Siegen. Auch das Kreisklinikum Siegen hat keine Therapie, kein Medikament gegen Covid-19. Pneumologen achten vor allem auf Thrombose bei Corona-Patienten

Anfang Januar 2020 wurde das Auftreten des Coronavirus in Siegen-Wittgenstein noch als minimal beurteilt. Niemand wusste so wirklich, was in China los war, wie das Virus sich ausbreiten würde, welche Symptome Patienten haben. „Aus heutiger Sicht wussten wir abenteuerlich wenig“, sagt Paul Fiedler, Leitender Oberarzt der Pneumologie am Kreisklinikum Siegen. Man ging noch davon aus, dass man sich gegenseitig gleichsam in die Lunge husten muss, um Corona zu übertragen.

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Das Kreisklinikum ergriff dennoch schnell Vorsichtsmaßnahmen, baute das Krankenhaus quasi grundlegend um. Der Katastrophenfall blieb bislang aus. Eine neue Realität herrscht dennoch.

1. Die Vorbereitungen vor der Corona-Krise am Kreisklinikum Siegen

Ingo Fölsing, neuer Geschäftsführer des Kreisklinikums, hatte Erfahrung. Er war in einer Spezialklinik tätig, als die Welt mit dem SARS-Virus zu kämpfen hatte. Er drängte auf Vorbereitung. Die Sonderisolierstation wurde in eine Corona-Station umgebaut, schildert Paul Fiedler im Kreisgesundheitsausschuss: In den Zimmern herrscht Unterdruck, die Luft wird abgesaugt, die Eingangsschleuse ist groß genug, dass man sich darin umziehen kann.

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„Auf Teufel komm raus“ wurde das Personal geschult – eine große Herausforderung, weil die Informationen so spärlich waren, so der Pneumologe, der auch Hygienebeauftragter des Klinikums ist. Die Beschäftigten müssen vernünftig geschützt sein – bei der Knappheit an Schutzmasken FFP 2 und FFP 3 zwischenzeitlich eine riesige Herausforderung. Ohne Spenden externer Firmen hätte das Kreisklinikum zwischenzeitlich womöglich geschlossen werden müssen. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn habe in der Frühphase der Krise 100 Masken geschickt.

2. Die Umbaumaßnahmen für Corona am Kreisklinikum Siegen

In der Notaufnahme wurden sieben Isolationsmöglichkeiten geschaffen, um mögliche Corona-Patienten von den anderen zu separieren. Und die Screening-Kriterien wurden angepasst, nach chinesischem Vorbild: Jeder mit Fieber wurde geröntgt. „So konnten wir schnell Patienten ohne Corona herausfiltern und andere neu entdecken“, erzählt Paul Fiedler. Mit der Zeit kam die Routine, irgendwann „hatten wir eine Stunde nach Aufnahme schon einen begründeten Verdacht“, sagt der Lungenarzt – oder konnten Corona mit hoher Wahrscheinlichkeit ausschließen. Drei weitere Stationen wurden umgebaut, insgesamt 35 Einzelisolierzimmer entstanden, insgesamt 30 Beatmungsbetten. Viel Arbeit.

Zahlen zur Corona-Krise in Siegen-Wittgenstein

64 stationäre Covid-19-Patienten wurden bislang im Kreisklinikum aufgenommen. 10 davon waren beatmungspflichtig, das Durchschnittsalter beträgt 68 Jahre. 11 Tage betrug die durchschnittliche Liegedauer.

78 Jahre beträgt das Durchschnittsalter der 12 im Kreisklinikum an Covid-19 verstorbenen Patienten (es wurden auch Menschen aus anderen Kreisen hier behandelt). Vier der 8 Verstorbenen aus Siegen-Wittgenstein waren älter als 80 Jahre, einer über 90.

24 Stunden dauert es inzwischen – in der Regel –, bis ein Corona-Testergebnis vorliegt. Zwischenzeitlich betrug die Wartedauer mehr als eine Woche.

48 Prozent des an Covid-19 erkrankten medizinischen Personals im Kreis kommen aus Siegen – überproportional viel. Der Grund: Hier gibt es die meisten Krankenhausbetten und das Personal wohnt auch überwiegend in der Stadt. Daher hat Siegen, gemessen an der Bevölkerung, mehr Corona-Erkrankte als andere Kommunen.

1200 Kontaktpersonen hat das Kreisgesundheitsamt bislang insgesamt ermittelt, für 1600 Personen wurde häusliche Quarantäne angeordnet.

35-59 Jahre: Aus dieser Altersklasse kommen die meisten (41 Prozent) der Corona-Kranken im Kreis (128). Es folgen die Altersgruppen 15-34 Jahre (86; 27 Prozent) und 60-79 (65; 21 Prozent).

