Allenbach. Im Ruhestand unterrichtet die ehemalige Leiterin von Stift Keppel Deutsch in Usbekistan. Einige ihrer Schüler sind Ärzte.

„Sie wollen was lernen. Sie wollen was werden“, sagt Renate Shimada. Und natürlich: „Die wollen auch ein besseres Leben haben.“ Renate Shimada hat am Akademischen Lyzeum in der usbekischen Provinzhauptstadt Urgench Deutschlehrer beim Deutschunterricht unterstützt. Und bei der Gelegenheit auch gleich Schüler unterrichtet, Studenten und ein paar Erwachsene.

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Das ist nicht neu für die 2007 pensionierte Oberstudiendirektorin, die noch in ihrer Amtszeit in Stift Keppel die Schulpartnerschaft mit Bischkek in Kirgistan initiiert hat und seitdem immer wieder für den Senior-Experten-Service (SES), einer Stiftung der Deutschen Wirtschaft, Einsätze in der Lehrerfortbildung leistet, immer in Zentralasien, meist in Kirgistan, seit 2018 auch im Nachbarland Usbekistan. Zunächst vor allem wegen des kulturellen Reichtums der Seidenstraße. Mit 77 muss man schließlich nicht nur arbeiten, auch nicht ehrenamtlich.

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Die Geschichte, die hier erzählt werden soll, beginnt 2017 in Samarkand, eben an der Seidenstraße. Ein Arzt, Ende 30, fragt die Lehrerin aus Deutschland, die dort ehrenamtlich für den SES arbeitet, nach Deutschunterricht. So lernt Renate Shimada den Chirurgen Umidjon Abdukadirov kennen, den sie von da an auf seinem Weg begleitet: Mit Hilfe des CDU-Bundestagsabgeordneten Volkmar Klein bekommt er sein Touristenvisum, er macht die Fachsprachenprüfung, erhält ein Arbeitsvisum und kann als Assistenzarzt an einem Krankenhaus in Bayern anfangen. Das hört sich einfacher an, als es war, und der Weg zur Approbation, der noch vor ihm liegt, scheint noch unendlich lang. Seine Familie will er nachholen, wenn er das geschafft hat. Inzwischen können Umid und seine Familie – Frau, ein kleines Mädchen und zwei große Jungs – sich noch nicht einmal mehr besuchen. „Es gibt keine Flüge mehr“, stellt Renate Shimada fest. Wegen Corona.

Für eine Erfindermesse haben die Studentinnen von Renate Shimada (3. von links) ein Theate
Für eine Erfindermesse haben die Studentinnen von Renate Shimada (3. von links) ein Theate © Steffen Schwab

Während Umid, der Chirurg, in Deutschland arbeitet, hat die Allenbacherin ihren nächsten SES-Einsatz, drei Monate über den Jahreswechsel 2019/20 am Akademischen Lyzeum in Urgench. Die 14-tägigen Neujahrsferien verbringt sie in Taschkent und Samarkand, wo Umid den Kontakt zu drei Kollegen in seinem ehemaligen Krankenhaus vermittelt hat und unterrichtet sie dort in Deutsch. Die Zeit ist zu kurz, und so nehmen die Männer, alle drei Familienväter, unbezahlten Urlaub, machen nach Ende der Ferien die 700 Kilometer lange Reise nach Urgench, mieten sich dort zusammen ein Zimmer – um Deutsch bei Renate Shimada zu lernen, die dort nach den Ferien weiter am Lyzeum arbeitet. „Sie sind jeden Tag in die Schule gekommen.“ Auch deren Plan ist klar: „Sie hoffen, dass sie irgendwann nach Deutschland kommen können.“

In Deutschland werden Ärzte gesucht, gerade auf dem Land, auch hier, wo eine Reihe Hausärzte vor dem Ruhestand sind. „Alle wären bereit, im Siegerland zu arbeiten“, sagt Renate Shimada, „ich versuche, das zu organisieren.“ Was es braucht, ist eine Unterkunft und eine Möglichkeit, den Lebensunterhalt zu verdienen, bis alle Prüfungen abgelegt sind und der Arzt aus Usbekistan auch wirklich Arzt in Deutschland sein kann. Den Weg über kommerzielle Vermittler möchte Renate Shimada ihren Schülern ersparen. Der Bundesfreiwilligendienst wäre so eine Einstiegshilfe, am besten pflegenah in einem Altenheim oder einem Krankenhaus. „Bis jetzt verlaufen meine Bemühungen im Sande“, bedauert Renate Shimada, die die Suche nach Unterstützern für ihre Idee nicht aufgibt: „Wenn man Ärzte im Siegerland haben will, muss man bereit sein, irgendetwas dafür zu tun.“

Kommerzielle Vermittler

Empört ist Renate Shimada über kommerzielle Unternehmen, die Ärzte aus Usbekistan nach Deutschland vermitteln. Die nehmen bis zu 2000 Euro Vermittlungsgebühren für einen Praktikumsplatz oder in den Bundesfreiwilligendienst, nach usbekischem Maßstab sind das dort mehr als zehn Monatsgehälter eines Arztes. Hinzu kommen Anteile am späteren Gehalt. die über zwei Jahre einbehalten werden.

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Wer sich eine Vorstellung von den Menschen machen will, für die Renate Shimada sich einsetzt, muss noch ein wenig zuhören: wenn sie erzählt von ihrem Schulalltag in Usbekistan, von der Aufgeschlossenheit der Schüler und ihrer Familien für die Fremde aus Deutschland, für die Begeisterung, auch abends und sogar am Sonntag zu lernen. Über das, wie sie sagt, „exzellente Verhältnis zwischen Lehrern und Schülern“ – weil am Erfolg des Schülers auch das Renommee des Lehrers und der Schule hängt und weil die „Schande“, so sagen sie wirklich, des Versagens keineswegs nur die Schüler trifft, sondern die ganze Familie, das ganze Dorf, das mit dem jungen Menschen fiebert, für das große Ziel, das Sprachzertifikat des Goethe-Instituts, das die Suche nach einer Arbeit, einem Praktikum in Deutschland ermöglicht und anschließend vielleicht zu einem Studium in Deutschland führt.

Renate Shimada bringt Geräte fürs Krankenhaus mit, rechts: Dilshod Rakhmonov.
Renate Shimada bringt Geräte fürs Krankenhaus mit, rechts: Dilshod Rakhmonov. © privat

Das klingt hart, vor der Kulisse der Schuluniformen. Jungen im Anzug, Mädchen in Röcken. Aber der Ehrgeiz ist gepaart mit Zukunftshoffnung und Herzlichkeit, wohl auch gespeist aus tiefer Frömmigkeit. Dies belegen die Erinnerungen, die Renate Shimada aus Urgench mitgebracht hat, ein ganzes Heft mit Briefen zum Abschied und Wünschen für ein Wiedersehen. Die Ärzte und die Schüler, denen Renate Shimada den Weg ebnen möchte, sind aus genau diesem weichen Holz geschnitzt. Mit humorigen Kanten: Man müsse vor Renate Shimadas Deutschstunden Ibuprofen nehmen, raten sie. Weil sonst der Kopf zu sehr raucht.

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