Siegen. Siegener Diakonie-Klinikum Jung-Stilling ist neben der Oxford University das weltweit einzige Krankenhaus, wo AR-Brillen eingesetzt werden.
Das Chefarztbüro von Prof. Veit Braun: Schreibtisch, Regale. Arbeitsmaterial. Mitten im Raum stehen zwei Mediziner. Sie gestikulieren, beraten, zeigen in die Luft. Was der Betrachter nicht sehen kann, wird dank modernster Technik vor den Augen der Ärzte sichtbar: Die Mediziner tragen so genannte AR-Brillen (Augmented Reality – „erweiterte Realität“, Red.). Die Technik, die häufig für Videospiele genutzt wird, hält nun im Diakonie-Klinikum Jung-Stilling Einzug – als einer von weltweit zwei Standorten. Neben Siegen ist das die berühmte Universität Oxford.
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Die Benutzung der AR-Brille am Siegener Jung-Stilling
Denn diese Brillen werden mit Aufnahmen aus den MRT- oder CT-Geräten „gefüttert“ und schaffen so eine neue medizinische Dimension. Direkt vor dem Betrachtet scheint so zum Beispiel das Gehirn eines Patienten zu schweben; überdimensional groß, mit allen Adern, Strukturen und Veränderungen. Prof. Braun und sein Kollege können nun etwa sehen, wo ein Tumor sitzt – und eine Operation bis ins kleinste Detail vorab planen.
Die Gehirn-Ansicht wird von den Medizinern per Kontrollelement in der Luft gedreht oder auch aus Winkeln betrachtet, die die herkömmlichen 2-D-Aufnahmen gar nicht leisten können. Denn die Technik ermöglicht es, quasi durch das Gehirn hindurch zu schreiten. „Das hier ist Mega-Hightech“, sagt Veit Braun. Die Brille lässt den Blick in das Innere des menschlichen Körpers zu, stellt feinste Äderchen, Knochen und Gewebe dar.
Siegener Chefarzt Prof Veit Braun legt Grundstein mit
Lesen, blättern, Bücher wälzen: Als der heutige Neurochirurgie-Chefarzt am Jung-Stilling vor mehr als vier Jahrzehnten seine Ausbildung begann, gehörten Fachlexika und die Werke großer Mediziner auf seinen Schreibtisch. Die Literatur ist auch heute noch in seinem Büro zu finden.
Braun hat Facharzt-Titel in Neurochirurgie und Intensivmedizin und besitzt Fachkunden für die gesamte Bildgebung in der Neurochirurgie (MRT, CT, Angiographie). Seit Beginn seiner ärztlichen Tätigkeit ist er auch in der Forschung tätig. Die AR-Brillen des Weltmarktführers (Firma Brainlab, München), die jetzt am Diakonie-Klinikum zur Verfügung stehen, sind die jüngste Errungenschaft, zu der er mit den Grundstein gelegt hat. 2001 förderte das Land Bayern ein Projekt zur Implementierung multimodaler Bilddaten in die Neuronavigation in Zusammenarbeit mit der Neurochirurgie der Universität Ulm und Brainlab mit über 600.000 Euro. Veit Braun wurde für diese Arbeit dann auch mit dem Multimediapreis „Digiglobe“ in der Kategorie Wissenschaft durch die damalige Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt in Berlin ausgezeichnet.
Die Anwendungen der AR-Brille am Siegener Jung-Stilling
Erzeugt werden die Daten für die Brille durch radiologische Aufnahmen. Veit Braun wandelt diese dann in passende Datensätze um, liest sie aus und überträgt sie in die Hightech-Brille. 80.000 Euro kostet die jetzige Innovation, die am Stilling schon von einigen Chirurgen auch anderer Fachbereiche eingesetzt wurde. Einer von ihnen ist Coordt-Alexander Büddicker, Oberarzt der Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie. Im Chefarztbüro planten er und Braun die Entfernung eines Unterkiefer-Tumors.
„Diese Stelle ist kompliziert“, sagt Büddicker: Viele Nervenbahnen laufen genau dort zusammen, wo sich die Geschwulst befindet. Viele Möglichkeiten, um dem betroffenen Patienten zu helfen, zog Büddicker in Betracht – bis er die AR-Brille aufsetzte. Das Bild des Patienten wurde den Chirurgen in Überlebensgröße in den Raum projiziert – und das so genau, dass man Ohrlöcher, Kopfform und Gesichtszüge des Patienten erkennen kann.
Die Operationen mit Hilfe der AR-Brille am Siegener Jung-Stilling
Die Brillen kommen nicht nur in der Planung medizinischer Eingriffe zum Einsatz, sondern auch im OP-Saal, wo die Brille das Mikroskop ersetzt. Dem Operateur werden alle wichtigen Daten des Patienten in sein Sichtfeld „eingespielt“ – inklusive weiterführender Informationen, die er vorab hinterlegt hat. „Dies wird die Mediziner-Ausbildung vereinfachen“, ist Prof. Braun überzeugt. Virtuell, schnell und immer auf dem neuesten Stand könnte der Nachwuchs so geschult werden – und das irgendwann auch ganz ohne Hörsaal. Die Brillen sind schließlich überall einsetzbar.
Die Technologie
Die AR-Technik ist nicht neu. Zuerst wurden Kampfjets in den 1970er-Jahren damit ausgestattet, damit die Piloten ihren Blick nicht mehr senken mussten, um relevante Flugdaten zu erfassen.
Virtuelle Realitäten (VR) sind bislang vor allem aus der Computerspiel-Industrie bekannt.
Die Augmented-Reality ist eine weiterentwickelte Form.
„Das ist Wahnsinn“, urteilt auch Chirurg Coordt-Alexander Büddicker. Überraschungen für den Operateur gebe es nun keine mehr. „Das macht es den Patienten auch leichter, uns zu vertrauen“, sagt Veit Braun. Gerade bei Tumoren im Gesicht oder Gehirn sei die Angst der Patienten groß. Deshalb erklärt der Chefarzt den Patient beim Vorgespräch auch die Brille und die geplante Vorgehensweise.
Neue Techniken werden in der Medizin rasant weiterentwickelt, ist Braun überzeugt. Gerade in der Lehre und Forschung habe sich auch Corona-bedingt gezeigt, dass es einen Aufschwung digitaler Lösungen brauche. In zehn Jahren, so der Chefarzt, wird auch die AR-Brille zum „alten Eisen“ gehören. Dann werde sie durch entsprechende Kontaktlinsen ersetzt werden.
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