Das Personal wurde „drastisch hochgefahren“, Dienstpläne völlig anders aufgezogen, der Nachtdienst verdreifacht, in die Türen der neuen Isolationszimmer Löcher gesägt und Fenster eingebaut. So kann das Pflegepersonal, das ausschließlich auf den Corona-Stationen arbeitet, mit einem schnellen Blick prüfen, ob beim Patienten alles okay ist, ohne das Zimmer mit Schutzausrüstung betreten zu müssen. Eine beachtliche Zeitersparnis. „Wir haben versucht, der Sache mit kreativen Lösungen Herr zu werden“, sagt der Oberarzt. Schutzkittel wurden im Haus gewaschen, Plexiglasvisiere kamen vom Fab Lab der Uni Siegen.

„Wir haben mit dem Schlimmsten gerechnet“, sagt Paul Fiedler. „Dass die Hölle über uns hereinbricht und es Feuer und Schwefel regnet.“ Die Mediziner bekamen Bilder und Berichte unter anderem aus Italien.

3. Wie Corona-Patienten im Kreisklinikum Siegen behandelt werden

Es gibt kein klares Krankheitsbild und keine Therapie. „Die Symptomatik ist äußerst vielfältig“, sagt der Facharzt. Patienten, bei denen unklar war, was sie hatten, wurden als Covid-19-Verdachtsfälle aufgenommen. „Wir sind überrannt worden“, sagt Fiedler über die frühe Phase der Pandemie im Kreis. Es galt, Infektionen zu vermeiden, von Personal und zwischen den Patienten, daneben musste die „normale“ Versorgung weitergehen. Fieber und Luftnot seien die Kardinalsymptome von Covid-19, so der Pneumologe, viele Patienten hätten Geruchs- und Geschmacksstörungen. Aber es gibt eben auch viele atypische Symptome und Verläufe. Es gibt kein Medikament. Die Ärzte können bei Luftnot Sauerstoff zuführen und Flüssigkeit geben – nicht zu viel, sonst besteht die Gefahr, dass sie sich in der Lunge einlagert. Thromboseprophylaxe, weil es oft zu Blutgerinnseln kommt.

CT-Aufnahme einer Corona-Lunge: Das Weiße im schwarz dargestellten Lungengewebe ist typisch für Covid-19.
CT-Aufnahme einer Corona-Lunge: Das Weiße im schwarz dargestellten Lungengewebe ist typisch für Covid-19. © Hendrik Schulz

Und sonst: „Intensiv auf den Patienten aufpassen“, sagt Paul Fiedler. Ein typisches Corona-Röntgenbild einer Lunge sieht übel aus, weiße Einsprenkler überall. Der 80-jährigen Patientin sei es aber gut gegangen, auch wenn die Bildgebung aussieht wie ein schweres akutes Lungenversagen. „Wir hätten erwartet, dass wir sie an die künstliche Lunge verlegen müssen.“ Gefährlicher als die kranke Lunge seien aber eben oft Blutgerinnsel in Venen und Arterien, im Gehirn oder in Organen. Beim sogenannten „Zytokinsturm“ würden schwerste Entzündungen im Körper ausgelöst, gegen die kein Medikament helfe. Dann „haben wir nichts in der Hand, um dem sich verschlechternden Zustand zu begegnen“, sagt Fiedler. Thromboseprophylaxe, Sauerstoff, Flüssigkeit, Komplikationen „obendrauf“ behandeln „und dann warten, dass das Ganze abebbt“, sagt er.

4. Das Kreisklinikum Siegen bleibt auch nach der 1. Corona-Welle gewappnet

Bis heute hat es das Kreisklinikum geschafft, dass sich niemand vom Personal bei einem Patienten angesteckt hat, es gab auch keine Querinfektionen unter Patienten. Paul Fiedler warnt vor „sinnlosem Aktionismus“ bei der Suche und der Einführung von Corona-Medikamenten. Die Medizin habe leider viel Erfahrung mit vorschnell auf den Markt geworfenen Medikamenten, an denen Menschen dann gestorben seien – es gehe nichts über vernünftige Studien. Ein seriöser Ausblick sei kaum möglich, „alle Prognosen waren bislang falsch und ich weiß es selbst auch nicht besser.“

Vernünftig verhalten, ist der Rat des Mediziners: „Wir haben jetzt eine neue Normalität, wir sind vorbereitet, wir können damit umgehen.“ Und auch die „normale“ Medizin weiter durchführen, denn „wir sehen, dass die Patienten ausbleiben.“ Die Ambulanzen sind wieder geöffnet, nicht zu 100 Prozent wie vor Corona, aber geöffnet. Die Menschen warten aber mit Eingriffen, vielleicht nicht bei Tumoren, aber bei Hüftprothesen.

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