Siegen. In Siegen zeigen die Kirchen mit einem Ökumenischem Gottesdienst und einer Demonstration gemeinsam ihren Widerstand gegen den „III. Weg“
Kurz vor 11 Uhr ist es am Samstagmorgen in Siegen. Während etwas weiter in der Mitte Deutschlands, in Berlin, einige Scharen von Demonstranten aus unterschiedlichsten Gründen gegen die „C“-Problematik auf die Straße gehen, sind es in Siegen deutlich weniger Menschen. Und der Grund ist auch ein anderer. Der befindet sich gut 200 Meter Luftlinie vom Scheinerplatz entfernt, wo zwischen 150 und 200 Leute zusammengekommen sind, um im Namen der beiden großen christlichen Kirchen für Toleranz und Vielfalt zu demonstrieren. Gegen den „III. Weg“, der wieder einmal am Busbahnhof einen Stand aufgebaut hat.
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Ökumenischer Protest in Siegen
Wer deren Argumente auch nur oberflächlich liest oder hört, wird sich schnell an Flugblätter und Parolen von vor gut 90 Jahren erinnert fühlen. Dagegen setzen die Demonstranten drei wesentliche Argumente: Nächstenliebe, Vielfalt und Toleranz. Die werden am Scheinerplatz auf Transparenten und Schildern präsentiert, sind auch das Thema einer kurzen Rede von Susanne Sprengard, der Siegener Dekanatsreferentin für Jugend und Familie, die sich im positiven Sinne „fassungslos“ zeigt über das große Interesse der Menschen, über deren Anteilnahme, die sie als Zeichen wertet, mit dem Kurs gegen den „III. Weg“ weiterzumachen.
Der namentlich allerdings in dieser Ansprache gar nicht vorkommt. Aber alle wissen, worum es geht und applaudieren am Ende lautstark. Natürlich gehöre zur Demokratie auch das Recht auf andere Meinungen, sagt Sprengard. Aber ebenso gegenseitige Toleranz. Wurde den deutschen Kirchen nach 1945 oft vorgeworfen, zu wenig gegen das Aufkommen der Diktatur unternommen zu haben, sind sie in diesen Tagen deutlich anders aufgestellt, wollen einmal mehr gemeinsam ein bewusstes und vor allem ökumenisches Zeichen setzen: Das Citypastoral Siegen („K3“ ) mit dem katholischen Dekanat Siegen und dem evangelischen Kirchenkreis Siegen.
Siegener Dechant ist gegen Extremismus von beiden Seiten
Das Zeichen hat bereits um 10 Uhr in der Martinikirche begonnen, wo Dechant Karl-Hans Köhle vor einer pandemie-bedingt kleinen Gruppe von 70 Leuten gesprochen, aber bereits deutliche Worte der Abwehr gefunden hat. „Die Ängste und Sorgen der Bürger angesichts von Extremismus sollen in diesem Gottesdienst vor den Schöpfer gebracht werden“, sagt der Dechant, bezieht sich immer wieder auf den einen entscheidenden Satz aus dem 1. Artikel des Grundgesetzes, „Die Würde des Menschen ist unantastbar“, und zieht daraus die Rechtfertigung für die Aktion am Samstag. „Für Christen, evangelisch oder katholisch, kann es keine Schnittmenge mit extremistischen Gruppierungen geben, seien sie von rechts oder von links“ fasst er für die gemeinsame Meinungsäußerung zusammen, die beide Kirchen an diesem 1. August nach außen tragen.
Wobei gerade dieser Blick in beide Richtungen Köhle offensichtlich wichtig ist. Er erinnert sich und die Anwesenden an die Aktion „Hand in Hand“, die „vor ein paar Jahren in Weidenau stattgefunden habe: „Wir haben vom Runden Tisch der Religionen daran erinnert, dass alle Menschen Geschöpfe unseres Gottes sind und daher mit gleicher Würde angesehen werden sollen.“ Und daraus folgt für den Geistlichen: „Daher ist für uns Christen weder Rechts- noch Linksextremismus eine Option. Beide radikale Strömungen legen Gott beiseite und die Tatsache, dass wir seine Geschöpfe sind. Antifa und Anarchie führen ebenso zum Chaos wie Nationalismus und völkisches Denken.“
Katholiken und Evangelen ziehen im Siegerland an einem Strang
Nach dem Wortgottesdienst geht es im Schweigemarsch in die Innenstadt. Vorher machen noch einige Teilnehmer deutlich, dass sie die Vertreter des „III. Weges“ als mitverantwortlich für die Ausbreitung rassistischer Gedanken sehen und dagegen vorgehen wollen. Unten, vor dem Apollo Theater, treffen sie auf viele Gleichgesinnte. Jene, die für die Unruhe verantwortlich sind, stehen derweil am Busbahnhof, an ihrem mittlerweile fast schon angestammten Platz - und finden das, was sie eigentlich gewünscht hatten.
Die Mitglieder der nach eigener Vorstellung „nationalrevolutionären Partei“ wollen „mit den Menschen ins Gespräch kommen“, wie es auf ihrer Webseite heißt. Wollen „eine Gegenöffentlichkeit zu den von Lügen und billigster Hetze durchzogenen Presseartikeln, die seit der Eröffnung unseres Parteibüros tagtäglich erscheinen“ bilden - was allerdings wenig Anklang findet. Nur vereinzelt sind tatsächlich einmal Bürger zu beobachten, die sich länger am Stand der „längst überfälligen Alternative zu den Systemparteien“ aufhalten, wie sie sich selbst beschreiben. Stattdessen baut sich schließlich ein Grüppchen Gegendemonstranten spontan auf. Dabei bleibt alles friedlich.
Und der Sinn solcher Veranstaltungen? Rückt er nicht gewissermaßen erst recht den Blick auf jene, die eigentlich nicht groß gemacht werden sollen? „Das ist ja immer ein Argument“, sagt Jochen Manderbach, der sein Dahlbrucher Kino verlassen hat, um an diesem Samstag in Siegen zu sein. Wenn ein solcher Anlass dazu führe, „dass Evangelen und Katholiken hier im Siegerland an einem Strang ziehen“, dann sei doch jedenfalls schon etwas gewonnen, schmunzelt er. Er hat aber noch einen Grund für seine Anwesenheit. Seine 90-jährigen Eltern hätten nur den Kopf geschüttelt über Leute, die etwas wiederhaben wollten, „was doch damals überhaupt nicht schön gewesen ist“.
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