihre Anforderungen zu bedienen“, sagt Carsten Irle. „Das ist hier noch wichtiger, als beim normalen Hausbau“, betont Alexandra Pena Wirths – bei so wenig Platz müsse das Zuhause buchstäblich Maßarbeit sein. Die Erfahrung im Bau hochindividueller Messestände komme hier auch den Kunden zugute. MD Home geht davon aus, dass ein Basis-Haus für rund 45.000 Euro zu haben sein wird. Bauzeit: Wenige Monate. Maßanfertigungen werden, wie immer, teurer.
Die Unterstützer
Messebauer MD Print hat Kontakte zu vielen Siegerländer Firmen, die das Tiny House-Projekt nun unterstützen: FeBA Fensterbau (Burbach), Siegenia (Wilnsdorf), Schnell & Co (Siegen), Plana Küchenland, SMO Scholemann Möbel und Objektbau (Freudenberg), Thorsten Wagener vom Modulbüro, Peter Büdenbender von Bebüro Grafikdesign und Guido Müller von der Siegberg-PR-Agentur.
Informationen auch auf www.md-homeliving.de.
Hürden sind zur Zeit noch vor allem bürokratischer Natur. Es gibt Vorgaben zu allem möglichen: Baurecht, Statik, Dämmung, Brandschutz, Dachlast. „Wir beschäftigen uns intensiv damit“, sagt Schreinermeister Carsten Irle – das Baurecht ist auf die noch junge Wohnform noch nicht eingestellt. MD Home hat Kontakt zu Kreis und Kommunen aufgenommen, damit Bauplätze für Tiny Houses ausgewiesen werden – womöglich auch auf Zeit, die Gebäude sind ja beweglich. Das Tiny House als alternative Wohnform ist noch so neu, das Konzept im Vergleich zu normalen Wohnungen so außergewöhnlich – vorstellen kann man sich das Leben darin am besten, wenn man es gesehen hat. MD Home plant, den Prototypen im September fertigzustellen.
Mehr Nachrichten, Fotos und Videos aus dem Siegerland gibt es hier.
Die Lokalredaktion Siegen ist auch bei Facebook.